1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kein "Zurück auf Los" für die Kultur

Gero Schließ
31. Mai 2020

Corona hat das Kulturleben ins Mark getroffen. Jetzt braucht es ein Konjunkturprogramm für Künstler und eine nachhaltigere Kunstvermittlung. Außerdem stellt sich die Systemfrage, meint Gero Schließ.

https://p.dw.com/p/3cvKo
Symbolbild Gefahr & Rettung | Friedrich Hölderlin
Bild: DW/G. Schließ

"Wo Gefahr ist, wächst das Rettende" - dieser schöne Vers aus der Feder Friedrich Hölderlins erfreut sich in Zeiten der Not wieder größerer Beliebtheit. In Berlin darf der Hölderlin'sche Mut-Macher sogar in aller Öffentlichkeit seine Wirkung entfalten. Mit grüner Tusche ist er dort kunstvoll auf ein Transparent gemalt, das weit sichtbar von einem Jugendstil-Balkon herabhängt.

Es wird wohl niemanden auf diesem Globus geben, der sich angesichts der Corona-Pandemie davon nicht angesprochen fühlt. Manche Menschen und auch ganze Branchen hat es allerdings besonders hart getroffen. In Deutschland ist das Coronavirus neben Luftfahrt sowie Tourismus und Gastronomie besonders heftig über die Kultur hergefallen.

Eine Branche am Existenzminimum

Damit hat es die Schwächsten der Schwachen in die Knie gezwungen. Denn in kaum einer Branche gibt es soviel Beschäftigte, die am Rande oder sogar unterhalb Existenzminimums leben: Mehr als 340.000 Beschäftigte verdienen als sogenannte Mini-Selbständige weniger als 17.500 Euro im Jahr. Sie standen immer schon und stehen jetzt erst recht vor existenziellen Problemen. Bei vielen waren die Rücklagen schon nach einem Monat aufgebraucht. Was Bund und Bundesländer (mit Ausnahme Niedersachsens, warum eigentlich?) in einer Art Notfalleinsatz in Windeseile an Soforthilfen auf die Beine stellten, verdient daher höchstes Lob. 

Doch das waren Erste-Hilfe-Maßnahmen. Damit ist noch nichts gewonnen. Die Lage bleibt dramatisch. Im Land der Dichter und Denker steht die Zukunft von Kunst und Kultur auf dem Spiel.

Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes hat für 2020 als Worst-Case-Szenario einen Umsatzausfall von fast 40 Milliarden Euro prognostiziert - das sind knapp 23 Prozent des jährlichen Umsatzes. Corona hat eine tiefe Schneise der Zerstörung gezogen. Der Schaden ist gigantisch. Und er hat Langzeitwirkung. 

Warten auf das rettende Konjunkturpaket

Noch gibt es keine Gegenrezepte. Nur Forderungen. Der Deutsche Kulturrat beispielsweise fordert zu Recht seit Wochen ein Konjunkturprogramm, so wie es anderen Branchen ohne Zögern zugestanden wird. Denn nach den Notfall-Reparaturen geht es jetzt um den Erhalt der Infrastruktur, etwa von Konzertstätten, Galerien oder Privattheatern. Ohne sie wäre der viel beschworene Neustart unmöglich.

Schliess Gero Kommentarbild App
Gero Schließ ist Kultur-Korrespondent

Kanzlerin und Finanzminister haben weiterreichende Hilfen zugesagt. Doch während für die Lufthansa neun Milliarden Euro staatlicher Unterstützung diskutiert werden, wartet die Kultur- und Kreativwirtschaft noch vergeblich auf das rettende Konjunkturpaket. Allein Musik- und Filmindustrie fordern jeweils um die 600 Millionen Euro. Und da wären noch Tanz, bildende Kunst, Literatur und, und, und.

Wem das zu viel erscheint, dem sei gesagt: Kunst und Kultur sind fürs Überleben einer Gesellschaft genauso wichtig wie Krankenhäuser oder Supermärkte. Deswegen jetzt schnell die finanziellen Rahmenbedingungen gesichert werden.

Kulturelle Systemfrage

Mit dem Corona-Kollaps stellt sich aber auch die Systemfrage: Das Wahre und Schöne wird oft unter prekären Bedingungen hergestellt. Dafür hat sich bisher kaum jemand interessiert. Dabei müsste das dem Publikum und der Presse die Schamesröte ins Gesicht treiben. Deswegen: Wenn nun Kranken- und Altenpfleger finanziell besser gestellt werden sollten, muss das auch für die mies bezahlten Kunstschaffenden gelten.

Die Systemfrage stellt sich auch bei Universitäten und Musikhochschulen: Bilden sie nicht zu viele Musiker, Tänzer und Kulturmanager aus? Nicht jeder wird eine Maria Callas oder ein Elton John. Die Hochschulen entlassen viele Absolventen in ein Leben aus Verzicht und Entbehrungen.   

Begegnung und Dialog sind Wesenskern

Mit dem erzwungenen Kultur-Stillstand stellt sich die Zukunftsfrage mit neuer, existentieller Dringlichkeit. Eins ist sicher: Es wird kein "Zurück auf Los" geben, keinen Wiederanfang von dort, wo wir aufgehört haben. Vielleicht kommt jetzt die Zeit der kleineren, bescheideneren, intensiveren, auch regionaleren Kunst-Ereignisse. Die Zeit, mit dem Publikum eine noch stärkere und langfristigere Verbindung einzugehen. Die Zeit, Großveranstaltungen, Starkult, Prestigeprojekte und globale Tourneen sparsamer zu dosieren. 

Doch passen wir auf: Corona als kunstfeindliche Intendantin darf niemals soviel Einschränkungen und Begrenzungen erzwingen, dass wir nicht mehr zum eigentlichen Wesenskern von Kunst und Kultur vordringen: der Begegnung, dem Dialog.

Die digitalen Lesungen, Hauskonzerte oder Ausstellungen hatten ihre Zeit. Sie können aber eines nicht ersetzen: das gemeinsame Kunst-Erleben, den Pausenplausch oder den tosenden Schlussapplaus. Denn das Entscheidende bleibt das Menschliche.