Hongkong fordert seine Rechte ein
Inzwischen sah sich die Zentralregierung in Peking genötigt, zu den anhaltenden Massendemonstrationen in Hongkong bei einer gesonderten Pressekonferenz Stellung zu nehmen. Zum ersten Mal seit der Rückgabe Hongkongs äußerte sich das Büro für Angelegenheiten Hongkongs, Macaus und Taiwans am Montag ausschließlich zum Thema Hongkong.
Neben der Verurteilung der "schockierenden Vorfälle" und der "massiven Schädigung der öffentlichen Ordnung und des Wirtschaftslebens durch eine geringe Anzahl von Meschen" bekräftigte der Sprecher die Unterstützung für die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam und die Polizeikräfte der Stadt. Ebenso wurde ihre Entscheidung begrüßt, das verhasste Auslieferungsgesetz zurückzuziehen, welches Auslöser der Proteste war. Bezeichnenderweise werden Bewohner Hongkongs "aus allen Schichten" aufgefordert, sich "eindeutig gegen Gewalt zu stellen".
Peking ist gebunden
Die Unruhen in Hongkong müssen die Führung in Peking nervös machen. Gesellschaftlicher Friede und Stabilität sind für sie das höchste Gebot. Aber Pekings Hände sind gebunden. Vor 22 Jahren hatten die Kommunisten bei der Wiederherstellung ihrer Souveränität über Hongkong versprochen, sich nicht in die lokalen Angelegenheiten einzumischen. Die im Grundgesetz (Basic Law) der Sonderverwaltungsregion niedergelegte Formel lautet: ein Land, zwei Systeme.
Peking würde sicherlich gerne die Straßenproteste verbieten lassen. Doch dem stehen die Hongkonger Gesetze und Grundrechte entgegen, zu denen auch Versammlungs- und Meinungsfreiheit gehört, sowie das weiterhin geltende Bekenntnis zur weitgehenden Autonomie Hongkongs.
Eine klare Missachtung dieses Prinzips würde Chinas Image als verantwortungsbewusster Nation auf der internationalen Bühne schaden. China vermittelt bei den komplizierten Atomverhandlungen mit dem Iran, bringt Nordkorea mit den USA an den Verhandlungstisch, bekämpft Piraterie vor der Küste Somalias, baut Infrastruktur entlang der Seidenstraße nach Europa und in Lateinamerika auf. Dabei gelobt China die lokalen Gesetze zu beachten und einzuhalten. Griffe es in der Sonderverwaltungszone vor der eigenen Haustür ein, stünden seine Glaubwürdigkeit und das Bekenntnis zur Gesetzestreue auf dem Spiel.
Nur echte politische Lösung hilft
Insofern bleibt auch die indirekte Drohung mit dem Einsatz der Volksbefreiungsarmee in Hongkong theoretisch. Die Demonstranten sind davon jedenfalls nicht beeindruckt. Die Debatte über die Zukunft des asiatischen Finanzzentrums wird weiterhin von mündigen Bürgern auf der Straße ausgetragen werden. Menschen, die sich mit Pekings Anweisungen nicht anfreunden können, fühlen sich politisch nicht vertreten, da weder die Verwaltungschefin noch ein wesentlicher Teil der Parlamentssitze frei, demokratisch und transparent gewählt wurden.
Die Rücknahme des umstrittenen Gesetzesentwurfs über die Auslieferung von Tatverdächtigen ans Festland stärkt die Überzeugung der Demonstranten, durch massive Proteste ihre politischen Ziele erreichen zu können. Die Hongkonger Verwaltung reagiert darauf bislang mit verstärktem Polizeieinsatz und indem sie Schlägertrupps gegen Demonstranten gewähren lässt. Aber Gewalt kann keine Lösung sein.
Nun ist Peking am Zug. Um die Lage zu beruhigen und seine Gesetzestreue unter Beweis zu stellen, sollte es einen Zeitplan für die demokratische Wahl des Hongkonger Regierungschefs gemäß dem Basic Law vorlegen.