Kohleausstieg: Vom Klimacamp zur großen Bewegung
25. August 2019Ein großes Zirkuszelt steht mitten auf einem abgeernteten Feld in Erkelenz, am Rand des großen Braunkohletagebau Garzweiler in der Nähe von Köln. Um das große Versammlungszelt herum gibt es viele kleinere Zelte - für Workshops, für die Stromversorgung, zum Schlafen und sogar eins für Kinder. In einer Ecke stehen Duschen, Waschtische und Kompost-Toiletten.
Im Küchenzelt des Klimacamps ist Frühstückszeit, mit Kaffee und Tee, Brot und Müsli. Die Stimmung ist entspannt, es gibt Ansagen auf Englisch und Deutsch zum Programm für heute.
Für 12 Tage kommen hier mehrere hundert Klima-Aktivisten aus rund einem Dutzend Ländern zusammen.
"Die Politik und die Konzerne tun nichts für den Klimaschutz. Also werden wir das machen. Das ist der Kern der Klimacamp-Bewegung. Mit Mitteln des massenhaften zivilen Ungehorsams werden die eigenen Körper genutzt, um das Klima zu schützen", beschreibt der Politologe Tadzio Müller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Bewegung.
Jette Monberg war schon beim ersten Klimacamp im Rheinland 2010 dabei, die BUNDjugend hatte es damals organisiert. "Wir waren am Tagebau Garzweiler in Borschemich rund 150 Menschen. Jetzt ist das Dorf schon abgebaggert, das ist traurig."
In den letzten zehn Jahre wurden die Camps im Rheinland immer größer und internationaler. Aktionsgruppen entstanden, die Gleise für den Kohlenachschub zu den Kraftwerken wurden blockiert, Besetzungen von Tagebau-Gruben sorgten für mediale Aufmerksamkeit. Auch anderswo in Deutschland und Europa wurden immer mehr Klimacamps organisiert. Inzwischen gibt es solche Camps gegen die Kohle-und Ölindustrie, gegen den Ausbau von Flughäfen oder Gaspipelines weltweit.
"Die Motivation ist, dass die Zeit drängt. Der Klimawandel ist inzwischen auch bei uns spürbar und dadurch wurden viele Leute aktiv in den letzten Jahren. Zugleich machen die Klimacamps aber auch Mut. Hier schöpfen wir viel Energie und Kraft", erklärt Monberg.
Experimentierfeld für nachhaltiges Leben
Die meisten Teilnehmer in den Klimacamps sind zwischen 20 und Mitte 30. Es geht um konkrete Aktionen, um Vernetzung, Austausch und Fortbildung. Zugleich sind die Camps aber auch ein Experimentierfeld für ein nachhaltiges Leben. "Wir schaffen hier eine Art Utopie und möchten einfach mal versuchen, wie man anders zusammenleben kann. Wir erzeugen unseren Strom größtenteils autark mit Solarenergie", sagt Campsprecherin Taalke Wolf. "Auch haben wir hier nicht wie sonst üblich diese chemisch stinkenden mobilen Toiletten. Kompost-Toiletten sparen Wasser und die Überreste werden kompostiert."
Die Organisation der Camps wurden über die Jahre immer professioneller. Kollektive übernehmen etwa das Kochen für ein paar Hundert oder mehrere Tausend Personen. Hier im Camp am Tagebau Garzweiler wird alles frisch vom Biobauern angeliefert, das Essen ist vegan und die Brote werden im Ofen vor Ort selbst gebacken. Einige Teilnehmer schneiden das Gemüse, andere spülen, putzen, sorgen für die Hygiene im Camp, leiten Workshops oder übernehmen als Dolmetscher mit zugehöriger Technik die Übersetzungen.
"Das Camp motiviert mich jedes Jahr. Beflügelt fahre ich dann wieder nach Hause. Es wird hier ein toller Ort geschaffen, Themen werden angesprochen. Jedes mal bin ich begeistert wie viele hunderte Menschen hier über Tage zusammenleben können und deshalb bin ich auch bei der Vorbereitung der Camps mit dabei", erzählt Wolf.
Inspiration für eine breite Klimabewegung
Auch Trainings zu den gewaltfreien Protest-Aktionen werden in den Camps organisiert. Einige sind bei der Besetzung im Hambacher Wald dabei, wo Aktivisten in Baumhäusern die Abholzung des alten Waldes durch den Energiekonzern RWE verhindern wollen. Letztes Jahr gab es dort Großdemonstrationen mit bis zu 50.000 Teilnehmern.
"In der Auseinandersetzung um die Dörfer und den Hambacher Wald haben die Klimacamps sehr geholfen. Die Camps sind an den Punkten der Auseinandersetzung, an den Hotspots der CO2-Emissionen, den Hotspots der Vernichtung durch die Braunkohleförderung", sagt Antje Grothus von der Initiative Buirer für Buir. Als Sprecherin für die vom Tagebau betroffenen Anwohner war sie auch in der sogenannten Kohlekommission der Bundesregierung, die einen Vorschlag für den Kohleausstieg in Deutschland erstellte.
"Wir von der Initiative haben hier sehr viele wertvolle Impulse auch für uns selbst mitgenommen von diesen vielen jungen und engagierten Menschen. Es ist die Selbstermächtigung, sich selbst zu organisieren, selbst Ideen zu entwickeln, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen und Aktionen vor Ort durchzuführen."
Durch die junge Klimabewegung keimt auch neue Hoffnung bei Bewohnern von Dörfern auf, die vom Tagebau bedroht sind, sagt Britta Kox. Laut RWE-Plänen soll auch sie wegen der Braunkohle ihr Dorf verlassen. "Jetzt haben wir gute Chancen einen Teil der Dörfer zu retten. Aber RWE macht weiter Druck. RWE will, dass wir so schnell wie möglich gehen." Im Zelt der Dorfbewohner auf dem Klimacamp zeigt Kox Fotos vom Widerstand der Bewohner vor über 30 Jahren.
Wohin steuert die Klimabewegung?
Laut dem Politologen Tadzio Müller ist die Klimabewegung mit Fridays for Future in diesem Jahr stark gewachsen. In Deutschland sei sie im Vergleich zu anderen Ländern besonders groß, weil es deutlich geworden sei, dass die Klimapolitik der Bundesregierung "nicht funktioniert", sagt Müller.
Müller ist Referent für Klimagerechtigkeit bei der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung und hat die Protestaktion "Ende Gelände" mitbegründet. Er beobachtet, dass die wachsende Klimabewegung immer mehr Teile der Gesellschaft erreicht und zunehmend Wahlen bestimmt."Wer jetzt das Klima nicht schützt wird an den Wahlurnen platt gemacht".
Aktion wie die Proteste im Hambacher Wald wirken dabei wie der Kampf David gegen Goliath. Das zerstöre auch das Image von Deutschland als Klimaretter und zeige, "dass wir doch keine Ökoweltmeister sind, sondern der Weltmeister der Braunkohle."
Laut Müller wird der Umgang mit dem Klimaschutz in Deutschland in den nächsten Jahren "zu einem zentralen Thema und ist nicht mehr wegzudenken".