Ist Deutschland ein Klimaschutz-Zombie?
13. Juni 2018Zu was sich Deutschland in Sachen Klimaschutz verpflichtet hat, das klingt auf den ersten Blick eindrucksvoll. Eine der führenden Industrienationen der Welt, mit Hightech-Maschinenbau und energieintensiven Unternehmen, will die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 senken. So steht es in zahlreichen Regierungsbeschlüssen, so haben es deutsche Regierungen ein ums andere Mal auf Klimaschutzgipfeln gebetsmühlenartig wiederholt und hohe Erwartungen geweckt. Damit ein solch radikaler Umbau des Energiesystems allerdings gelingen kann, müssen Autos emissionsärmer, Heizungen klimaschonend und der Stromsektor statt mit Kohle und Gas mit Wind, Sonne und Biomasse angetrieben werden.
Bundesregierung gesteht sich Klimaschutzversagen ein
Das Problem: Selbst die Bundesregierung traut ihren eigenen, hochgesteckten Klimaschutzzielen nicht mehr. Was Wissenschaftler bereits seit Wochen und Monaten vorhersagen, das hat sich am Mittwoch im Bundeskabinett jetzt auch die amtierende Bundesregierung von Union und SPD eingestanden: Bis 2020 werden die ambitionierten deutschen Klimaschutzziele krachend verfehlt. Geht es mit der Umsetzung der Energiewende weiter so schleppend voran wie bisher, dann werden die selbstgesteckten Klimaziele um bis zu acht Prozentpunkte verfehlt. Statt 40 Prozent also nur 32 Prozent weniger klimaschädlicher Kohlendioxidausstoß. Davon spricht die Bundesregierung in ihrem Klimaschutzbericht, der jetzt vom Kabinett verabschiedet wurde.
Bislang mogelten sich die amtierende und auch die vormalige Bundesregierung um exakte Aussagen zum Erreichen der eigenen Klimaschutzziele herum. Mal sprachen Regierungsvertreter von einer Lücke von fünf, ganz selten von vielleicht mehr Prozentpunkten. Jetzt wird deutlich, dass die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit noch viel größer werden könnte. Wächst das Verkehrsaufkommen mit Verbrennungsfahrzeugen in Deutschland weiter so stark wie zuletzt, dann werde die Lücke sogar noch größer als die acht Prozentpunkte ausfallen, heißt es im Regierungspapier. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) reagierte zerknirscht. "In der Klimapolitik hat es in den vergangenen Jahrzehnten Versäumnisse gegeben, die man nicht in kurzer Zeit wiedergutmachen kann", sagte sie am Rande der Kabinettsklausur.
Deutschland – ein Zombie der internationalen Klimapolitik?
Für Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, ist das Scheitern das Ergebnis einer Politik der absoluten Kurzsichtigkeit. Der DW sagte er: "Wenn alle so einen schlechten Klimaschutz wie die Deutschen machen würden, dann bekommen wir in einen globalen Temperaturanstieg von 3 bis 4 Grad Celsius". Mit Blick auf kommende Generationen hält Quaschning eine solch verantwortungslose Politik für "einfach nur pervers". Auch viele Oppositionsparteien teilten hart gegen die vermeintliche "Klimakanzlerin" Merkel aus. Für die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sind die neuen Zahlen das Eingeständnis, dass Angela Merkel viel über Klimaschutz rede, aber nur wenig liefere. Das sagte sie dem "Spiegel". Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt hat in den vergangenen Jahren keinen Fortschritt bei der Reduktion der CO2-Emissionen gemacht, obwohl Wind- und Solarkraftwerke deutlich ausgebaut wurden.
EU-Emissionshandel auf Verkehrssektor ausweiten
Der klimapolitische Sprecher der Liberalen, Lukas Köhler, hält die aktuelle Klimaschutzstrategie des Landes für gescheitert. Statt medienwirksam wie geschehen eine Kohlekommission einzusetzen, die den Ausstieg aus der Verstromung von Kohle vorbereiten soll, sieht die FDP den größten Handlungsbedarf im Verkehrssektor. Dort sei der CO2-Ausstoß zuletzt erneut gestiegen. Eine Ausweitung des europäischen Emissionshandelssystems auf den Verkehrssektor hält Köhler für den nächsten Schritt. Bislang werden in Europa ausschließlich CO2-Verschmutzungsrechte von Großkraftwerken mit Preisaufschlägen belegt. Eine Ausweitung des Emissionshandels auf den Verkehrssektor würde das Fahren klimaschädlicher, leistungsstarker Premium-Limousinen deutlich verteuern. Ein Aufschrei der deutschen Autolobby wäre vorprogrammiert.
Die zuständigen Bundesministerien sehen den Grund für das Verfehlen des Klimaschutzzieles für 2020 auch in der "unerwartet dynamischen Konjunkturentwicklung sowie durch das unerwartet deutliche Bevölkerungswachstum" durch Geflüchtete. Zudem räumt die Bundesregierung im jetzt verabschiedeten Klimaschutzbericht ein, dass das medienwirksam aufgesetzte "Aktionsprogramm Klimaschutz 2020", was die Lücke mit Notmaßnahmen schließen sollte, nicht wirksam war. Und Professor Volker Quaschning sagt voraus: "Mit den jetzt von der Bundesregierung angedachten Maßnahmen werden nicht nur die 2020er-Ziele verfehlt, sondern auch die 2030er-Klimaziele mit Pauken und Trompeten gerissen."
Mahnende Worte kommen deshalb auch von der Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an die Adresse der Bundesregierung. Die OECD, ein Zusammenschluss von 35 Industrie- und Schwellenländern, rief Deutschland zu mehr Kraftanstrengungen beim Klimaschutz auf. "Es ist wichtig, Ziele auch fristgerecht einzuhalten, weil daran die gesamte Glaubwürdigkeit der Klimapolitik hängt", hieß es im OECD "Economic Survey on Germany". Es scheint so dass Deutschland sich um sein internationales Renommee als Vorreiter bei Energiewende und Klimaschutz ernsthaft Sorgen machen sollte.