Baustelle Verfassungsschutz
28. Juni 2016Theoretisch passt das Wort vom "Frühwarnsystem" gut zum Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Bundesinnenminister Thomas de Maizière benutzt es gerne, wenn er über die ihm unterstellte Behörde spricht. Wie gut dieses Frühwarnsystem jedoch praktisch funktioniert, ist eine ganz andere und vor allem komplexe Frage. Deshalb ist es weder hilfreich noch fair, den Inlandsgeheimdienst nur an seinen Schwachstellen zu messen. Und davon gibt es einige.
Doch zunächst das Positive: Deutschland ist auch 15 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA von auch nur annähernd vergleichbaren Attentaten verschont geblieben. Das ist keine Selbstverständlichkeit, weil auch wir in eben jener offenen Gesellschaft leben, die von fanatischen Islamisten auf mörderische Weise bekämpft wird. Der anhaltende Erfolg im Anti-Terror-Kampf wäre also ohne die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden insgesamt unmöglich.
Niemand kann 9000 Salafisten in Schach halten
Der Verfassungsschutz sammelt permanent wertvolle Informationen über Gefährdungspotenziale, beobachtet so unterschiedlichste Milieus wie Islamisten, Rechts- oder Linksextremisten. Dabei kann sich die Bilanz im Kampf gegen religiös motivierte Verfassungsfeinde wirklich sehen lassen. Die Festnahme Terrorverdächtiger oder die Verhinderung von Anschlägen sind ein Indiz für professionelle Arbeit. Wobei nicht etwa der Umkehrschluss gilt, dass im Falle eines aus Sicht der Täter geglückten Attentats der Verfassungsschutz automatisch versagt hätte.
Niemand ist in der Lage, fast 9000 Salafisten in Deutschland total unter Kontrolle zu halten. Oder die mehr als 800 nach Syrien und in den Irak ausgereisten Gotteskrieger, von denen jeder Dritter zurückgekehrt ist. Und damit ein erhöhtes Anschlagsrisiko darstellt. Nochmal und mit den Worten des Innenministers: Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes verdienen Dank und Respekt.
Der tote V-Mann "Corelli" liegt wie ein Schatten über dem BfV
Ebenso verdient die Öffentlichkeit aber endlich Aufklärung darüber, warum im Kampf gegen den Rechtsextremismus in dieser Behörde so viel schiefläuft. Viereinhalb Jahre nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) häufen sich Meldungen über atemberaubende Ungereimtheiten im Zusammenhang mit sogenannten V-Leuten. Sie betreffen vor allem, aber nicht nur den Spitzel "Corelli". Der soll 2014 eines natürlichen Todes gestorben sein. Inzwischen ist nicht mehr auszuschließen, dass er vergiftet wurde. Und nachdem kürzlich in Panzerschränken des Verfassungsschutzes mehrere Mobiltelefone "Corellis" gefunden wurden, steht die Behörde zu Recht noch mehr im Zwielicht.
Ihrem Präsidenten Hans-Georg Maaßen und dem deutschen Innenminister ist nur zu wünschen, dass die Affäre absolut glaubwürdig aufgeklärt wird. Zweifel daran sind begründet, denn schon mehrmals wurden entweder Akten mit NSU-Bezug vernichtet oder es tauchten plötzlich CDs auf, die im Zusammenhang mit der rechtsterroristischen Gruppe standen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, wenn Verschwörungstheorien ins Kraut schießen.
Der Kampf gegen Rechts ist verbesserungswürdig
Dass es im Bundestag seit einigen Monaten den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss gibt, ist kein Zufall. Der erste Ausschuss beendete seine Arbeit 2013 mit zahlreichen Empfehlungen, darunter eine durchgreifende Reform des Verfassungsschutzes. Von einer kompromisslosen Umsetzung kann im Kampf gegen den Rechtsextremismus bislang keine Rede sein. Die Reputation des Dienstes steht deshalb mehr denn je auf dem Spiel. Erfolge auf anderen Feldern der Extremismus-Bekämpfung sind zwar schön und beruhigend. Aber das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Behörden sollte auf Dauer kein geteiltes sein.
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