Gibt es den politischen Willen zur Restitution?
5. Januar 2019Seit langem fordern afrikanische Nationen die Rückgabe von kulturellen Artefakten aus der Kolonialzeit. In Ländern wie Frankreich oder Deutschland, die früher Kolonialmächte waren, ist eine Debatte in Gang gekommen, die zuletzt durch die Bereitschaft europäischer Kulturschaffender und Politiker befeuert wurde, Kulturschätze zu restituieren.
Nach einem im November vorgelegten, mehr als 100 Seiten langen Bericht der französischen Wissenschaftler Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, der die Rückgabe Tausender kolonialer Objekte und deren Ausstellung in afrikanischen Museen empfiehlt, versprach Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, entsprechende Artefakte in die Herkunftsländer zu überstellen, insbesondere nach Benin. Deutschland positionierte sich in dieser Frage bislang weniger eindeutig. Bis März wollen Bund und Länder nun eine gemeinsame Stellungsnahme zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes vorlegen, wie der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda ankündigte.
Grütters: Vergangenheit aktiv aufarbeiten
2019 ist es genau ein Jahrhundert her, seit das gefallene preußische Reich mit der Unterzeichnung des Vertrags von Versailles seinen kolonialen Besitz verlor. Im September eröffnet das Humboldt Forum im neuen Berliner Stadtschloss mit einer Ausstellung, die eine Reihe von geplünderten kolonialen Kulturartefakten enthält.
Während die Eröffnung näher rückt, kündigte Kulturstaatsministerin Monika Grütters am 2. Januar an, aktiv auf die Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer von Kunstgegenständen aus der Kolonialzeit zugehen zu wollen, um die Objekte zurückgeben zu können. "Einfach nur passiv abzuwarten, bis jemand etwas zurückhaben möchte, ist nicht der richtige Weg, um unsere koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten", so Grütters.
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, erwiderte einen Tag später, das Humboldt Forum werde einen "Raum der Stille" enthalten, in dem die Menschen in Ruhe über die Verbrechen der Kolonialzeit nachdenken könnten. Allein zwischen 1904 und 1908 wurden Zehntausende indigene Herero- und Nama-Indianer bei Protesten gegen die deutsche Kolonialherrschaft ermordet. Deutschland erkannte dies erst 2015 als Völkermord an. Reparationszahlungen lehnt es weiterhin ab. Die angedachte Gedenkstätte ist die Versöhnungsgeste einer Institution, die bald Schätze aus der Kolonialzeit ausstellen wird.
Wie viel Blut klebt an den Objekten?
Bevor Bénédicte Savoy im Auftrag Emmanuel Macrons am Bericht über die Rückführung kolonialer Kunst arbeitete, saß sie im Beirat des Humboldt Forums. Im Juli 2017 legte sie ihre Tätigkeit aus Protest gegen die mangelhafte Provenienzforschung nieder. Sie wolle wissen, wie viel Blut von jedem Kunstwerk tropfe, sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". Ohne Provenienzforschung dürfe kein ethnologisches Museum eröffnet werden.
Trotz der von Monika Grütters in Aussicht gestellten Finanzmittel und Ressourcen für die Provenienzforschung und die damit verbundene aktive Restitution, bleiben viele Beobachter skeptisch. "Ist der Fokus darauf gerichtet, das Material zu den ursprünglichen Eigentümern auf den afrikanischen Kontinent zurückzubringen? Oder geht es darum, den Status Quo aufrechtzuerhalten, damit möglichst viele Objekte in den deutschen Museen bleiben?", fragt Tahir Della von Decolonizing the City, einer Berliner Initiative, die sich unter anderem für die Umbenennung von Straßen einsetzt, die nach deutschen Kolonialherren benannt sind.
Ausflüchte oder echte Argumente?
Wiebke Ahrndt, Ethnologin und Direktorin des Übersee-Museums in Bremen, plädiert für einen differenzierten Umgang mit dem Thema Rückgabe. "Die von den Franzosen aufgeworfenen Probleme - alles den Herkunftsländern zurückgeben - haben weder mit der Realität noch mit den Interessen dieser Länder zu tun", sagte sie im Gespräch mit der DW. "Besondere Objekte, kulturell sensible Objekte, darunter menschliche Überreste, Insignien der Führung und besondere religiöse Artefakte - das sind die Dinge, über die wir reden müssen."
Geht es dabei tatsächlich um das shared heritage, das geteilte Erbe - oder wollen deutsche Museumsdirektoren damit nur ihre Ablehnung einer umfangreichen Restitution kaschieren? Tahir Della fürchtet, dass die Aussagen von Grütters und Parzinger lediglich "auf Zeit spielen", anstatt einen wirklichen Dialog mit den ursprünglichen Besitzern zu beginnen. Als Beispiel nennt Della die Nefertiti-Statue, die derzeit im Neuen Museum in Berlin aufbewahrt wird. Das Museum suche Ausflüchte und behaupte, die Ikone sei "zu alt zum Reisen". So solle die Rückgabe des Objekts nach Ägypten abgewendet werden.
Den Dialog suchen
Jonathan Fine, Kurator der Afrika-Abteilung am Ethnologischen Museum in Berlin, beschreibt die ersten Schritte in Richtung Rückgabe folgendermaßen: "Wir müssen ins Gespräch kommen. Wir versuchen nichts zu verzögern." Fine gehört zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die die Herkunft von 1200 Kunstobjekten aus Namibia erforschen. In vielen Fällen führe seine Arbeit zu einer Restitution, sagte er auf Anfrage der DW.
Hermann Parzinger unterstützt derweil ein Projekt, das sich nach dem Vorbild der Washingtoner Erklärung von 1998 mit Deutschlands kolonialem Erbe beschäftigt: Damals erklärten die Unterzeichnerstaaten, die Eigentümer oder Erben von in der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmter Kunst ausfindig zu machen und zu entschädigen.
Als "Wischiwaschi" bezeichnet Tahir Della diese Idee und kritisiert, dass Diaspora-Gruppen wie "Decolonize the City" bei der Gründung solcher Initiativen ebenso wenig einbezogen werden wie in die Pläne rund um die Eröffnung der Humboldt Forums.
Leihen statt zurückgeben
Das Ethnologische Museum in Berlin, das im neuen Humboldt Forum untergebracht werden soll, verfügt über die zweitgrößte Sammlung von Bronzen aus Benin. Dabei handelt es sich um Kunstschätze, die im heutigen Nigeria aus dem alten Königreich Benin geplündert wurden. Zusammen mit einem Netzwerk europäischer Museen hat die Einrichtung entschieden, einige der rund 500 Objekte leihweise an ein Museum in Benin zu geben. Kritiker erkennen darin den Widerwillen, die Kulturgüter an die Herkunftsgesellschaften zurückzugeben.
Roxley Foley, Aktivist der australischen Aborigines, stellte dazu fest, dass nicht britische oder deutsche Museen die Kulturgüter an afrikanische Museen verleihen sollten - sondern umgekehrt. "Wie wäre es, wenn Sie uns die Gegenstände zurückgeben und wir sie Ihnen leihen?", fragte er im Juni 2018 auf einer Veranstaltung von No Humboldt 21. Der Gruppe gehören rund 80 Organisationen an, die kritisieren, dass die Baukosten des Stadtschlosses in Höhe von rund 600 Millionen Euro in die Provenienzforschung hätten investiert werden können.
Verbindliche Politik
Seit der Veröffentlichung von Savoys und Sarrs Bericht über die Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes, das sich in Frankreich befindet, sagen deutsche Museumsdirektoren wie Marion Ackermann von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die Kulturinstitutionen müssten nun einige komplexe rechtliche Fragen angehen, um die Rückgabe von Kulturgütern zu beschleunigen. Sie betonte jedoch die Notwendigkeit eines nationalen politischen Engagements, bevor solche Überreste in Länder wie Australien und Namibia zurückgeführt würden.
In diesem Sinne wollen Monika Grütters und die Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik, Michelle Müntefering, im März eine verbindliche Politik für Kulturerbe aus kolonialem Kontext schaffen. Tahir Della geht das nicht weit genug. Während Grütters betont, dass sowohl die europäische als auch die deutsche Kolonialgeschichte seit Jahrzehnten ein "blinder Fleck in der Erinnerungskultur" sind, sagt Della, dass er "den politischen Willen nicht sieht", um dies zu ändern.