Ein neuer Akt für Präsident Macron
Endlich ist Jupiter vom Berge herabgestiegen und hat im Elyséepalast eine Pressekonferenz gegeben. Emmanuel Macron hat sich zum ersten Mal den Fragen von Journalisten gestellt, dabei ganz normal an einem Tisch gesessen und erklärt, wie es nach Monaten der Gelbwestenproteste in Frankreich weiter gehen soll. Damit hat er seine albern überhöhte Idee der Unnahbarkeit aufgegeben und zugegeben, dass ein Staatsoberhaupt auch mit den Bürgern reden muss.
Geschenke für die Protestbürger
Seit Beginn des Jahres, als Macron durch Frankreich tourte, um mit Tausenden von Franzosen, Volksvertretern und Bürgermeistern zu sprechen, habe er viel über sein Land gelernt, räumt er ein. Etwa dass es ein umfassendes Gefühl von finanzieller und sozialer Ungerechtigkeit gebe.
Dagegen bietet er jetzt ein Bündel von Maßnahmen an: eine signifikante Steuersenkung für mittlere Einkommen, eine Erhöhung der Mindestrenten und die Wiedereinführung des Inflationsausgleichs für Alterseinkommen, eine bessere Anerkennung der Pflegeleistung von Frauen sowie Hilfen für alleinerziehende Mütter.
Das sind genau die Geschenke, die Regierungschefs ihren Bürgern meist im Wahlkampf machen. Macron kommt damit zwei Jahre nach Amtsantritt, weil er die Meinung der Franzosen für sich wenden und den versprochenen Umbau des Staates vorantreiben will. Und das kann er, wie sich gezeigt hat, nicht gegen den Dauerprotest und den Widerstand seiner Bürger. Der Präsident wendet sich hier an die gemäßigte Mehrheit seines Volkes. Mit den Schlägertrupps unter den verbleibenden Gelbwesten muss sich die Polizei beschäftigen, da hat er Recht.
Verwaltungsreform und bessere Bildung
Macron räumt auch Fehler ein, er sei zu distanziert und arrogant erschienen, und er verspricht Besserung. Der Auftritt ist sein persönlicher Gang nach Canossa in der Hoffnung, damit ein neues Kapitel seiner Präsidentschaft aufzuschlagen.
In Frankreich ist die Klage über die abgehobenen Eliten lauter und berechtigter als anderswo. Im Mittelpunkt steht dabei die Kritik an der Kaderschmiede ENA, wo Macron selbst und unzählige französische Präsidenten und Minister ausgebildet wurden. Sie soll jetzt, wenn nicht geschlossen, so doch reformiert werden. Das ist ein direktes Zugeständnis an die Gelbwesten und ihre Kritik. Darüber hinaus solle es eine Verwaltungsreform geben, die Zahl der Beamten in Paris sinken und viele Staatsdiener sollen stattdessen in die Provinz versetzt werden.
Das allerdings ist nur eine halbe Lösung. Was Frankreich braucht ist eine umfassende Dezentralisierung, bei der Macht tatsächlich aus der Hauptstadt in die Regionen verteilt wird. Mehr politische Entscheidungen müssten vor Ort getroffen werden. Das würde die Unzufriedenheit senken, das ständige Gefühl, nicht gehört zu werden, und den Präsidenten entlasten, der dann mit dem Finger auch einmal auf die Zuständigen in der Provinz zeigen könnte.
Macrons Finanzierungsplan bleibt vage
Die alles beherrschende französische Zentralregierung ist altmodisch und demokratiefern. Aber soweit traut sich Emmanuel Macron mit seinen Reformen noch nicht voran. Er verspricht zunächst Verbesserungen bei Schulen und Ausbildung. Aber auch hier ginge es um einen grundlegenden Systemumbau. Das französische Schulwesen müsste weniger hierarchisch, offener, moderner werden.
Es würde allerdings noch den entschlossensten Präsidenten überfordern, sein unwilliges Volk zappelnd und schreiend ins 21. Jahrhundert zu zerren. Macron kann hier wie überall nur erste Schritte versuchen. Seine reformunwilligen Franzosen erlauben nicht mehr. Das haben sie in den vergangenen Monaten auf den Straßen deutlich gezeigt.
Dabei bleibt die Frage nach der Gegenfinanzierung für alle seit dem Frühjahr versprochenen Wohltaten, von der Anhebung des Mindestlohns und der kleinen Renten bis zur Steuersenkung für den Mittelstand, ziemlich vage. Macron spricht davon, Steuerschlupflöcher zu schließen und die Verwaltung zu schrumpfen. Aber das dürfte kaum reichen. Alles deutet auf eine höhere Neuverschuldung.
Reicht es für die Wende?
Wenn die Einzelheiten klar werden und die Franzosen wissen, wieviel Geld sie durch Macrons Wohltaten zusätzlich in der Tasche haben, dürfte sich die Stimmung bessern. Schon nach der nationalen Debatte stiegen seine Umfragewerte. Und der Präsident ist ein guter Kommunikator, kann sympathisch und nahbar wirken. Wenn er diese Begabung stärker nutzt, wird er zumindest einen Teil der moderaten Bürger bei seinen Reformen mitnehmen können.
Allerdings sind die Franzosen auch wetterwendisch, mit dem Revolutionsgen ausgestattet und verfügen über ein ausgeprägtes Anspruchsdenken. Es ist nicht leicht, sie halbwegs bei Laune zu halten. Und Präsident Macron ist auf Bewährung. Er darf sich vorläufig keine Missgriffe und größeren Fehler mehr erlauben. Er regiert ab jetzt unter erschwerten Bedingungen und ob er den Kampf um die Anerkennung durch seine Landsleute halbwegs gewinnen kann, ist noch völlig offen.