Klimastreik und Wahl: Jung gegen Alt?
23. September 2021Deutschland ist beim Blick auf die "Map of Action" rot. Die "Streik-Karte" auf der Homepage von Fridays for Future zeigt mit roten Pins an, wo auf der Welt an diesem Freitag Klima-Demonstrationen oder Aktionen angemeldet wurden. In Deutschland stehen die Pins dicht an dicht – mehr als 440 einzelne Aktionen listet Fridays for Future Deutschland auf.
Auch Jana Boltersdorf wird wieder fürs Klima protestieren. Die Studentin ist von Anfang an bei Fridays for Future aktiv, ging als Schülerin an Streiktagen zu den Demos, statt zum Unterricht. An diesem Freitag wird sie 20 und am Sonntag kann sie dann das erste Mal ihre Stimme bei einer Bundestagswahl abgeben.
"Diese Wahl ist eine Klimawahl"
Mit dem Streik vor der Wahl wolle man den Wahlberechtigten noch einmal klar machen, dass diese Wahl eine Klimawahl sei, sagt Boltersdorf. "Die Politiker:innen, die wir jetzt wählen, werden ganz entscheidend dafür sein, was in den nächsten vier Jahren in Sachen Klimaschutz in Deutschland passiert."
Tatsächlich zeigen Studien: Die Themen Klima und Umwelt treiben immer mehr Menschen in Deutschland schon länger um.
Eine Woche vor der Bundestagswahl stand der Klimawandel für die Bundesbürger auf der Liste der wichtigsten Probleme in Deutschland sogar ganz oben, so eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen. Für die eigene Wahlentscheidung aber nannte ihn nur knapp die Hälfte, 43 Prozent, der Befragten als "sehr wichtig".
"Hohe Legitimität in der Bevölkerung"
Zu dem gestiegenen Bewusstsein hätten unter anderem die Klima-Demonstrationen beigetragen, sagt Bernd Sommer. Der Sozialwissenschaftler leitet die Forschungsbereich Klima, Kultur & Nachhaltigkeit am Norbert Elias Center for Transformationsdesign & Research der Europa-Universität Flensburg. "Die Berichterstattung über Extremwetterereignisse, dass die Folgen des Klimawandels schon überall sichtbar werden, spielt eine Rolle, aber gleichzeitig auch der Protest von Fridays For Future und anderen Klimaakteuren, die das Thema auf die Straße und damit auch in den politischen Diskurs bringen." Dass dies innerhalb von nur knapp drei Jahren gelungen sei, sei bemerkenswert, betonte der Sozialwissenschaftler.
Entstanden aus einer Bewegung von Schülerinnen und Schülern, solle auch bei diesem Streik das Thema Klimagerechtigkeit ganz vorne stehen, sagt Boltersdorf. "Wir wollen vor allem auch den Menschen eine Stimme geben, die aufgrund ihres Alters noch nicht wählen gehen können, die aber ganz besonders unter der Klimakrise leiden werden."
Dieses Phänomen, mit dem die junge Generation konfrontiert sei, verletze das Betroffenheitsprinzip, erläutert Sozialwissenschaftler Sommer. "Das ist eines der Demokratieprinzipien, und es besagt, dass jeder, der von einer Entscheidung betroffen ist, auch die Möglichkeit haben muss, an ihr mitzuwirken."
Klimakrise macht Zukunftsangst
Diese Klima-Ungerechtigkeit mache viele junge Menschen sehr wütend, berichtet Pauline Brünger, Sprecherin von Fridays for Future Deutschland. "Dazu kommt die große Frustration darüber, wie der politische Diskurs in den letzten Monaten vonstattengegangen ist." Etwa, dass aus der verheerenden Flutkatastrophe in Deutschland, bei der es so viel Leid und Schmerz gegeben habe, keine Konsequenzen in der Klimapolitik folgten.
Anfang September zeigte eine Befragung von 10.000 Kindern und Jugendlichen aus zehn verschiedenen Ländern: Mehr als zwei Drittel von ihnen empfinden die Zukunft als beängstigend. Fast die Hälfte gab an, der Klimawandel beunruhige sie so sehr, dass ihr tägliches Leben beeinträchtigt werde.
Doch die großen Sorgen, die sich junge Menschen um ihre Zukunft machen, scheinen den Großteil der älteren Generation nicht anzufechten - zumindest nicht in Deutschland.
In einer Studie, die von der Naturschutzorganisation NABU beauftragt wurde, gaben fast zwei Drittel der befragten über 65-Jährigen an, bei ihrer Wahlentscheidung die Klima- und Naturschutzinteressen junger Generationen nicht berücksichtigen zu wollen.
Die Älteren aber werden die Bundestagswahl entscheidend beeinflussen, denn die über 70-Jährigen stellen die größte Gruppe der Wahlberechtigten: 12,8 Millionen. Zum Vergleich: Die Gruppe aller Erstwählenden kommt auf gerade mal 2,8 Millionen.
"Die bösen Alten gibt es nicht"
Den so viel beschworenen Generationenkonflikt in Sachen Klima will Fridays-For-Future-Sprecherin Pauline Brünger aber nicht befeuern. "Es hat gar keinen Sinn, pauschal von 'den guten Jungen und den bösen Alten' zu sprechen". Es gebe viel Ältere, die sich für den Klimaschutz einsetzten. Und Sozialwissenschaftler Sommer betont: "Nicht die gesamte Jugend interessiert sich für den Klimaschutz."
Felix Peter, Psychologe und Mitverfasser des Buchs Climate Action - Psychologie der Klimakrise, sieht nicht das Alter für die Haltung gegenüber Klima- und Umweltfragen als ausschlaggebend an. Er sagt: Die aktuelle Politik betone zu oft die Sorgen über notwendige Veränderungen, statt deren Lösungen - das löse Widerstand aus.
"Wenn etwa älteren Menschen suggeriert wird, dass Klimaschutz bedeutet: 'Ihr dürft nicht mehr Auto fahren', dann stößt notwendiger Klimaschutz auf Widerstand, weil sie etwa auf ihr Auto angewiesen sind, um zum Arzt zu fahren. Was wir brauchen, sind veränderte Rahmenbedingungen, die es allen Menschen leichter machen, sich klimafreundlich zu verhalten." So ließen sich Gewohnheiten schneller verändern, dann könne auch der Widerstand schwinden, sagt Peter. "Solange wir aber unter klimaschädlichen Regeln leben, wird es uns kaum möglich sein, klimafreundlicher zu leben."
Radikalisiert sich die Klimabewegung?
Doch was folgt, wenn die Klimapolitik so träge bleibt, wie sie derzeit ist? Wird sich die Klimabewegung radikalisieren? "Ich denke schon, dass - je nachdem wie die Bundestagswahl ausgeht und wie viel in den kommenden Jahren in Sachen Klimaschutz passiert - da auf jeden Fall ein gewisses Radikalisierungspotential drinsteckt", sagt Klimaaktivistin Jana Boltersdorf. "Je länger die Regierenden die Klimakrise nicht als die Krise behandeln, die sie ist, desto mehr zivilen Ungehorsam wird es meiner Prognose nach geben."
Es gab und gibt ihn auch vor der Wahl schon: In Form von Baumhäusern gegen die Rodung des Hambacher und des Dannenröder Forst, Autobahn-Blockaden zur Internationalen Automobilausstellung in München, besetzten Braunkohlegebieten und Steinkohle-Baggern. Erstmals gingen Menschen in Deutschland aus Sorge vor der Klimakrise sogar in den Hungerstreik.
Es sei wichtig, dass es vielfältige Aktionen gebe, sagt Fridays-for-Future-Sprecherin Pauline Brünger. Man solidarisiere sich mit vielen anderen Protestformen, die Schülerstreik-Bewegung selbst aber sehe ihren Platz weiterhin beim Protest auf der Straße - auch nach der Bundestagswahl. Denn man müsse der Realität ins Auge blicken, dass wahrscheinlich keine Koalition einen Vertrag unterschreiben werde, der mit dem Pariser Klimaabkommen konform sein werde.
"Deswegen ist es essentiell, dass wir dann weiter Druck ausüben, damit die nächste Bundesregierung ihrer Verantwortung gegenüber meiner und folgender Generationen gerecht wird und konsequenten Klimaschutz umsetzt."