Zwei Ereignisse, die ein Schlaglicht auf die Asylpolitik der Europäischen Union werfen: Die italienische Küstenwache hat am Mittwochmorgen 84 Menschen von einem havarierten Schlauchboot ohne Motor aus dem Mittelmeer retten lassen. Nach italienischen Angaben gab es zuvor stundenlange Streitereien zwischen den Behörden Libyens, Maltas, Gibraltars und Frankreichs darüber, wer für die Schiffbrüchigen zuständig sei.
Das zweite Ereignis ist die Veröffentlichung eines Berichts des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderer Organisationen. Danach ist nicht nur die Mittelmeerroute selbst besonders gefährlich. Auch der Fluchtweg durch Afrika mit Ziel Europa ist demnach eine "der tödlichsten Routen der Welt für Flüchtlinge und Migranten". Ihnen drohten "Misshandlungen, Folter, Zwangsarbeit, sexuelle Ausbeutung und willkürliche Tötungen".
Besonders Libyen, meist das Transitland für Flüchtlinge und Migranten Richtung Europa, ist für die Menschen "kein sicherer Ort", schreiben die Autoren des Berichts. Und hier kommt die europäische Asylpolitik ins Spiel. Denn im Auftrag der EU fängt die libysche Küstenwache viele der Boote ab, die nach Europa aufbrechen, und bringt die Menschen zurück - in das Land also, in dem ihnen nach UN-Einschätzung schlimmste Verfolgung droht.
Die Bootsflüchtlinge, die Italien nun aufgenommen hat und die zunächst zur italienischen Insel Lampedusa gebracht werden sollen, haben es zwar "geschafft". Ihr endgültiger Verbleib in Europa ist aber noch nicht geklärt. Es wird das übliche Betteln um mögliche Aufnahmeländer folgen. Fest steht zumindest schon, welche Länder es nicht sein werden: Ungarn oder Polen zum Beispiel werden keinen einzigen Flüchtling über ihre Grenzen lassen.
Berlin will das EU-Asylrecht reformieren
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, während der laufenden EU-Ratspräsidentschaft auch die EU-Asylpolitik zu reformieren. Reformieren heißt für Berlin: Alle sollen sich an der Aufnahme beteiligen. Innenminister Horst Seehofer will aber auch eine Art Vorprüfung von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen vornehmen lassen, um Personen ohne Chance auf Anerkennung gleich wieder zurückzuschicken.
Beide Vorhaben stoßen von Anfang an auf gewaltige Widerstände: Die Staaten, die die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, bleiben seit Jahren bei ihrem Nein. Sie wollen sich schon gar nicht von Deutschland, dem Land der vielbeschworenen Willkommenskultur von 2015/16, eine Migrationspolitik aufzwingen lassen, die sie zutiefst ablehnen. Auf der anderen Seite - und damit zurück zu den beiden aktuellen Ereignissen - bedeuten Asyl-Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen, dass Asylbewerber in hochgefährlichen Ländern wie Libyen festsitzen würden.
Großzügigkeit und Härte
Die Kritiker der Seenotrettung argumentieren, dass jede Rettungsaktion im Mittelmeer weitere Fluchtbewegungen nach sich zöge und dass die Seenot als Teil des Menschenschmuggels absichtlich herbeigeführt werde. Klar ist, dass eine erneute Ankunft von Millionen Menschen in Europa in den EU-Staaten schwerste gesellschaftliche Konflikte auslösen würde.
Die EU steckt hier in einem kaum zu lösenden Zweispalt: Rettung aus Seenot ist eine Selbstverständlichkeit, selbst wenn sie zum Kalkül des Menschenschmuggels gehört. Und eine Zurückweisung nach Libyen, das hat der UNHCR-Bericht erneut gezeigt, verbietet sich. Trotzdem sollte die EU keine Anreize zur Flucht geben.
Wenn es überhaupt eine Lösung gibt, dann werden es viele kleine Schritte sein. Es werden ebenso Schritte der Humanität und der Großzügigkeit wie harte Schritte der Zurückweisung sein. Allein das eine wäre verantwortungslos, allein das andere menschenverachtend. Nur das Gesamtbild ergibt eine glaubwürdige europäische Asylpolitik.