Junge Union in Aufruhr
6. Oktober 2018Seitenscheitel, ordentlich in die Hose gesteckte Hemden, Blazer und Jeans-Kombinationen: Die Abgeordneten der Jungen Union traten in der Kieler Sparkassen-Arena genau so auf, wie man sie sich vorstellt. Auch verbal setzten sie Duftmarken: Appelle an christliche Werte sowie Absagen an Abtreibung und Cannabis waren den ganzen Tag über zu hören.
Treffen mit dem Nachwuchs sind von jeher nicht ganz einfach für die Kanzlerin. Dies umso mehr als sie sich derzeit der wohl schärfsten internen Herausforderung ihrer Führung seit ihrem Amtsantritt 2005 gegenüber sieht. Immer wenn der Name Ralph Brinkhaus fiel, der Merkels Vertrautem Volker Kauder in einer Abstimmung das Amt des Fraktionsvorsitzenden abgenommen hatte, kam Jubel unter den jungen Delegierten auf. Damit bestätigten sie ihren Ruf, vor allem für die traditionellen Werte der Partei zu stehen.
Die Stimmung, bemerkten viele, habe sich seit dem letzten Jahr verändert. Die Unzufriedenheit zeigte sich vor allem bei den Delegationen aus Hessen und Bayern, die in ihren Heimatländern verzweifelte Wahlkämpfe führen und nicht zögerten, die Streitigkeiten innerhalb der Regierungskoalition für die derzeit verheerenden Meinungsumfragen verantwortlich zu machen. So blieben die bayerischen Delegierten der CSU demonstrativ auf ihren Plätzen sitzen, als Merkel am Samstagmorgen die Arena betrat. Die übrigen Delegierten hingegen erhoben sich zum Applaus.
Abschied vom Nationalismus
Dennoch hielt die Kanzlerin eine überwiegend positiv aufgenommene, wie gewohnt sehr detaillierte und ungewohnt leidenschaftliche Rede, gewandt an ein Publikum, das demonstrierte, dass es weiter an die Kanzlerin glaubt. Merkel betonte den wirtschaftlichen Wohlstand Deutschlands, um dann auf die anstehenden Herausforderungen hinzuweisen - insbesondere den Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie den Anschluss an China bei der Herstellung von Batteriezellen. Anschließend äußerte sie ihr Bedauern darüber, dass während der letzten drei Jahre durch die Auseinandersetzung um die Einwanderung sehr viel Zeit verloren worden sei.
Entschlossen stellte sie sich auch gegen den aufkommenden rechtsextremen Nationalismus in ganz Europa. "Was haben die Gründungsväter Europas gemeint, wenn sie gesagt haben Nationalismus führt wieder zu Krieg? Und deshalb von meiner Seite an Sie die herzliche Bitte: Lassen Sie uns nicht anfangen uns wieder in Gruppen zu teilen. Die Migranten und die Deutschen, die im Osten und die im Westen. Das Erste sind die Vorurteile die kommen, das Zweite sind die ausgesprochene Gedanken, die Sprache, die Verhetzung, und das Dritte sind die Taten gegen andere Gruppen."
Zwar räumte Merkel ein, dass nach dem Zustrom von Flüchtlingen im Jahr 2015 Fehler gemacht worden seien, doch zeigte sie für den Geschmack einiger Delegierter nicht genug Demut. In der anschließenden Diskussion monierten sie, Merkel habe zwar eine schöne Kanzlerrede gehalten - aber nichts dazu beigetragen, eine um ihre Existenz kämpfende Partei zu motivieren.
Läuft die Zeit ab?
Der mutigste Fragesteller war der Münchner Matthias Böttger. Er sagte Merkel unverblümt, dass er nicht mehr daran glaube, dass die CDU unter ihr eine Zukunft habe. "Ich glaube diese Führung ist ausgelaufen", sagte er nachher im Gespräch mit der DW. "Diese Führung hat nie Stärke zeigen können. Es geht um die Politik und den Politikstil von Angela Merkel. Es war wie immer eine sehr kleinteilige Rede, die in einigen inhaltlichen Punkten sicher richtig war, aber sie hat keine Vision für unser Land aufgezeigt, keine Zukunftsperspektive."
Böttger monierte auch, dass die Regierung keinen guten Plan für die Rentenpolitik habe. Sein eigentliches Problem aber war ein anderes: die Einwanderung. "Dadurch, dass wir die ganze Zeit seit dem September 2015 immer noch nicht ordentlich aufgearbeitet haben, immer noch nicht akzeptieren können, dass damals Fehlentscheidungen gefallen sind - und das sieht ja der Großteil der Bevölkerung so, und der Großteil der Parteibasis von CSU und CDU so - dadurch wird jedes Regierungshandeln enorm erschwert."
Probesitzung für Merkels Nachfolgerin?
Derweil scherzten die Journalisten, die JU-Konferenz gleiche einer Probesitzung für Merkels Nachfolger oder Nachfolgerin. Tatsächlich hielten alle Spitzenkandidaten der CDU während der dreitägigen Veranstaltung Reden: Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, der in der Partei als Liberaler gilt; der junge, zum Aufstand neigende Gesundheitsminister Jens Spahn; der sich als elder statesman gebende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet; und CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die als engste Verbündete Merkels gilt.
Den Verdacht, sie seien nur gekommen, um sich bei den Jungen beliebt zu machen, wiesen sie alle zurück. "Da sind Ministerpräsidenten natürlich immer im Gespräch, aber ich war auch immer schon auf Deutschlandtagen der Jungen Union", sagte Laschet nach seiner Rede der DW. "Insofern hat das jetzt nichts mehr mit Kanzlerschaft zu tun."
Doch angesichts der verheerenden Wahlergebnisse - die Union liegt in den meisten nationalen Umfragen bei unter 30 Prozent - stand eine Frage im Raum: Ist es an der Zeit, dass Merkel geht? Die deutschen Rechtsextremen sind von Merkel und ihrer schicksalhaften Entscheidung von 2015 geradezu besessen. Wäre es nicht einfacher, die Alternative für Deutschland (AfD)ohne sie zu bekämpfen?
"Bundeskanzler müssen in die Zukunft führen"
JU-Chef Paul Ziemiak schlug in seiner Eröffnungsrede am Freitag einen herausfordernden Ton an: Wer Bundeskanzler dieses Landes sein möchte, der muss auch immer bereit sein, dieses Land in die Zukunft zu führen", sagte er.
Tatsächlich wollte angesichts der in diesem Monat anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen zumindest hinter verschlossenen Türen niemand einen Personalwechsel in Berlin ausschließen. Dennoch war die offizielle Linie auf dem Konvent klar: Kritik ist gut. Aber niemand darf Merkels Kopf fordern. Zumindest vorerst nicht.
"Natürlich gab es auch in der Jungen Union Stimmen der Unzufriedenheit mit der Vorstellung der Großen Koalition insgesamt in den letzten Wochen", sagte Philipp Heissner, Mitglied des Führungsausschusses der Jungen Union. "Das ist kein Geheimnis, aber ich denke insgesamt ist die Unterstützung für die Kanzlerin auch in der Jungen Union noch sehr stark gegeben und es wird auch so bleiben. Insofern wird von der Jungen Union sicher als aller Letztes ein Signal ausgehen, dass irgendwelche Flügelkämpfe fördern würde."