Für den britischen Premierminister David Cameron war der Tag in Brüssel ein Spießrutenlaufen. Man kann es den anderen Staats- und Regierungschefs und den Chefs der EU-Institutionen nicht verdenken. Cameron hat mit seinem unvorsichtigen Referendum nicht nur sein Land, sondern den ganzen Kontinent in eine schwere Krise gestürzt.
Doch wer jetzt Cameron oder die konservative Regierung in London bestrafen will, bestraft das ganze Land, von dem sich immerhin fast die Hälfte für die EU ausgesprochen hat. Und er bestraft auch die jungen Briten, obwohl gerade sie ganz überwiegend in der EU bleiben wollten.
Cameron wird jetzt unter Druck gesetzt, den Scheidungsantrag möglichst schnell vorzulegen. Aber auf ein paar Wochen mehr kommt es jetzt nicht an, zumal in Großbritannien plötzlich eine erstaunliche Debatte darüber im Gange ist, ob es einen Exit vom Brexit geben soll. Wahrscheinlich ist das nicht. Es zeigt aber, dass die Ausstiegsbefürworter keine Vorstellung davon hatten, was sie im Falle ihres Sieges machen würden.
Doch in jedem Fall ist es für beide Seiten von Vorteil, wenn die Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Kontinent möglichst eng bleiben. Es darf nicht das Ziel der EU sein, in den Ausstiegsverhandlungen an den Briten ein Exempel zu statuieren.
Die Brüsseler Blase
Die Härte, mit der viele den Briten jetzt begegnen, und die Schadenfreude über die britischen Marktturbulenzen haben verschiedene Gründe. Doch keiner darf im künftigen Umgang mit dem Land zählen.
Es ist der verletzte Stolz des Zurückgewiesenen.
Es ist die Genugtuung, es schon immer gewusst zu haben.
Es ist die Angst vor Nachahmern. Schon jetzt fordern eine ganze Reihe von rechtspopulistischen Politikern überall in Europa ähnliche Volksabstimmungen auch in ihren Ländern.
Es ist aber auch das Ablenken von eigenem Versagen. Die EU mit ihren Institutionen hatte es sich bequem in ihrer Brüsseler Blase eingerichtet. Sie hat sich zu sehr um sich selbst gedreht, statt sich als Anwalt der Bürger zu sehen.
Ende der Illusionen
Das Brexit-Votum hat etwas sichtbar gemacht, was schon lange unter der Oberfläche brodelte, ein Unbehagen, manchmal sogar eine Wut, dass "die da oben" sich nicht für die Belange der Bürger interessierten.
Die EU muss sich jetzt auf das konzentrieren, was sie tun kann, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Sie muss für ihr Leben relevant sein, sei es bei kleinen Dingen im Bereich des Verbraucherschutzes oder bei den großen Krisen wie der illegalen Migration.
Was die EU dagegen nicht tun sollte, dafür lieferte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ein Beispiel. Er forderte als Antwort auf die Krise prompt ein Ende der "Austeritätspolitik", ein "sozialeres" Europa. Das klingt immer gut. Doch es ist wieder nur der Versuch, von eigenem Reformversagen abzulenken und sich auf Kosten anderer zu sanieren. Nein, so sieht eine europäische Antwort nicht aus. Europa darf nicht Ausrede für nationales Fehlverhalten sein.
Und was ist geblieben vom "europäischen Traum"? Wer zu Pathos neigt, so wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dürfte in der Tat enttäuscht sein. Denn das Brexit-Votum hat wohl auch dem letzten klargemacht, dass alle hochfliegenden Ideen von der immer engeren politischen Union bis hin zum europäischen Bundesstaat fürs erste ausgeträumt sind. Aber die Bürger vermissen keine Träume, sondern Taten.
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