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Europas kaltes Herz

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
9. März 2016

Sondergipfel, Debatten im EU-Parlament, Feilschen mit der Türkei. Die EU müht sich, das Flüchtlingsproblem vor seine Grenzen auszulagern, doch die Menschlichkeit bleibt so auf der Strecke, meint Bernd Riegert.

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Symbolbild Das Herz Europas EU Parlament Straßburg Skulptur
Skulptur vor dem EU-Parlament in Straßburg: "Das Herz Europas"Bild: DW/B.Riegert

Auf dem Sondergipfel der Europäischen Union am Montag wurde auf deutsches Veto hin stundenlang um die Aussage gerungen, ob die Balkanroute für Flüchtlinge komplett geschlossen sei oder nicht. Bundeskanzlerin Merkel setzte durch, dass die absolute Aussage ein wenig abgeschwächt wurde, weil sie immer noch von einer gemeinsamen europäischen Lösung fabuliert. Nur 24 Stunden später haben die EU-Mitglieder Slowenien und Kroatien erneut Fakten geschaffen und ihre Grenzen offiziell und völlig dichtgemacht. Kein gemeinsames Handeln. Angela Merkel hat ihre letzte Autorität in Europa nun ganz offensichtlich verloren. Ist das noch ihr Europa, Frau Merkel?

Abschotten und zurückschieben ist nach dem sich abzeichnenden Handel mit der Türkei jetzt das Motto. Das wurde auch am Mittwoch im Europäischen Parlament klar. Der Rat, also die Vertretung der Staats- und Regierungschefs, sowie die EU-Kommission schickten nur die zweite Garnitur. Die Stellvertreter leierten lustlos Phrasen herunter. Das Auslagern des Flüchtlingsproblems in die Türkei und die Vollendung der Festung Europa wurde als "europäische Lösung" verkauft. Das ist bitter. Ja, es ist unmenschlich, denn die Menschen, die heute bereits in Griechenland vor der verschlossenen Tür nach Europa gestrandet sind, wurden in den offziellen Statements nicht einmal erwähnt.

Wegschauen in der Katastrophe

Den Namen der Grenzstadt Idomeni, die für das Elend der Flüchtlinge steht, hat nur die linke Fraktionsvorsitzende Gabi Zimmer in den Mund genommen und den widerlichen Flüchtlingshandel und die Massenabschiebungen beklagt, die zwischen EU und Türkei vereinbart werden sollen. Griechenland ist nicht fähig oder in der Lage, sich um diese akute menschliche Tragödie an seiner Grenze zu kümmern. Die versprochenen Hilfsgelder der EU fließen erst in ein paar Monaten, denn vorher müssen Haushaltsgesetze geändert werden. Eine wirkliche Nothilfe für die gestrandeten Migranten in Griechenland setzt die EU-Kommission nicht in Marsch, obwohl sie das nach den EU-Verträgen sofort könnte. Warum nicht?

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat bei seinem Auftritt im Straßburger Parlament der Europäischen Union geplanten Rechtsbruch und den Weg in die Unmenschlichkeit vorgeworfen. Die EU und ihre Beitrittskandidaten auf dem Balkan erzeugen sehenden Auges und vorsätzlich eine Katastrophe für die Menschen an der griechisch-mazedonischen Grenze. Was muss denn eigentlich noch geschehen, damit sich so etwas wie ein Gewissen bei den handelnden Staats- und Regierungschefs regt?

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Eine Gewissensfrage?

Die Verhältnisse in Griechenland sind schon jetzt weit schlimmer, als die Zustände in Ungarn im September waren. Damals haben die deutsche Kanzlerin und der österreichische Bundeskanzler - zugegeben auch im Alleingang - Menschlichkeit bewiesen und die Flüchtlinge einreisen lassen. Davon ist jetzt nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Die scheußlichen Bilder aus Idomeni von Familien im Schlamm sind sogar erwünscht, um weitere Migranten, Asylbewerber oder Flüchtlinge abzuschrecken. Drei Wochen nach Beginn der Grenzschließung ist die griechische Armee immer noch nicht in der Lage, Brot und Wasser auszuteilen? Angesichts dieses Zynismus hat die grüne Abgeordnete Ska Keller die einzig richtige Frage an die Staats- und Regierungschefs gestellt: "Können Sie nachts wirklich noch ruhig schlafen?"

Eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht

Ob eine Einigung auf den wackeligen Plan gelingt, gemeinsam mit der Türkei die unkontrollierte Migration in die EU auf Null zu drücken, ist heute ungewiss. Einigen Staaten sind die Forderungen der Türkei zu hoch, andere sind prinzipiell gegen die notwendige Umverteilung von Flüchtlingen in der EU. Was auch immer da beim nächsten EU-Gipfel Ende kommender Woche ausbaldowert wird: Den Menschen in Idomeni, die auf ihren Papp-Schildern nach "Mama Merkel" rufen, werden die Beschlüsse nicht helfen. Sie sind die Geiseln einer zerstrittenen EU, die dabei ist, das Recht auf Asyl in Europa an die autoritäre türkische Regierung abzutreten. Und es werden täglich mehr.

Selbst wenn diese Abschottungs-Strategie gelingt, ist allen halbwegs Einsichtigen klar, dass sich Flüchtlinge neue Wege suchen werden. Dann eben nicht mehr über die Ägäis, sondern über Bulgarien oder Albanien, Lampedusa oder Malta. Die humanitären und christlich fundierten Werte, die die EU-Politiker in ihren Sonntagsreden immer gerne betonen, gehen in diesen Tagen in der Debatte um die Abwehr von Flüchtlingen völlig verloren. Europa zeigt sein kaltes Herz.

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Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union