Für Datteln-4-Gegner ist kein Turm zu hoch
2. Februar 2020Flummi kennt das ja alles schon. Der junge Klimaaktivist hat alle Proteste der Organisation von "Ende Gelände" gegen die Abholzung des Hambacher Forstes mitgemacht, er wohnt sogar noch dort. Aber der Hambacher Wald war gestern, heute ist Datteln 4. Und deswegen ist Flummi, so sein Spitzname, im Morgengrauen mit mehr als 100 Aktivisten in einer Nacht- und Nebel-Aktion auf das Areal des Steinkohlekraftwerks vorgedrungen.
Bei strömendem Regen und pitschnass sitzt er auf einer Verladeanlage für Kohle, gleich neben dem riesengroßen Banner "Exit Coal – enter Future", raus aus der Kohle, rein in die Zukunft. Flummis roter Anzug schützt ihn nicht gegen die Schauer, die Farbe soll ein Symbol für die "Blutkohle" aus Kolumbien sein, die in Datteln verfeuert werden soll - "Blutkohle" wegen der Menschenrechtsverletzungen in Südamerika.
Hambach Nummer zwei?
Die Kohlegegner von "Ende Gelände" sind perfekt organisiert, Flummi spricht mit der DW übers Handy. Er sagt: "Mit uns wird kein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen, dafür werden wir kämpfen!"
Kämpfen heißt für Flummi: stundenlang kauernd im Regen ausharren, den über ihm kreisenden Hubschrauber der Polizei fest im Blick, um sich dann am Nachmittag von den Polizisten wegtragen zu lassen. Was im Hambacher Wald gelang, ein kleines Waldstück durch jahrelange Proteste zu erhalten und den Kampf gegen RWE zu gewinnen, soll bei Datteln nochmal klappen.
Der Gegner ist mit dem finnischen Betreiber Uniper ein anderer, das Ziel ist für Flummi das Gleiche: "Wir lassen das der Politik und Wirtschaft nicht durchgehen, der Widerstand wird ähnlich werden wie in Hambach."
Die Kohlekommissionhatte vor einem Jahr Verhandlungen mit Uniper empfohlen. Das Steinkohlekraftwerk sollte nicht mehr ans Netz gehen. Höhe der Entschädigungszahlungen: etwa anderthalb Milliarden Euro. Doch die Bundesregierung hielt sich in ihrem Kohleausstiegsgesetz nicht an diese Empfehlung.
Geld für Investor in der Lausitz
Und so soll ziemlich genau der Beitrag für Datteln an den tschechischen Investor Leag fließen, damit dieser seine Kohlegruben im Osten dicht macht, nämlich 1,75 Milliarden Euro. Doch vertrauliche Unterlagen legen nahe, dass Leag ohnehin plante, seine Kohlegruben und Kraftwerke zu schließen.
Während also in der Lausitz ein Investor Geld quasi für nichts bekommt, fehlt diese Summe im Westen. Und nicht nur Klimaschützer, Wissenschaftler und Oppositionspolitiker fragen sich: Wie passt es zusammen, aus der Kohle aussteigen zu wollen, sich dafür weltweit als Vorreiter feiern zu lassen, und gleichzeitig ein Steinkohlekraftwerk in Betrieb zu nehmen, als einziges in Westeuropa? Auch wenn dafür ältere und schmutzige Meiler vorher schließen sollen?
"Es passt eben nicht zusammen und ist ein fatales Signal: man geht aus der Kohle raus und öffnet gleichzeitig ein neues Kohlekraftwerk. Aber die letzten Jahre haben leider gezeigt: Wir können uns nicht auf die Politik verlassen!", lautet die Antwort von Kathrin Henneberger.
Ein Anruf aus Finnland
Die 32-Jährige ist das Gesicht von "Ende Gelände", die Pressesprecherin, bei ihr laufen alle Fäden der Klimaaktivisten zusammen. Henneberger ist ein absoluter Medienprofi, alle paar Minuten vibriert oder klingelt ihr Handy, routiniert beantwortet die frühere Sprecherin der Grünen Jugend die vielen Medienanfragen.
Gebetsmühlenartig wiederholt die Frau, der RWE vor einem Jahr ein Hausverbot erteilte, ihre Botschaft in die Mikrofone der zahlreichen Journalisten: "Wir rufen alle Bürger dazu auf, sich an den Protesten zu beteiligen", "Die Klimakrise ist jetzt schon grausame Realität, und wir rasen auf eine Welt zu, die vier bis sechs Grad heißer ist" oder "Wir müssen jetzt raus aus den fossilen Energien".
Und so lässt sich Henneberger auch nicht bei der Frage aus der Reserve locken, wie sie die Überraschungsaktion in Datteln denn organisiert habe: "Details zur Planung kann ich nicht nennen", sagt sie mit einem Lächeln, "aber die Aktion ist auf jeden Fall ein großer Erfolg!" Der Protest schlägt so große Wellen, dass am späten Morgen sogar der finnische Rundfunk für ein Interview anfragt.
Für einen Moment ist da selbst die Pressesprecherin von "Ende Gelände" sprachlos. Dabei ist genau das ja auch Hennebergers Antrieb: sie will mit den Protestaktionen zeigen, dass Klimaschutz eine internationale Herausforderung über Ländergrenzen hinweg ist.
Am Nachmittag verlassen Flummi und die anderen Aktivisten das Steinkohlekraftwerk Datteln 4, laut Polizei friedlich und ohne Zwischenfälle. Personalien werden aufgenommen, das Unternehmen Uniper stellt Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, ein Tor soll aufgebrochen worden sein, Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr drohen. Flummi wird das aber kaum abhalten, auch bei der nächsten Aktion wieder dabei zu sein: "Ich bin bereit, das Risiko einzugehen. Weil der Protest politisch sehr wichtig und leider notwendig ist!"