Johnson will Brexit-Gesetz bis Weihnachten
15. Dezember 2019In Großbritannien geht es nach der Parlamentswahl Schlag auf Schlag: Am Donnerstag soll das neue Parlament zusammentreten, Königin Elizabeth II wird das neue Regierungsprogramm verkünden. Über das EU-Austrittsabkommen soll dann am Freitag abgestimmt werden. Die Zustimmung gilt angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse als reine Formsache.
"Get Brexit done" - also etwa: Den Brexit vollenden - war der zentrale Wahlkampfslogan des britischen Premiers Boris Johnson. Um das in die Tat umzusetzen, will Johnson den Regierungsapparat völlig umkrempeln, wie Mitarbeiter in mehreren Sonntagszeitungen ankündigten. Dann will sich die Regierung großen Reformvorhaben widmen: Ministerien sollen zusammengelegt und der Beamtenapparat entschlackt werden. Milliardeninvestitionen in die Gesundheitsversorgung sollen per Gesetz festgeschrieben werden.
Werben um ehemalige Labour-Wähler
Schon am Wochenende reiste der britische Premierminister Boris Johnson in den Nordosten Großbritanniens, um vor ehemaligen Labour-Wählern zu sprechen. Die Region war jahrzehntelang fest in Labour-Hand gewesen. Er könne sich vorstellen, wie schwer es den früheren Labour-Wählern gefallen sei, ihr Kreuz diesmal bei den Konservativen zu machen, sagte Johnson bei einem Besuch in Sedgefield, dem früheren Wahlkreis von Labour-Politiker und Ex-Regierungschef Tony Blair.
"Ich möchte, dass die Menschen im Nordosten wissen, dass die Konservative Partei und ich ihrem Vertrauen gerecht werden", fügte der Regierungschef hinzu. Sobald die erste Phase des Brexit abgeschlossen sei, werde der Hauptfokus seiner Regierung auf sozialen Themen liegen, die den Labour-Wählern wichtig seien, stellte Johnson in Aussicht.
"Ein Mann in Eile"
Zu Johnsons Brexit-Plänen nach der Wahl äußerte sich der frühere britische EU-Botschafter Ivan Rogers. Er erwarte harte Freihandelsgespräche zwischen Brüssel und London. Johnson werde "die EU in den Freihandelsgesprächen im kommenden Jahr gegen die USA ausspielen", sagte Rogers dem "Handelsblatt" vom Sonntag. Rogers war bis 2017 britischer EU-Botschafter in Brüssel.
"Er wird den Europäern sagen, wenn ihr zu viele Bedingungen für ein Abkommen stellt, kann ich auch einen Deal mit Donald Trump machen", sagte Rogers. "Ich wäre auch nicht überrascht, wenn Johnson die Verhandlungen mit den USA priorisiert. Er liebt die Theatralik."
Rogers rechnet damit, dass es höchstens ein "schnelles, schmutziges Abkommen" mit der EU geben könne. "Damit meine ich eine Vereinbarung, die null Zölle und null Quoten für Güter vorsieht. Großbritannien müsste sich auf strikte Wettbewerbsregeln einlassen und den europäischen Fischern Zugang zu britischen Gewässern geben. Das wäre das Einzige, was in der kurzen Zeit machbar wäre."
Ein solches Minimalabkommen nur für Güter sei aus britischer Sicht jedoch "kein guter Deal", weil britische Firmen vor allem Dienstleistungen exportierten. Die britische Regierung gebe damit ihren einzigen Trumpf aus der Hand. "BMW könnte dann weiter zollfrei Autos nach Großbritannien exportieren, aber ein Londoner Broker könnte keine Dienstleistungen in der EU anbieten", sagte der Ex-Botschafter. Johnson werde ein solches Abkommen trotzdem anstreben, sagte Rogers. "Er ist ein Mann in Eile, weil er Ende 2020 frei und unabhängig sein will. Er steht politisch unter Druck, den Brexit schnell abzuschließen."
Wahlverlierer Corbyn unter Druck
Johnson hat wiederholt angekündigt, Großbritannien am 31. Januar aus der EU führen zu wollen. Bislang war die Verabschiedung der dafür notwendigen Gesetze am Widerstand im Parlament gescheitert. Johnsons Konservative gewannen allerdings bei der Wahl am vergangenen Donnerstag eine deutliche Mehrheit. Sein Widersacher Jeremy Corbyn führte die Labour-Partei zu ihrem schlechtesten Ergebnis in über 80 Jahren. Er entschuldigte sich am Sonntag dafür und übernahm die Verantwortung.
Er sagte, die Zeit für Labout werde kommen. Viele Labour-Mitgliedern empfinden die Aussage als zu uneindeutig, sie fordern den Rücktritt Corbyns. Der 70-Jährige Corbyn beharrt aber darauf, dass die Partei unter seiner Führung auf die drängendsten Fragen die richtigen Antworten habe. Darauf sei er stolz. "Das zeigt, dass er nicht gewillt ist zu verstehen, warum wir so eine katastrophale Niederlage erlitten haben", twitterte die prominente Labour-Politikerin Harriet Harman. "Er sollte zurücktreten."
Auch andere Labour-Politiker drängten Corbyn zu gehen. Der Parteichef will bis zum Frühjahr im Amt bleiben. Die Abgeordnete Lisa Nandy erklärte in einer BBC-Polit-Talkshow am Sonntag ihre Bereitschaft zur Nachfolge.
lh/haz (dpa, afp, rtr)