Nach Wahlsieg zügiger Brexit sicher
13. Dezember 2019Der Wahlsieger Boris Johnson hatte am Ende einer langen Wahlnacht ein Botschaft für diejenigen Wählerinnen und Wähler, die bisher die Labour-Party gewählt haben und nun zu den Konservativen übergelaufen sind. "Ihre Hand mag gezittert haben, bevor Sie in der Wahlkabine Ihr Kreuzchen bei den Konservativen gemacht haben. Sie mögen sogar beim nächsten Mal wieder zu Labour zurückkehren. Umso mehr fühle ich Demut, dass ich Ihr Vertrauen erlangen konnte. Ich werde Sie nicht enttäuschen", sagte Johnson im Hauptquartier seiner Partei, wo er frenetisch gefeiert wurde. In der Tat hat der Premier trotz chaotischer Monate mit zähen Brexit-Verhandlungen erreicht, was vor ihm das letzte Mal vor 32 Jahren die legendäre konservative Premierministerin Margaret Thatcher geschafft hatte: eine sehr große absolute Mehrheit von 364 Sitzen im britischen Unterhaus.
Sozialdemokraten verlieren heftig
Boris Johnson schleifte Hochburgen der sozialdemokratischen Labour-Party im Norden und in der Mitte Englands und in Wales. Die Wähler wechselten vor allem, weil sie endlich den Austritt aus der Europäischen Union vollziehen wollen und die Haltung des Labour-Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn bis zum Schluss vage blieb. Corbyn hatte für eine abermalige Verlängerung der Brexit-Frist, neue Verhandlungen mit der EU und ein zweites Brexit-Referendum geworben. Die Wählerinnen und Wähler folgten in den 650 Wahlkreisen lieber dem eher simplen Motto von Boris Johnson: "Let's get Brexit done!", Lasst uns den Brexit durchziehen!
Aus dem erdrutschartigen Wahlsieg leitet Boris Johnson ein klares Mandat ab. "Wir können jetzt den Willen des Volkes endlich durchsetzen. Dies war eine unzweideutige nicht zu bestreitende Entscheidung der Briten", sagte Johnson. Er verglich die Lage mit einer neuen Morgendämmerung für die Regierung und das Land. Der sozialdemokratische Parteichef Jeremy Corbyn, der mit seinem Versprechen "echten Wandels" fulminant baden ging, kündigte an, er werde seine Partei nicht erneut in einen Wahlkampf führen. Einen sofortigen Rücktritt als Vorsitzender, den selbst Parteimitglieder verlangen, vermied er jedoch noch. "Wir müssen jetzt erst einmal das Resultat analysieren", sagte ein niedergeschlagener Corbyn am frühen Morgen. Mit nur noch 203 Sitzen im Unterhaus hat Labour das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg eingefahren.
Der Premier kann jetzt schalten und walten
Boris Johnson, der bislang keine eigene Mehrheit im Parlament hatte und deshalb einen mit der EU neu verhandelten Austrittsvertrag nicht verabschieden lassen konnte, will und kann jetzt durchstarten. Da sind sich alle Analysten in den Sendern BBC, ITV und Sky nach der historischen Wahlschlacht einig. Den lautstarken Brexit-Gegnern, die vor dem Parlament und seinem Amtssitz in der Downing Street regelmäßig protestieren, riet Boris Johnson nun zu schweigen. "Ich meine vor allem meinen Freund mit diesem großen blauen Hut. Man sollte jetzt eine Socke in sein Megafon stopfen", empfahl Johnson unter Gelächter seiner Anhänger.
Schon nächste Woche wird im neuen Unterhaus der Austrittsvertrag gebilligt werden. Das Versprechen von Boris Johnson lautete schließlich, das beim Weihnachtsdinner Klarheit herrschen sollte. Im Januar dann folgen weitere Gesetzgebungsschritte, die wegen der absoluten Mehrheit der Tories aber kein Problem darstellen sollten. Danach muss dann das Europäische Parlament den Austrittsvertrag ratifizieren. Am 31. Januar um 23 Uhr MEZ würde das Vereinigten Königreich dann nach 47 Jahren Mitgliedschaft die Europäische Union formal verlassen.
Nach dem Brexit kommt der Übergang
Allerdings würde sich praktisch für die Menschen und für Unternehmen erst einmal nicht viel ändern. Am 1. Februar tritt ein Übergangsperiode in Kraft, die elf Monate dauern soll. In dieser Zeit würde Großbritannien weiter im Binnenmarkt und in einer Zollunion mit den 27 EU-Staaten bleiben, könnte aber nicht mehr in den EU-Gremien abstimmen. Außerdem würde eine Austrittsrechnung in Höhe von 39 Milliarden Euro auf mehrere Jahre verteilt fällig. Die Übergangszeit will Premier Johnson nutzen, um ein umfassendes Handelsabkommen mit der EU und einen neuen politischen Rahmenvertrag mit den Europäern auszuhandeln. Welche Ziele er dabei genau verfolgt, ist bislang unklar. Beobachter in London rechnen damit, dass die konservative Regierung ihre Vorstellungen im Februar oder März auf den Tisch legen wird.
Die Zeit zum Aushandeln eines umfassenden Abkommens wäre ziemlich knapp bemessen. In Brüssel gehen EU-Diplomaten davon aus, dass die britische Regierung im Sommer eine Verlängerung der Übergangsphase beantragen könnte. Sollte ein Abkommen nicht rechtzeitig vor dem 31. Dezember 2020 vorliegen, würde einmal mehr der "harte" Brexit drohen. Das Vereinigte Königreich würde dann als sogenannter "Drittstaat" von der EU behandelt und mit Zöllen und Handelsverfahren belegt, wie sie nach Regeln der Welthandelsorganisation WTO zulässig sind. Der Zeitplan ist auch deshalb sehr eng, weil ein neues Handelsabkommen voraussichtlich von allen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden müsste. Der EU-Unterhändler Michel Barnier besteht darauf, dass sich Großbritannien auch in Zukunft möglichst nah an europäische Normen anlehnt. Dieses "level playing field" wird von vielen konservativen Politikern in London allerdings abgelehnt. Denn sie wollen möglichst schnell mit den USA ein Handelsabkommen aushandeln, das von europäischen Standards sicherlich abweichen würde.
Die Union im Königreich könnte wackeln
In Nordirland haben die konservativen Kräfte, die sich zur Union mit Großbritannien bekennen, bei dieser Wahl verloren. Die Parteien, die sich eine Vereinigung mit der Republik Irland vorstellen können, konnten zulegen. Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass Nordirland nach dem Brexit weiterhin Teil es EU-Binnenmarktes bleiben wird und eine Zollgrenze zwischen der irischen Insel und Großbritannien entstehen wird. Diesem Kompromiss hatte Boris Johnson nach zähem Ringen mit der EU im Oktober zugestimmt, um einen Austrittsvertrag zu erreichen.
Anders als die Menschen in England und Wales haben sich die Schotten im Norden noch einmal komplett gegen einen Brexit ausgesprochen. Hier erreichte die schottische Nationalpartei (SNP) einen unerwartet hohen Wahlsieg und holte 48 von von 59 möglichen Abgeordneten. Die schottische Ministerpräsidenten Nicola Sturgeon leitet daraus den klaren Auftrag ab, erneut ein Unabhängigkeitsreferendum für Schottland anzustrengen. Ihre Logik: Nur als unabhängiges Land könne Schottland in der EU verbleiben. In der Union mit England, Wales und Nordirland wäre es gezwungen, den Brexit mitzugehen. "Boris Johnson mag ein Mandat haben, England aus der EU zu führen. Er hat ganz bestimmt kein Mandat, Schottland aus der EU zu führen", sagte Sturgeon in Edinburgh. Noch vor Weihnachten will Sturgeon ein zweites Referendum beantragen, was die konservative Regierung in London aber verweigern könnte. 2014 war ein erstes Unabhängigkeitsreferendum gescheitert.
Premier Johnson, der jetzt verstärkt von der konservativen "Eine-Nation-Partei" spricht, will einen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich nicht zulassen. Diesem Beispiel könnte auch Nordirland folgen. Der britische Historiker und Karlspreis-Träger Timothy Garton Ash schrieb dazu in seinem Twitter-Konto: "Uns erwartet ein Jahrzehnt nationaler Unruhe und möglicherweise das Ende des Vereinigten Königreichs."