Merkel - Das Ende hat soeben begonnen
30. September 2018Nur ein gequältes Lächeln für den Gast, zu mehr ließ sich Angela Merkel beim obligatorischen Handshake-Foto nach der Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Freitag nicht hinreißen. Die vorangegangenen rund 30 Minuten hatte die Kanzlerin souverän gemeistert. Die starken Differenzen im Verhältnis zur Türkei hatte sie benannt. Und sie spielte kein freundschaftliches Verhältnis vor, wo keine Freundschaft ist. Man könnte sagen: Da war sie wieder, die "alte" Angela Merkel. Die die großen Fragen der Außenpolitik abarbeitet, nur von Interessen geleitet, nicht von Emotionen. Eine Kanzlerin, die die Lage einzuschätzen weiß und sich nicht vorführen lässt - ganz egal übrigens, wie männlich und machtstrotzend ihr Gegenüber daherkommt.
Der souveräne Auftritt beim Besuch von Erdogan, so schwierig er war, dürfte ihr gut getan haben. Schließlich war es keine drei Tage her, dass in der Republik das Wort von der "Kanzlerinnendämmerung" die Runde gemacht hatte. Viele Beobachter sahen das Ende der Ära Merkel endgültig eingeläutet: Eine Woche, die die Kanzlerin wohl lieber vergessen würde.
Merkel entgleitet die Kontrolle
Beziehungsweise eine, an die sie sich noch sehr lange erinnern wird. Die zurückliegenden acht Tage, soviel lässt sich schon jetzt sagen, waren eine Zäsur. Was Merkel am 24. September zur Causa Maaßen sagte, passte so gar nicht zum Bild der Teflon-Kanzlerin, an der alles abperlt. Der umstrittene Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen war zunächst mit dem Segen der drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD zum Staatssekretär wegbefördert worden, nur um dann, nach Protesten aus der Bevölkerung, auf einen neu geschaffenen Posten im Innenministerium bei gleichbleibendem Gehalt gesetzt zu werden. Und wie erklärte Merkel das Hin und Her? Sie habe sich zu sehr von den Notwendigkeiten im Innenministerium leiten lassen, statt zu bedenken, was im Sinne der Bürger wäre. Und dann sprach sie den Satz, der aufhorchen ließ: "Das bedaure ich sehr."
In dieser Klarheit Fehler einzugestehen, das passt so gar nicht zu dieser Kanzlerin. Fakt ist: Die Causa Maaßen ist ihr völlig aus dem Ruder gelaufen. Ihr Gespür für Situationen, das sie 13 Jahre lang ausgezeichnet hat, ist verloren gegangen. Grundsätzlich kann eine Entschuldigung im harten Geschäft der Politik zwar auch manchmal als Stärke gewertet werden - doch nicht in diesem Fall. Dazu war Merkel mit ihrer Einsicht schlicht zu spät dran. Die Entschuldigung - kein Zeichen der Stärke, sondern ein Eingeständnis von Schwäche.
Vertrauensentzug der Fraktion
Während in den Kommentarspalten des Landes noch darüber diskutiert wurde, wie der plötzliche Reumut der Regierungschefin auszulegen sei, stand für Merkel am Dienstag bereits die nächste Belastungsprobe an. Eine, von der eigentlich niemand ernsthaft gedacht hätte, dass es eine werden würde: die turnusgemäße Wahl des Unionsfraktionsvorsitzenden. Zwar gab es erstmals seit mehr als 40 Jahren einen Gegenkandidaten für das Amt, als der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Ralph Brinkhaus seinen Parteifreund Volker Kauder herausforderte. Da aber Merkel vehement für Kauder warb, glaubte kaum einer an den Sturz des Merkel-Vertrauten. Und doch kam er. Und wieder, zum zweiten Mal binnen 24 Stunden, musste Merkel kleinlaut zugeben, verloren zu haben.
Die Niederlage dürfte schmerzen. Mit Kauder ist nicht nur Merkels loyaler Mehrheitsbeschaffer weg. Viel schlimmer wiegt, dass die Fraktion nicht mehr diszipliniert zu ihr steht. Was kann eine Kanzlerin bewegen, die nicht mal ihre eigenen Leute geschlossen hinter sich weiß? Die Forderung aus den Reihen der FDP, sie müsse die Vertrauensfrage stellen, ließ sie - ganz Merkel - allerdings abprallen.
Das Ende der Selbstbestimmtheit
Doch was, wenn ihr nicht nur die Fraktion, sondern beim geplanten Parteitag Anfang Dezember in Hamburg die Mehrheit der Partei die Gefolgschaft verweigert? Sollte sich Merkel, wie von vielen Beobachtern erwartet wird, zur Wiederwahl als CDU-Chefin stellen, wird dies zur Schicksalsstunde. Schließlich ist sie es, die immer wieder betont, dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft zwingend in einer Hand liegen müssen. Sollte sie einen Denkzettel verpasst bekommen oder - derzeit eigentlich noch undenkbar - gar verlieren, kann sie kaum weiter im Kanzleramt bleiben.
Was bleibt als Fazit am Ende dieser turbulenten Tage? Dass das Ende ihrer Kanzlerschaft in nicht all zu ferner Zukunft liegt, das dürfte Angela Merkel bereits am Anfang dieser Woche klar gewesen sein. Sollte sie allerdings geglaubt haben, ihren Abschied von der Macht selbst orchestrieren zu können, dürfte sie jetzt eines besseren belehrt worden sein. Die sonst so selbstbestimmte Kanzlerin hat den Zeitpunkt eines selbstbestimmten Abschieds vom Amt offensichtlich verpasst. Außenpolitisch - das hat der Erdogan-Besuch gezeigt - mag sie die Zügel noch in der Hand halten. Doch die Rufe nach Erneuerung aus den eigenen Reihen wird auch sie nicht mehr überhören können.