Die Trauer von Hanau
28. Februar 2020Sie sind in Särgen gekommen. Es sind die letzten beiden Anschlagsopfer, von denen Hanau Abschied nimmt: Hamza Kurtovic und Said Nesar Hashem. Der 20-jährige Hamza und der ein Jahr ältere Said Nesar wurden am 19. Februar von einem psychisch kranken Mörder aus rassistischen Motiven getötet. Beide Männer, Hamza und Said Nesar, sind in Hanau aufgewachsen. Der eine hatte bosnische, der andere afghanische Wurzeln. Das hat offenbar als Motiv ausgereicht, dass sie nun tot in ihren Särgen liegen. Sie sind umringt von ihren Freunden und Familie. Dahinter reihen sich Tausende Menschen, die auf dem Marktplatz von Hanau Abschied nehmen wollen.
Behlül Yilmaz ist schon Stunden, bevor die Trauerfeier beginnt, auf dem Marktplatz. Er hält als muslimischer Seelsorger und Vorsitzender des Muslimischen Arbeitskreises Hanau engen Kontakt zu den Angehörigen der Anschlagsopfer. Sein Tag hat um sechs Uhr morgens begonnen. Sechs der neun Familien betreuen er und sein Team aus zehn Personen. Am Tag zuvor war er bei der rituellen, letzten Waschung Hamzas und Said Nesars dabei. Den Ablauf der Trauerfeier hat er bis ins kleinste Detail mit den Angehörigen besprochen. Am Ende des Tages wird er müde, aber zufrieden ein Fazit ziehen: "Wir können den Familien ihre Jungen nicht zurückgeben, aber wir haben ihnen die höchste Ehre erwiesen."
"Die Angst wächst"
Ein Gesang eröffnet die Trauerfeier. Für einen Moment schwebt das Lied über den Trauernden. Die Angehörigen der Opfer werden von Ordnern in leuchtend orangenen Jacken abgeschirmt. Die Frauen der Familien haben auf einer Bühne Platz genommen, ihre Gesichter sind voller Trauer. Sie schauen hinab auf die zwei Särge, in denen Hamza und Said Nesar liegen und die mit einem schlichten, grünen Tuch mit Inschrift bedeckt sind. Dahinter reihen sich die Menschen, der ganze Marktplatz ist ausgefüllt. Die Gespräche sind gedämpft, vieles dreht sich um den Anschlag Mitte Februar. Ein Mann erzählt seinem Freund, dass er seine Schwester seit Tagen zur Schule bringt und auch wieder abholt. "Die Angst wächst."
Der Bürgermeister der Stadt versucht mit seinen Worten, die Angst zu vertreiben und die Toten zu würdigen. Hamza habe sich um seine Nachbarn gesorgt, erzählt Claus Kaminsky. Er habe sein Auto verliehen, obwohl er es selbst gebraucht hätte. Auch bei Said Nesar erwähnt Kaminsky dessen Auto. Die Ziffern des Kennzeichens seien 454 gewesen, die letzten drei Ziffern des Hanauer Stadtviertels Kesselstadt. "Ein Ausdruck von Lokalpatriotismus", sagt Kaminsky.
Danach verwandelt ein Imam den Marktplatz in ein Gebetshaus. Selten wurde so selbstverständlich auf einem deutschen Marktplatz aus dem Koran zitiert und gesungen. Vielleicht hilft es die Wunden zu schließen. Die Trauerfeier ist stark an muslimischen Riten ausgelegt, Frauen werden in die hinteren Reihen gebeten. Dennoch sind auch viele Nicht-Muslime gekommen. Die Reden und Gebete werden in mehreren Sprachen abgehalten. Es soll ganz deutlich werden: Mit Hamza und Said Nesar sind keine Fremden gestorben. "Sie kannten nichts außer Hanau", sagt der Imam Macit Bozkurt. "Wir haben wundervolle Jungen unserer Stadt verloren", sagt Bürgermeister Kaminsky.
Das Schweigen sprechen lassen
Es ist etwas, worauf Behlül Yilmaz und die Angehörigen größten Wert gelegt haben, wie er später erzählt. Der Trauermarsch, der sich nach der Trauerfeier auf dem Marktplatz schweigend in Richtung Hauptfriedhof bewegt, zeigt keine Flaggen, es werden keine Sprechgesänge gerufen. "Diese jungen Menschen wurden umgebracht, weil sie anders waren", sagt Yilmaz. Aber das sei nicht das, was im Vordergrund stehen sollte. "Sie sind hier in Hanau aufgewachsen. Das ist wichtig, nicht die Abstammung ihrer Eltern". Und deshalb sollte keine Flagge der Heimatländer ihrer Eltern davon ablenken. "Das Schweigen sollte sprechen", sagt Yilmaz.
Es ist eine Trauerfeier, bei der man merkt, wie bemüht alle Seiten zusammen gearbeitet haben. Städtische Busse bringen die Älteren und Kinder zum Friedhof. Eine Mauer des Friedhofs wurde ausgehoben, damit die Trauernden direkten Zugang zur Grabstelle haben. Für Yilmaz steht die Trauerfeier dafür, wie es in der Gesellschaft insgesamt ablaufen sollte. Indem alle zusammenarbeiten, würden sie stärker. Damit habe man am heutigen Tag auch eine Botschaft nach Außen gesendet.
Eine angespannte Stadt
Trotz aller Anteilnahme und Zusammenarbeit, ist Hanau eine verletzliche Stadt geworden. Unweit des Marktplatzes steht eine Mauer, auf der über Nacht die neun Namen der Opfer und der Hashtag "Say their names" - sagt ihre Namen - gesprüht wurden. Ganz unten rechts auf der Mauer steht ein weiterer Name: Frau R. Eine Anwohnerin beklagt sich, dass das nicht dazu gehöre. "Das ist die Mutter dieses Mörders", sagt sie. Es sollte wieder übermalt werden. "Ist das eine Provokation? Sollen wir jetzt auch wütend werden?", fragt sie.
Drei Kilometer weiter weg auf dem Friedhof, auf dem Hamza und Said Nesar begraben werden, zwängt sich ein Teil des Trauermarsches durch eine schmale Tür. Das Haupttor wurde nicht geöffnet. Schnell geht die Beschwerde um, der Friedhofsleiter hätte sich aus rassistischen Gründen geweigert. Dabei war es nur ein Fehler in der Logistik. Eigentlich hätten alle bei dem ausgehobenen Loch in der Mauer ankommen sollen, mit direktem Zugang zur Grabstelle.
Die Beispiele zeigen: Die Nerven sind dünn geworden und der Anschlag hat viele ins Mark getroffen. Yilmaz will dem etwas entgegen halten. Er setzt auf die Zusammenarbeit der Stadt und der Religionsgemeinschaften. "Wir müssen dieses Misstrauen bekämpfen und gemeinsam stark sein", sagt er. Gerade auch für jene, die in Deutschland geboren seien und das Land ihrer Eltern kaum kennen. Ein Unterfangen, das zurzeit schwerer denn je erscheint. Yilmaz Tag endet nicht mit der Beerdigung der zwei Anschlagsopfer. Direkt nach der Beisetzung hat er einen Termin bei der Polizei. In seiner türkischen Moschee ist ein Drohbrief eingegangen. Nachdem er zwei junge Männer beerdigen musste, spricht er mit den Sicherheitsbehörden über Polizeischutz.