Der zweitgrößte Nettozahler Großbritannien verlässt bald die Europäische Union. Logischerweise müsste das EU-Budget damit schrumpfen. Die Schlussfolgerung von EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger ist aber genau das Gegenteil: Das Budget soll nach dem Brexit sogar wachsen! Angenommen, es träten neben Großbritannien auch andere Nettozahler aus - zum Beispiel weil sie es leid sind, immer stärker zur Kasse gebeten zu werden -, hätte das nach dieser Logik keinerlei Einfluss auf den Umfang des Haushalts der verbleibenden EU-Mitglieder.
Einen Großteil der Ausfälle soll nach den Vorstellungen Oettingers sein Heimatland Deutschland ausgleichen. Oettinger schwebt eine Steigerung des deutschen Beitrags um bis zu zwölf Milliarden Euro jährlich vor. Das wäre eine Steigerung von rund 50 Prozent!
Deutschland will freiwillig mehr zahlen
Jede Regierung müsste sich schon aus Prinzip gegen derart dreiste Forderungen stellen, bei denen keineswegs sicher ist, dass sie den eigenen Steuerzahlern einen Mehrwert bringen. Doch was sagt der SPD-Finanzminister dazu? Olaf Scholz verhandelt nur ein ganz kleines bisschen: Zehn Milliarden zusätzlich könne man "ungefähr bewältigen". Mit seinem grundsätzlichen Einverständnis zu massiven deutschen Beitragserhöhungen steht er nicht einmal allein da. Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU/CSU und SPD bereits "zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt" bereiterklärt. Andere Länder können sich seitdem bequem zurücklehnen.
Die deutsche Willfährigkeit in Haushaltsfragen wird der Kommission aber nicht einmal viel nützen. Denn eine ganze Riege anderer Nettozahler - von Österreich über die Niederlande und Belgien bis hin zu Schweden und Dänemark - lehnen die Erhöhungen ab und fordern stattdessen Umschichtungen und Einsparungen im EU-Haushalt.
Sparvorschläge gibt es von Oettinger zwar auch, aber sie sind vergleichsweise gering: Die Direktzahlungen an die Landwirte etwa sollen danach um vier Prozent sinken. Das ist immerhin genug, um die mächtige französische Agrarlobby auf die Barrikaden zu treiben, und man darf gespannt sein, wieviel von Präsident Macrons europapolitischem Elan übrig bleibt, wenn die Bauern in den EU-Budgetverhandlungen von ihm vor allem Besitzstandswahrung erwarten.
Die Spaltung vertieft sich noch weiter
Für besondere Unruhe wird noch ein weiterer Vorschlag sorgen: Die Kommission will die Vergabe von EU-Mitteln in Zukunft an die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien koppeln. Treffen würde dies vor allem Polen und Ungarn, denen die Kommission wiederholt rechtsstaatliche Defizite vorgeworfen hat. Die ungarische Regierung hat der Kommission bereits "Erpressung" vorgeworfen und sagt, die Mittel stünden den Empfängerstaaten vertraglich zu. Da die Kommission die Zahlung von Geldern außerdem an die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen koppeln will - was Berlin begeistert unterstützt -, wären manche EU-Mitglieder im Osten, die sich vehement gegen eine Flüchtlingsaufnahme wehren, doppelt negativ betroffen. Die ohnehin bestehende Ost-West-Spaltung der EU vertieft sich damit noch weiter.
So bringt die Kommission mit ihren Haushaltsplänen so ziemlich jeden gegen sich auf. Dabei ist für den Haushalt Einstimmigkeit erforderlich. Im Moment kann man fast von einer einstimmigen Ablehnung sprechen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Nur der Musterschüler Deutschland unterschreibt bereits brav seine Blankoschecks. Aber selbst damit tut er der europäischen Sache keinen Gefallen: Denn beides ist Wasser auf die Mühlen aller Rechtspopulisten und Euroskeptiker. Sie glauben ohnehin, dass Geld für die EU hinausgeworfenes Geld ist und vor allem der Bevormundung dient. Ein Jahr vor den nächsten Europawahlen werden sie ihr Glück über die Steilvorlage aus Brüssel und Berlin kaum fassen können.
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