Keine Widerrede: Der Brexit im Unterhaus
17. Dezember 2019Die Mitglieder des neu gewählten Parlamentes in London werden eingeschworen und nehmen sofort die Arbeit auf. Am Donnerstag verliest dann die Queen die Regierungserklärung und schon am Freitag will Premierminister Boris Johnson das Brexit-Gesetz durch das Unterhaus peitschen. Die große Mehrheit für die konservative Regierung bedeutet, dass sie ihre Vorhaben ohne Widerspruch durchbringen kann. Und Boris Johnson zeigt jetzt, wohin die Reise geht: Er will das Brexit-Gesetz so ändern, dass eine Verlängerung der Übergangsfrist illegal würde.
Johnson will die EU erpressen
Boris Johnson hatte es im Wahlkampf immer wieder versprochen: Er wolle Großbritannien am 31. Januar nächsten Jahres aus der EU führen und die dann beginnende Übergangsphase strikt einhalten. Sie endet gemäß der Vereinbarungen am 31. Dezember 2020. Die meisten Beobachter nahmen das nicht besonders ernst, weil der Premier sich normalerweise nicht um seine Versprechen schert. Doch jetzt will Johnson die eingebaute Verlängerungsoption um ein oder zwei Jahre sogar rechtlich blockieren. Er bindet sich damit selbst die Hände und setzt der EU die Pistole auf die Brust.
Gleichzeitig will der Premier alle Zugeständnisse kassieren, die er im Herbst den Europafreunden und Gegnern eines harten Brexit im alten Unterhaus gemacht hatte. Das betrifft Rechte für Arbeitnehmer auf EU-Niveau und die rechtliche Aufsicht des Parlaments über den künftigen Handelsvertrag. Er hat es nach seinem überwältigenden Wahlsieg nicht mehr nötig, Rücksicht auf politische Gruppen zu nehmen, die künftig näher an europäischen Regelungen bleiben wollen.
Nachdem die Pläne des Premierministers bekannt wurden, fiel das britische Pfund sofort auf den Kurs, den es vor der Wahl hatte.
Verhandlungen unter Zeitdruck
Für die EU bedeutet das, dass sie extrem wenig Zeit hat, um mit Großbritannien über ein Freihandelsabkommen zu verhandeln - nur elf Monate. Brüssels Chefunterhändler Michel Barnier hat bereits gewarnt, dass ein umfassender Vertrag, der etwa Regelungen über eine Zusammenarbeit bei Sicherheit oder Wissenschaft und Kultur enthielte, nicht möglich wäre. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen räumte ebenfalls ein, dass man über Bereiche wie Flugverkehr und Finanzdienstleistungen allenfalls später verhandeln könne. Bestenfalls ein minimales Abkommen über den zollfreien Güterverkehr wäre im Laufe des nächsten Jahres möglich, wenn man vorhandene Vorlagen nimmt und kopiert - so der Konsens in Brüssel.
Boris Johnson will die Europäer so zu Zugeständnissen zwingen. Die EU muss also erneut zeigen, dass sie zusammenhalten kann. In den vergangenen zwei Jahren konnte sie ihre eigenen Forderungen beim Austrittsvertrag durchsetzen, weil sie bis zuletzt einig blieb. In der zweiten Verhandlungsphase aber könnte das gemeinsame Ganze etwa beim Binnenmarkt und der Wahrung von EU-Standards mit den Einzelinteressen einiger Mitgliedsländer aneinandergeraten. Michel Barnier besucht gerade die Niederlande, die besonders eng mit der britischen Wirtschaft verflochten sind, um mit Premier Markt Rutte darüber zu sprechen.
Tory-Fraktion von Ja-Sagern
Die 109 neuen konservativen Abgeordneten in London hatte der britische Premier am Montagabend zu einer privaten Party eingeladen, wo sich alle noch einmal zu dem großartigen Wahlerfolg beglückwünschten. Vor allem die Vertreter aus den nordenglischen Wahlbezirken, die zum ersten Mal seit Jahrzehnten an die Tories fielen, waren euphorisch.
Nach dem Abgang der Pro-Europäer und des gesamten alten Kerns von Abgeordneten aus dem liberalen Spektrum der konservativen Partei - von Ken Clarke über David Gauke bis Amber Rudd - sind die Tories erkennbar nach rechts gerückt. Die grünen Bänke im Unterhaus sind mit Loyalisten gefüllt, die die Pläne von Boris Johnson einfach durchwinken werden.
Der Premierminister kann damit in der nächsten Wahlperiode ungehemmt durch- regieren. Er will zum Beispiel den Beamtenapparat in Westminster nach seinem Gusto umbauen. Lindsay Hoyle, der neue Speaker im Unterhaus, wird erwartungsgemäß der konservativen Regierung keine verfahrenstechnischen Steine in den Weg legen, wie es noch sein Vorgänger John Bercow tat. Hoyle war bereits Anfang November gewählt worden, seine Bestätigung durch das neue Unterhaus gilt als reine Formsache.
Opposition am Boden
Die allergrößte Freude dürfte es Boris Johnson wohl bereiten, dass die oppositionelle Labour Party nach ihrem Wahldesaster darniederliegt. Niemand ist derzeit im Unterhaus imstande, dem Premier die Stirn zu bieten, abgesehen von der massiv gestärkten nationalistischen Schottenpartei SNP, die jetzt auf ein neues Unabhängigkeitsreferendum zusteuert.
Labour ist mit sich selbst beschäftigt. Die Ankündigung von Parteichef Jeremy Corbyn, er wolle noch bis März im Amt bleiben, führte bei seinen verbleibenden 203 Abgeordneten zu Wutanfällen. Zumindest in der Fraktion möchten viele ihn durch einen anderen Labour-Vertreter ersetzen.
Gleichzeitig ist ein Flügelkampf in der Partei entbrannt. Die Linke, die bis zuletzt Jeremy Corbyn unterstützte, bringt jetzt ein Führungsteam mit Rebecca Long-Bailey als neuer Pateichefin in Stellung. Das würde bedeuten, dass die Partei ihren Kurs unverändert fortsetzen will, ungeachtet der Wahlkatastrophe und des Verlustes von 42 Mandaten. Die gemäßigten Kräfte in der Partei formieren sich derzeit noch und wollen die Partei mehr in der Mitte positionieren. Wer aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, ist bislang noch offen. Der Premierminister jedenfalls kann sich zurück lehnen und den Streit in der Opposition einfach nur genießen.