Populismus und seine Alternativen
1. Oktober 2018Die Deutschen liebäugeln zunehmend mit den politischen Extremen. Gut 30 Prozent der Wahlberechtigten neigen nach dem jüngsten "Populismusbarometer" einer populistischen Politik sowohl auf der rechten wie auf der linken Seite zu. Gleichzeitig hat der Anteil derer, die eindeutig unpopulistisch sind, gegenüber 2017 um vier Prozentpunkte abgenommen. Sie machen inzwischen nur noch knapp 33 Prozent aus. Der Rest lässt sich weder der einen noch der anderen Seite klar zuordnen.
Für das "Populismusbarometer" der Bertelsmann-Stiftung wurde in den Monaten Mai und August jeweils 3400 Wahlberechtigte befragt. Populistische Einstellungen wurden danach bemessen, in wieweit die Befragten mit drei populistischen Grundüberzeugungen sympathisieren: Anti-Establishment-Haltung, Anti-Pluralismus und der Wunsch nach Umsetzung eines "Volkswillens".
Radikale Rhetorik von links und rechts
Interessanterweise rechnet sich etwa jeder achte Wähler mit populistischen Neigungen nach wie der politischen Mitte zu. Dieser Trend kommt der Studie zufolge vor allem der Rechtspartei "Alternative für Deutschland" zugute, der es gelungen sei, traditionell gemäßigte Wähler auf ihre Seite zu ziehen. "Rechte wählen die AfD, weil sie rechts ist, und Wähler aus der Mitte wählen AfD, weil sie populistisch ist", schreiben die Autoren der Studie, Robert Vehrkamp und Wolfgang Merkel.
Ein weiteres Ergebnis der Befragung: 13 Prozent derer, die sich selbst als unpopulistisch sehen, schließen nicht aus, bei der nächsten Wahl die AfD zu wählen. "Die Rechtspartei AfD setzt den Populismus dabei als eine Art trojanisches Pferd ein", so die Autoren.
"Die AfD-Wähler aus der Mitte wählen populistisch, bekommen aber gleichzeitig eine viel weiter rechts stehende Partei, als es ihrem eigenen ideologischen Standort entspricht. Das gelingt, weil die 'dünne Ideologie' des Populismus durch die AfD ideologisch mit rechten Inhalten aufgeladen wird."
Ähnliches passiert teilweise bei linksgerichteten Wählern, die die Linkspartei zunehmend als Alternative zur SPD sehen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass von allen im Moment im Bundestag vertretenen Parteien die Linkspartei im vergangenen Jahr die populistischste Rhetorik entwickelt habe und dabei teilweise auch nach rechts gerückt sei.
Abwanderung zu den Grünen
Wie sollten die gemäßigten Parteien auf die Entwicklung reagieren? Sollten sie selbst ein wenig populistisch werden, um Wähler zurückzugewinnen? Die Antwort lässt sich vielleicht am besten am Verhalten der CDU/CSU ablesen.
Nach schweren Verlusten bei der jüngsten Bundestagswahl 2017 ist die Union ein gutes Stück nach rechts gerückt und hat sich zum Beispiel in der Migrationspolitik deutlich von der Willkommenskultur der Kanzlerin abgewandt. Gerade die bayerische CSU gibt sich vor der bayerischen Landtagswahl deutlich populistisch, um der AfD das Wasser abzugraben.
Doch die Bertelsmann-Studie warnt die traditionell gemäßigte Union, bei einer Hinwendung zu populistisch eingestellten Wählern drohe sie, diejenigen zu vergrätzen, die auf keinen Fall etwas mit den Populisten zu tun haben wollten. Der Union gelinge es durch eine solche Strategie aber auch nicht, Wähler zurückzugewinnen, die sie bereits an die AfD verloren habe.
Vehrkamp und Merkel schreiben: "Die Union befindet sich schon jetzt in einer Zangenbewegung zwischen zunehmend unpopulistisch-bürgerlichen Grünen aus der linksliberalen Mitte und der rechtspopulistischen AfD. Das passive Hinnehmen oder gar aktive Betreiben eines weiter anschwellenden Populismus in ihren Reihen wäre deshalb für die Union eine höchst riskante Strategie mit sehr ungewissem Ausgang."
Eine Wanderungsbewegung von der Union hin zu den Grünen ist vor allem in den jüngsten Umfragen zu beobachten. In Bayern liegen die Grünen in den Umfragen bei rund 17 Prozent und haben sich dort deutlich als zweitstärkste Kraft etabliert. Aber auch bundesweit befinden sich die Grünen auf Höhenflug und haben in manchen Umfragen sowohl die SPD als auch die AfD hinter sich gelassen.
Suche nach "Brückenthemen"
Die Bertelsmann-Studie identifiziert drei wichtige Politikbereiche, mit denen die gemäßigten Parteien Wähler zurückgewinnen könnten, ohne selbst populistisch zu werden. Zum einen kommt in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern das Streben nach europäischer Integration und nach einer starken deutschen Rolle in der EU nach wie vor gut an, selbst bei vielen, die mit dem Populismus sympathisieren.
Außer der AfD, so die Bertelsmann-Autoren, würden alle anderen Parteien mit einer solchen offensiven Europapolitik gewinnen: "Das Gesamtbild zeigt: 'Mehr Europa' ist eine starke und positive Mobilisierungschance, vor allem im Lager der unpopulistischen Wähler, ohne dabei eine negative Gegenmobilisierung aus dem populistischen Lager fürchten zu müssen."
Doch am erfolgversprechendsten, glauben Robert Vehrkamp und Wolfgang Merkel, sei es, sich auf soziopolitische Themen wie "steuerpolitische Umverteilung" und "Wohnungsbau" zu konzentrieren. Dies seien "Brückenthemen" zwischen populistischen und unpopulistischen Lagern. Allein mehr Investitionen in sozialen Wohnungsbau könnten den Zuspruch einer Partei sowohl bei populistisch als auch unpopulistisch eingestellten Bürgern um 15 Prozent steigern.
"Die sozialen Fragen sind die wichtigsten Brückenthemen für eine Gesellschaft, die sich kulturell und sozial immer tiefer spaltet", so die Autoren und warnen: "Sollten sich die etablierten Parteien nicht um diese soziale Themen kümmern, werden die Populisten das übernehmen."