Jogginghosen gegen Rassismus
Gab es nicht letztens einen rassistischen Anschlag? Mehrere Tote? Aber das haben wir ja schon abgehakt, auf die bewährte Weise: Gedenkveranstaltung für die Opfer, Gedenkminute für die Hinterbliebenen, irgendwo einen Kranz niederlegen, ein Begegnungs-Teetrinken mit Muslimen, und dann schnell weiter zu irgendeinem anderen Gedenken - Tag der Gewalt gegen Frauen, Tag des bedrohten Eisbären, aber jetzt ist auch mal gut. Irgendwann muss mal Schluss sein damit, das Leben geht ja weiter, und überhaupt - das Coronavirus!
Wir haben in Deutschland ein Rassismus-Problem. Dagegen muss dringend etwas getan werden. Aber wenn nicht gerade Menschen umgebracht werden, gerät dieses Problem in Vergessenheit und wird nur für spezielle Anlässe wieder kurz beleuchtet.
Ich freue mich aufrichtig über all die Gutmeinenden, Aufrechten, Wackeren, die nicht nachlassen mit ihren Gedenkminuten, Lichterketten und Veranstaltungen. Und gleichzeitig verzweifle ich daran.
Von schweigenden und großen Mehrheiten
Die Internationalen Wochen gegen Rassismus finden dieses Jahr statt unter dem Motto "Gesicht zeigen - Stimme erheben" - wenn auch eingeschränkt, denn an mehreren Orten vorgesehene Veranstaltungen mussten wegen des Coronavirus verschoben oder abgesagt werden. Dennoch: Ziel ist es, die schweigende Mehrheit zu erreichen. Genau die schweigende Mehrheit, die nicht eingreift, wenn auf der Straße kopftuchtragende Musliminnen angegriffen werden; die große Mehrheit, die es in Kauf nimmt, wenn Geflüchtete an den Grenzen Europas niedergeschossen werden; genau jene stillschweigende Mitte, die keine Einwände hat, wenn der rechte Rand in ihrem Namen spricht.
Rassismus fordert regelmäßig Todesopfer. Struktureller Rassismus sorgt dafür, dass die Unterschicht der deutschen Gesellschaft mehrheitlich aus ethnischen Minderheiten besteht. Rassismus ist die Geschäftsgrundlage von Rechtsextremen, Neonazis und ihrem parlamentarischen Arm, der AfD.
Wo ist der Staat?
Dagegen muss von staatlicher Seite hart durchgegriffen werden. Dies ist keine rein sicherheitspolitische Frage, sondern anti-rassistische Bildungsarbeit auf jeder Ebene ist gefragt. Aber hier duckt der Staat sich weg. Stattdessen wird das Thema der Zivilgesellschaft überlassen - und selbst die muss um jeden Cent Unterstützung kämpfen.
Auf der Website der "Stiftung gegen Rassismus", welche die laufenden Anti-Rassismus-Wochen organisiert, steht an verschiedenen Stellen: "Dieses Projekt wird nicht mehr gefördert. Wir bemühen uns um eine Fortfinanzierung."
Bei den "Veranstaltungen zu Antiziganismus" heißt es: "Förderungen für das Jahr 2020 sind bereits ausgeschöpft." Aha. Schon im März ist das Geld alle. Den Rest des Jahres gibt es halt keine Veranstaltungen zu Antiziganismus mehr; da müssen Sintize und Roma schon alleine klarkommen.
Mehr Geld für Anti-Rassismus!
Wissenschaft und NGOs haben sehr viele und sehr gute Konzepte erarbeitet, die aufzeigen, wie man den grassierenden und tief verwurzelten Rassismus in den Griff bekommen kann. Es ist bekannt, wo man ansetzen muss - in der Schule, bei der Bildung, im Öffentlichen Dienst, bei der Polizei. Anti-Rassismus ist ein Querschnittsthema, das in allen Ministerien seinen festen Platz und ausreichend Gelder haben müsste. Dies ist jedoch nicht der Fall: im Gegenteil, Gelder dafür werden gekürzt. Nach jedem rassistischen Anschlag heißt es, dies sei eine "Zäsur", nun aber wirklich - und dann bleibt alles beim Alten.
Nur an den Festtagen, da erinnert man sich wieder. Am 20.Januar war Welttag der Migranten und Flüchtlinge. Der Tag danach war - allen Ernstes! - der Tag der Jogginghose. Soviel zur Relevanz von Migrant*innen.
Und jetzt feiern wir gerade die Wochen gegen Rassismus. Alles gut und schön, aber Anti-Rassismus ist keine Sache, der man sich zwei Wochen pro Jahr widmet und dann wieder vergisst. Wenn man das Grundgesetz ernst nimmt, ist Anti-Rassismus eine Priorität und eine Selbstverständlichkeit. 52 Wochen im Jahr.
Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der "Neuen deutschen Medienmacher*innen", einem bundesweiten Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln. Ziel ist der Einsatz für mehr Vielfalt in den Medien: Vor und hinter den Kameras und Mikrophonen. An den Redaktionstischen. Und auch in den Planungsstäben, Führungsetagen und Aufsichtsgremien.
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