Kommentar: NSU-Aufklärung fortsetzen!
22. August 2013Drei Rechtsextremisten verschwinden Ende der 1990er Jahre spurlos von der Bildfläche - trotz intensiver Beobachtung des Verfassungsschutzes. Während sie im Untergrund leben, ereignet sich eine rätselhafte Mordserie. Neun Männer mit ausländischen Wurzeln werden mit gezielten Schüssen aus ein und derselben Waffe ermordet. Im November 2011 finden Polizisten die beiden Männer des rechtsextremen Trios tot auf. Sie haben sich das Leben genommen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Ihre Gesinnungsgenossin stellt sich nach kurzer Flucht der Polizei.
In den Jahren zuvor werden die Mörder der neun türkisch- und griechischstämmigen Männer im Bereich der organisierten Kriminalität vermutet. Im Verdacht stehen auch und ganz besonders die Angehörigen der Opfer. Mafia, Drogen, Geldwäsche - um diese Begriffe kreisen die Ermittlungen. Rassistische Motive kommen in den Gedanken der Ermittler kaum vor. Wer trotzdem davon spricht, wird nicht ernst genommen. Stattdessen heißt eine Sonderkommission "Bosporus". In diesem geistigen Klima war es für die mutmaßlichen Mörder aus dem rechtsextremistischen Milieu leicht, solange unentdeckt mordend durchs Land zu ziehen.
Keine NSU-Helfer in Amtsstuben
Als das Terrortrio mit dem geradezu programmatischen Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) eher zufällig auffliegt, ist das Entsetzen groß. Dass sich das deutsche Parlament schon Anfang 2012 parteiübergreifend und ohne Ansehen von Personen auf die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses verständigt, ist ermutigend und notwendig. Denn der Befund ist schon zu diesem frühen Zeitpunkt so eindeutig wie erschreckend: Die Sicherheitsorgane haben auf entsetzliche Weise versagt. Es ist das Verdienst der parlamentarischen Aufklärer, die Ursachen für dieses Versagen eineinhalb Jahre lang beharrlich hinterfragt und teilweise aufgeklärt zu haben.
Dass sie beim Aktenstudium und der Befragung von Zeugen oft an Grenzen stoßen, sagt viel über Behördenchefs und Politiker aus. Wenn Fragen unter Hinweis auf den Quellschutz von V-Leuten des Verfassungsschutzes unbeantwortet bleiben oder Geheimdienstakten mit möglichen NSU-Bezügen sogar vernichtet werden, drängt sich die Frage nach der absichtlichen Vertuschung zwangsläufig auf. Deshalb ist es beruhigend, wenn die Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen einstimmig ausschließen können, dass der NSU Unterstützer in den Reihen der Polizei oder des Verfassungsschutzes hatte.
NSU-Ausschuss spricht Klartext
Trotzdem ist es richtig und wichtig, vom Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden abschließend zu hören, dass es sich bei der NSU-Mordserie um ein "historisch beispielloses Behördenversagen" handelt. Noch wichtiger ist es allerdings, dass dieses Gremium der Politik und der Gesellschaft konkrete Empfehlungen gibt, welche Lehren aus dem NSU-Desaster zu ziehen sind. Erste Schritte sind sogar schon eingeleitet. So gibt es inzwischen eine zentrale Rechtsextremismus-Datei und ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum für diesen Bereich der rassistisch motivierten Kriminalität.
Der Verfassungsschutz wird sich grundlegend reformieren müssen. Dass diese Forderung des NSU-Untersuchungsausschusses nicht versandet, dafür wird im Zweifelsfall die kritische Öffentlichkeit sorgen, sollte sich die Politik ihrer Verantwortung entziehen. Der zu recht viel gescholtene Inlandsgeheimdienst darf angesichts seiner Unfähigkeit eigentlich dankbar sein, dass die Forderung der Linken, ihn abzuschaffen, nicht mehrheitsfähig ist.
Alltagsrassismus gibt es überall
Abgesehen von unverzichtbaren Reformen in den Behörden muss sich Deutschland aber endlich glaubwürdig mit dem alltäglichen Rassismus auseinandersetzen. Das setzt voraus, dass man sein weitverbreitetes Vorhandensein in allen gesellschaftlichen Schichten endlich anerkennt und nicht als Randphänomen verharmlost. Es gibt seit vielen Jahren seriöse Studien über das Ausmaß von Diskriminierung nicht nur in Amtsstuben, sondern auch in Schulen, auf Sportplätzen, am Arbeitsplatz.
Um dieses weite Feld konnte sich der Untersuchungsausschuss schon aus Zeitgründen nur am Rande kümmern. Seinen guten Willen dokumentierte er schon allein dadurch, dass mehrere Sachverständige um Rat gebeten wurden. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer, Barbara John, war zu Beginn und zum Abschluss der öffentlichen Anhörungen Gast im Untersuchungsausschuss. Ihre Kritik und ihre Anregungen fanden Niederschlag im Abschlussbericht.
Auch Journalisten sind gefordert
Wenn sich nach der Bundestagswahl am 22. September der neue Bundestag zusammensetzt, gelangen die Abgeordneten hoffentlich zu der Einsicht, dass sie Rechtsextremismus und Rassismus weiterhin die nötige sichtbare Aufmerksamkeit widmen müssen. Dafür bedarf es trotz der vielen offenen Fragen nicht unbedingt eines weiteren Untersuchungsausschusses. Denkbar wäre eine Enquête-Kommission, in der sich Abgeordnete und Sachverständige mit der vielschichtigen Thematik auseinandersetzen.
Wenn dann die künftige Bundesregierung aus Überzeugung Initiativen gegen Rechtsextremismus dauerhaft finanziert und nicht nur projektbezogen, wäre das ein weiteres wichtiges Signal. Und schließlich müssen auch wir, die Medien, darauf achten, keine Klischees zu verbreiten und Vorurteile zu verstärken. Es waren Journalisten, die im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie den Begriff "Döner-Morde" prägten.