Kohleausstieg: Fortschritt oder fauler Kompromiss?
24. Januar 2020Die Bundesregierung beschloss Ende Dezember ein Klimapaket, um den CO2-Ausstoß im Verkehr und in Gebäuden zu verringern. Nun legt die Regierung auch einen Fahrplan für den Kohleausstieg in Deutschland vor.
Was soll sich ändern?
Bisher macht Kohlestrom im deutschen Stommix rund 29 Prozent aus. Die letzten Atomkraftwerke werden in Deutschland 2022 abgeschaltet und nun sollen bis spätestens 2038 auch alle Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Das Ziel: 2050 soll der CO2-Ausstoß in Deutschland bei Null liegen und der Energiebedarf komplett mit erneuerbaren Energien gedeckt werden, in der Übergangszeit auch noch mit Erdgas.
Laut Fahrplan für den Kohleausstieg sollen bis Ende 2022 zunächst acht besonders alte Braunkohlekraftwerke bei Köln vom Netz genommen werden. Bis 2029 folgen zehn weitere Kraftwerke im Alter zwischen 40 und 50 Jahren in den ost-und westdeutschen Braunkohlerevieren folgen.
Die Stromerzeugung mit neueren Braunkohlekraftwerken soll laut Abschaltplan spätestens 2038 enden. Zugleich beschloss die Regierung Entschädigungszahlungen für die Kraftwerksbetreiber und einigte sich auf Strukturhilfen für die Kohleregionen.
Allerdings wollen die Minister ein fertiggebautes Steinkohlekraftwerk in Datteln ans Netz gehen lassen, wenn das auch die Gerichte erlauben. Der Umweltverband BUND und Anwohner klagen dagegen.
Für Klimaziel bleibt nicht mehr viel Zeit
Der Weltklimarat (IPCC) hat 2018 in einem Sonderreport zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels berechnet, wie viel die Menschheit noch einsparen muss, um die Erderhitzung zu begrenzen.
Bei einem jährlichem CO2-Ausstoß auf dem jetzigen Niveau wäre nach 25 Jahren das Limit für eine Temperaturerwärmung auf zwei Grad erreicht. Wird danach noch weiter CO2 ausgestoßen, wird es noch heißer.
Soll die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt werden, wie im Pariser Klimaabkommen beschlossen, ist das CO2 Budget deutlich kleiner. Laut IPCC Berechnungen dürfen für dieses Ziel jetzt nur noch insgesamt rund 330 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen. Bei global gleichbleibenden Emissionen wäre dieses Limit in weniger als 8 Jahren erreicht. Wenn die CO2 Emissionen schneller sinken, bleibt mehr Zeit.
Ist Deutschland auf dem Pariser Pfad?
Klimaexperten sind sich einig: die jetzt beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung reichen nicht aus, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung, Klimaforscher und Umweltverbände fordern daher eine Anhebung der nationalen Klimaschutzziele, die die Regierung schon 2007 beschlossen hatte.
Denn diese Ziele wurden seitdem nicht aktualisiert und berücksichtigen weder das Pariser Abkommen von 2015 noch die neuesten Zahlen der IPCC Wissenschaftler.
Vorschlag der Kohlekommission
Im Juni 2018 setzte die Bundesregierung eine sogenannte Kohlekommission ein. 28 Vertreter von Verbänden, Industrie, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen sollten zusammen mit Wissenschaftlern einen Vorschlag für einen sozialverträglichen Kohleausstieg vorlegen, um die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen.
Das Ziel der Kommission war der Kohleausstieg im Konsens. Im Januar 2019 legte die Kommission die Empfehlung für den Kohleausstieg vor mit einem konkretem Fahrplan: Der Kohleausstieg soll bis spätestens 2038 ganz abgeschlossen sein, und bis dahin könnte weiter nachjustiert werden.
Den Wissenschaftlern und Umweltexperten in der Kommission war damals klar, dass der gefundene Kompromiss noch nicht ausreichte zur Einhaltung des Pariser Klimaziele. Trotz dieser Bedenken stimmten die Experten dem Kompromiss zu. Sie wollten Blockaden auflösen und mit dem Beginn des Kohleausstiegs den Ausstoß von CO2 in Deutschland senken.
Regierung verändert Kompromiss und sorgt für Empörung
Ein Jahr nach dem Vorschlag der Kohlekommission präsentierte die Bundesregierung Mitte Januar 2020 ihren Fahrplan für den Kohleausstieg. Wissenschaftler und Umweltexperten zeigen sich entsetzt und enttäuscht.
Der Bundesregierung werfen acht Mitglieder der ehemaligen Kohlekommission in einer Stellungnahme eine Missachtung der Kommissionsempfehlungen vor. Die von der Bundesregierung vorgenommenen Veränderungen seien "gravierend" und gingen "einseitig zu Lasten von Klimaschutz und Tagebaubetroffenen."
Die Kommissionsmitglieder kritisieren, dass dem Ausstieg aus der Braunkohle so mehr Zeit gegeben wird und dadurch der CO2-Ausstoß um 40 Millionen Tonnen CO2 steigt bis 2030. Zudem gäbe es durch eine veränderte Reihenfolge von Kraftwerksschließungen "unnötige und unwiederbringliche Zerstörung von Dörfern" am Tagebau Garzweiler bei Köln.
Kritik gibt es auch für die Entscheidung der Regierung zur Inbetriebnahme des neuen Steinkohlekraftwerks Datteln und der damit verbundenen zusätzlichen Emissionen. Dies entspräche nicht den Empfehlungen der Kohlekommission.
Das Ringen um einen gesellschaftlichen Konsens hält die ehemalige Kommissionsvorsitzende Prof. Barbara Praetorius für gescheitert. Mit dem umstrittenen Ausstiegsplan setze die Regierung "die Befriedung des gesellschaftlichen Großkonflikts aufs Spiel."
Konfrontation oder Dialog?
Als "gelungenen Durchbruch für ein Mammutprojekt der Energiewende“ bezeichnet dagegen das Bundeswirtschaftsministerium den Regierungsbeschluss zum Kohleausstieg gegenüber der DW. Im Wesentlichen entspräche der Kompromiss dem Vorschlag der Kohlekommission, so auch ein Sprecher des Umweltbundesministerium. Aus diesem Grund "kann Bundesumweltministerin Schulze den Vorwurf der Kommissionsmitglieder in seiner Pauschalität nicht nachvollziehen." Schulze und Wirtschaftsminister Peter Altmaier zeigen sich jedoch offen für weitere Gespräche.
Klimaaktivisten und Anwohner von Tagebauen sind enttäuscht. Sie wollen gegen weitere Zerstörung von Dörfern für den Kohleabbau und das neuen Kraftwerk in Datteln protestieren. Gegen die Erweiterung der Tagebaue im Rheinland wurden bereits Klagen eingereicht, Gerichte müssen entscheiden ob weitere Enteignungen noch zulässig sind.
Über das geplante Kohleausstiegsgesetz wird in den nächsten Wochen der Bundestag debattieren. Abgeordnete der SPD-Fraktion, Linke und Grüne fordern Korrekturen beim Fahrplan zum Kohleausstieg.
Kritik gibt es auch an den geplanten Entschädigungszahlungen an die Betreiber alter Kohlekraftwerke, die jetzt im Strommarkt kaum noch rentabel sind. Lukas Köhler, klimapolitischer Sprecher der FDP im Bundestag spricht von Verschwendung. Das seien "Steuergeschenke an die Unternehmen auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger."