Kirgisistan will mehr Quecksilber produzieren
6. Dezember 2021Die kleinen Hügel bei Aidarken schimmern leicht rot. Hinter ihnen qualmt kräftig ein hoher Schornstein. Hier unter der Erde liegt der Schatz der kleinen kirgisischen Stadt: Zinnober. Das ist ein kräftig rot leuchtendes Mineral mit einem hohen Anteil an Quecksilber. Unter Tage zertrümmern deswegen Männer mit Stirnlampen auf dem Kopf und Vorschlaghammern in der Hand Felsstück für Felsstück. Es ist dunkel und staubig; das Quecksilber im Gestein ist gefährlich.
Das Quecksilberkombinat von Aidarken ist eines der letzten Unternehmen auf der Welt, in der Zinnober überhaupt noch legal abgebaut und das Quecksilber anschließend auf dem Weltmarkt verkauft wird. Denn im Oktober 2013 einigten sich zahlreiche Staaten auf die Minamata-Konvention. Das globale Abkommen verbietet seit dem vergangenen Jahr die Produktion von Quecksilber sowie den internationalen Handel zahlreicher quecksilberhaltiger Produkte. 135 Staaten haben das Minamata-Abkommen bislang unterzeichnet.
Die Unterschrift von Kirgistan fehlt. Denn das Quecksilber ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das Land. Daher plant Kirgistan derzeit sogar, die Förderung des giftigen Minerals auszuweiten. Dabei warnen Forscher längst. "Ich glaube, dass die Umweltverschmutzung durch das Quecksilber nicht nur unser Problem hier in der Region ist", sagt Makhmud Isirayilov. Er ist Leiter eines nahegelegenen Labors des Gesundheitsministeriums. "Es ist ein globales Problem."
Lukrativer Weltmarkt
Etwa 10.000 Menschen leben in Aidarken. Seit 1941 wird hier Quecksilber abgebaut. Damals gehörte Kirgistan noch zur Sowjetunion, die das Quecksilber vor allem für die Rüstungsindustrie während des Zweiten Weltkriegs fördern ließ. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion blieb die Mine in staatlicher Hand. Das Quecksilber ging in weiten Teilen in den Export nach China, Russland, Kasachstan, die Ukraine, Indien, Frankreich und in die USA.
Seit Inkrafttreten der Minamata-Konvention geht der internationale Handel mit Quecksilber weltweit zurück. Dennoch wurde 2019 weltweit noch Quecksilber im Wert von rund 38 Millionen Dollar (32 Mio. Euro) gehandelt.
Für die arme kirgisische Provinz Batken, in der Aidarken liegt, ist das Quecksilber ein wichtiger Wirtschaftsmotor. Das Metall wird bei der Produktion von Lampen, Elektrogeräten oder Batterien verwendet. Auch in kleinen Goldminen wird Quecksilber verwendet, vor allem in Südamerika und in Subsahara-Afrika. Das flüssige Quecksilber wird dabei eingesetzt, um die feinen Goldteilchen zu binden. Auf diese Weise gelangten 2015 weltweit rund 2500 Tonnen Quecksilber in die Atmosphäre.
Der illegale Abbau von Quecksilber floriert weltweit, auch in Unterzeichnerstaaten des Minamata-Abkommens. Und auch im Amazonasgebiet wird Quecksilber in großen Mengen aus dem Boden geholt.
Dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit
Arbeiter, die in Kleinminen nach Gold schürfen, sind den Quecksilberdämpfen besonders stark ausgesetzt. Über Abwässer gelangt das giftige Metall ins Grundwasser und so in die Nahrungskette. Essen Menschen mit Quecksilber belasteten Fisch oder Fleisch, kann der Stoff das Nerven-, Verdauungs- und Immunsystem schädigen. Für Kinder ist es besonders gefährlich. Über die globale Warenkette gelangt Quecksilber sogar bis in den Boden der Arktis.
2013 hatte das kirgisische Gesundheitsministerium in Aidarken Gewässerproben nahe der Abraumhalden der Mine genommen. Die Quecksilberkonzentrationen betrugen das 400-fache des zulässigen Grenzwertes. In Eshme, einem Dorf ganz in der Nähe, nutzen die Bewohner das Grubenabwasser zur Bewässerung ihrer Gemüsebeete. Hier waren die Quecksilberwerte in frischen Kartoffeln doppelt so hoch wie die empfohlene Höchstdosis.
Gefahr droht aber auch aus der Luft, denn bei der Weiterverarbeitung von Quecksilber treten giftige Dämpfe aus. 1990 hatte die Regierung in Aidarken Filter installieren lassen, um solche Emissionen aufzufangen. Doch laut Laborleiter Isirayilov gelangt noch immer ein Teil des Quecksilbers in die Umgebung.
Die genaue Menge jedoch sei unklar, sagt Oleg Pecheniuk, Umweltforscher und Vorsitzender der kirgisischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Independent Ecological Expertise. "Wir haben zahlreichen Orte, die mit Quecksilber kontaminiert sind, ob natürlich oder vom Menschen verursacht", so Pecheniuk. "Wir brauchen eine systematische Überwachung, damit wir sehen, wo wir etwas tun müssen."
Zögern in der Politik
Internationale Versuche, die Umweltprobleme anzugehen, stießen auf Widerstand. So hatten die Vereinten Nationen 2013 ein Projekt ins Leben gerufen, um die quecksilberverseuchten Gebiete rund um Aidarken zu sanieren. Gesundheitsdaten wurden erhoben, die Wirtschaft sollte unabhängig werden von der Quecksilberproduktion. Der Abschlussbericht vier Jahre später jedoch spricht von Minenbeamten, die sich weigerten, zu kooperieren und einer Regierung, die sich nicht auf die Einstellung der Produktion verständigen konnte. Daher sei es "höchst unwahrscheinlich", dass das UN-Projekt positive Auswirkungen auf die Quecksilberkontamination in dem Gebiet haben werde. Die Leitung des Quecksilberkombinats lehnte eine Interviewanfrage der DW zu dem Thema ab.
Die Bemühungen für den Beitritt Kirgistans zum Minamata-Abkommen ist nach anfänglichem Druck von Umweltschützern, internationalen Organisationen und Regierungen wieder ins Stocken geraten. Im Jahr 2019 kündigte die Parlamentsabgeordnete Rada Tumanbajewa einen Gesetzentwurf zur Genehmigung des Konventionsbeitritts an. Es wurde jedoch nie ein Gesetz vorgelegt. In jenem Jahr hatten die Beschäftigten des Werks gegen den Beitritt protestiert. Sie fürchteten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Seitdem hat die Regierung zu diesem Thema weitgehend geschwiegen.
Die Quecksilberproduktion steigt
In den vergangenen Jahren sind die Schulden des Quecksilberkombinats kräftig gestiegen. Denn die Nachfrage sinkt und die Mine arbeitet mit veralteter Technik noch aus Sowjetzeiten. Im August dieses Jahres gab die Regierung dann ein Übereinkommen mit dem türkischen Investor Duvatash LLC bekannt. Der Investor werde Anteile an der Mine kaufen und neue Technik finanzieren. So sollten die Produktion gesteigert und schon bald 1000 neue Arbeitsplätze schaffen werden.
Doch inzwischen erkennen immer mehr Einheimische in Aidarken die Gefahren von Quecksilber. Isirayilov vom Gesundheitsministerium erzählt, dass in den 1980-er Jahren zahlreiche Menschen aus der Region, vor allem aber Minenarbeiter, wegen Quecksilbervergiftungen behandelt werden mussten. Ihre Hände hatten angefangen zu zittern, ihre Zähne waren ihnen ausgefallen. Solche Vorfälle gab es zwar in der jüngeren Vergangenheit nicht. Dennoch stellte man 2015 in einer Studie bei mehr als 200 Arbeitern des Minen-Kombinats erhöhte Quecksilberwerte im Blut fest.
Saidullah Shektybaev hat fast die Hälfte seines Lebens in der Mine gearbeitet. Der 69-Jährige erinnert sich noch genau an einen Kollegen, der eine Quecksilbervergiftung erlitt. Das sei die Arbeit in der Mine nicht wert, findet er. "Sie könnten hier stattdessen ein Zementwerk oder eine andere Fabrik bauen", fügt er hinzu. "Es muss nicht unbedingt Quecksilber sein."