Ein Jahr vor der Weltklimakonferenz in Polen
2. Januar 2018Wer in Polen über Katowice spricht, der spricht auch über Bergbau, Kohle und Stahl. Der Grund: Die 300.000-Einwohner-Stadt im Südosten des Landes ist das Herz des polnischen Industriereviers. Hier hat Europas größter Kohlekonzern Polska Grupa Górnicza (PGG) seinen Sitz. Hier findet eine der Leitmessen der weltweiten Bergbauindustrie statt. 32.000 Jobs hängen in der umgebenden Metropolregion Oberschlesien direkt von der Steinkohle ab; bis zu 82.000 in ganz Polen. Kein Wunder, dass die Kohle vielen noch immer als Rückgrat der heimischen Wirtschaft gilt, auch wenn der Abbau längst zum Milliardengrab für den polnischen Steuerzahler geworden ist, der die Defizite ausgleichen muss.
Eine Klimakonferenz im Herzen der Kohlelobby?
Dennoch gilt, was Andrzey Ancygier von der Denkfabrik Climate Analytics so zusammenfasst: "Kohle ist in Polen nicht nur etwas, was man verbrennt. Kohle gehört zu einem großen Teil zur polnischen Identität." Umso erstaunter waren viele, dass ausgerechnet die Kohlestadt Katowice als Gastgeber für die nächste Weltklimakonferenz (COP24) in diesem Jahr auserkoren wurde. Fragen kamen auf, etwa: Kann man den Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung an einem Ort verhandeln, der wie kein anderer Ort in Polen genau dafür Pate steht? Viele Klimaschützer bezweifeln, dass in den Fängen der mächtigen, polnischen Kohlelobby eine ambitionierte Klimakonferenz gelingen kann. Doch gerade in Katowice lohnt ein zweiter Blick: Die Stadt wandelt sich, in rasantem Tempo. Sie wird grüner, ja nachhaltiger. Und das ist eine Entwicklung, die viele Gesichter hat.
Wenn Forscher aktiv werden: Unterwegs mit den Riechdrohnen
Marcin Głodniok und seine Kollegen von der Bergbau-Universität Katowice sind Teil dieses Wandels. Sie haben sich einem besonders gravierenden Folgeproblem der Kohlewirtschaft angenommen: Smog. Oft liegt zwischen November und April ein beißender, diesiger Smog-Schleier über der Stadt. Das ist ein hausgemachtes Problem, ganz wortwörtlich. Über 80 Prozent der Privathaushalte heizen mit völlig überalterten Kohleöfen. Feinstaub und schwarzer Ruß gehen so ungefiltert in die Luft. Nicht selten wird Kohle minderer Qualität oder gar Hausmüll verbrannt. Das spitzt das Problem der Luftverschmutzung weiter zu. Das Ergebnis ist für die Gesundheit brandgefährlich: Jeder Bürger atmet pro Jahr im Schnitt 1711 Zigaretten zusätzlich ein, berichten Aktivisten vom Katowice Smog Alarm. Unfreiwillig, versteht sich.
Umweltingenieur Głodniok und seine Forscherkollegen haben deshalb die Riechdrohne entwickelt. Bestückt mit Sensoren und Kameras schwebt sie über die Dächer und Schornsteine der Stadt. Ihre Mission: Sie soll als fliegende Patrouille Heizsünder entlarven. "Wir wollen aufzeigen, an welchen Stellen es in der Stadt die meisten Luftverpester gibt", erklärt Głodniok. Sechs Schadstoffparameter werden untersucht, wenn die Luft durch eine Schuhschachtel-große, schwarze Box unter der Drohne strömt. Das ist die Nase der Riechdrohne. Damit entsteht eine Landkarte der Luftqualität, visualisiert auf dem Laptop des Forschers. Grüne und rote Punkte werden angezeigt, je nach Verschmutzungsgrad der Luft entlang der Flugroute. "Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Leute sich genau überlegen, was sie zuhause verbrennen, und was eben nicht."
Wenn Bürger aktiv werden: Unterwegs mit dem Guerilla-Gärtner
Doch der Wandel vollzieht sich nicht nur in der Luft. Menschen wie Witold haben sich vorgenommen, Veränderung zu pflanzen. Der Umweltaktivist und Street-Art-Künstler streift beinahe täglich durch die Straßen der Metropolregion. Er pflanzt Bäume, Sträucher und Blumen - wann und wo er will. Besonders verwaiste Grünflächen oder kahlgefegte Bürgersteige haben es dem Guerilla-Gärtner angetan. Er selbst nennt sich "Garten-Partisan". Mitten auf dem Marktplatz von Chorzów, einem Vorort von Katowice, greift er zur Schaufel, hebt eine Grube aus und setzt eine kleine Fichte in den Boden. "Ich habe kein Dokument, was mir das erlaubt. Von daher ist es illegal", erzählt Witold während des Grabens. "Aber ich mache das ja schon eine Weile und sehe, wie die Pflanzen sich entwickeln und wie das der Stadt guttut." Nicht alles, was illegal sei, sei eben auch schlecht, schiebt er hinterher.
Der schlaksige Mitvierziger mit Kinnbart und Baskenmütze will weder auf die heimische Politik noch auf weltweite Klimaabkommen warten. Deshalb gräbt er, so oft er eben kann. Über fünfzehn Bürger kennt er, die seinem Vorbild folgen und im grünen Untergrund aktiv sind. Es soll noch weitere geben. Die Motivation sei immer ähnlich, glaubt Witold: "Ich tue das für mich, weil ich drei bis vier Mal am Tag hier vorbeikomme und den Anblick nicht mehr ertragen konnte." Dass er die Betonwüste Stück für Stück lebenswerter und damit auch klimafreundlicher macht, dafür bekommt er zuletzt viel Lob. "Das ist einfach mein Weg, wie ich bei uns etwas bewirken will."
Wenn Überzeugungstäter aktiv werden: Unterwegs mit dem Ökostrom-Fachmann
Patryk Białas ist überzeugt, dass man den Wandel in Katowice durch überzeugende Geschichten anstößt. Solche Impulse geben ist inzwischen sogar sein Beruf geworden. Białas arbeitet am Technologiepark Euro-Centrum und berät lokale Unternehmen dabei, wie sie beim Neubau von Gebäuden in Energieeffizienz oder in erneuerbare Energien investieren. So ist er Gesicht und Stimme der Energiewende in Katowice geworden. Sein Credo: Nach der Kohle ist vor der nächsten Energierevolution. Sein zentrales Thema: Jobs.
So könnte der Erneuerbare-Energien-Sektor in Polen im Jahr 2030 gut 186.000 Menschen Arbeit geben, glaubt der Ökostrom-Fachmann. "Wenn wir das vergleichen mit den 82.000 Arbeitsplätzen im Bergbau, dann heißt das: Es gibt eine konkrete Alternative für die sehr gut vorbereiteten Bergbau-Leute."
In vielen Ländern Westeuropas oder Deutschland finden derlei Geschichten Gehör. In Polen dominiert nach wie vor die Skepsis. Zu teuer, zu unzuverlässig seien die Erneuerbaren, heißt es in Diskussionen schnell. Energie aus Wind, Sonne oder Biomasse wird oft schlecht geredet, nicht nur, aber auch, weil sie beim deutschen Nachbarn so angepriesen wird. Die Stimmung gegenüber dem Nachbarn ist feindseliger geworden. Gerade die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) macht landesweit Stimmung gegen eine Abkehr von der Kohle als Energieträger Nummer Eins. Europäische Klimaziele will die polnische Regierung mit neuen, "sauberen" Kohlekraftwerken einhalten.
Doch Patryk Białas merkt, wie die Front gegen die Erneuerbaren bröckelt. Das Interesse sei sprunghaft gestiegen. Beim letzten regionalen Wirtschaftsforum habe sich die Zahl der Aussteller im Bereich Erneuerbare-Energien-Technologien von einem Jahr aufs nächste glatt verdoppelt. Und im Rathaus von Katowice werden Konferenzen für Klimaanpassung abgehalten. Inzwischen gibt es sogar ein Zuschussprogramm für den Austausch alter Kohleheizungen gegen neue, möglichst regenerative Anlagen. Ein paar Schritte Energiewende, nennt Patryk Białas das zuversichtlich: "Bei uns wird der Wandel hoffentlich viel kürzer dauern als in Deutschland, aber, wir brauchen eben noch ein bisschen Zeit."
Modellregion für den Umgang mit Kohleregionen
Marcin Krupa, Bürgermeister von Katowice, ist dankbar für diese Gesichter des Wandels, auch wenn er offiziell dem Guerilla-Gärtner natürlich keine Sympathie bekunden darf. Krupa ist überzeugt, dass aus dem einstigen Kohlerevier eine Stadt für Kongresse und Kulturveranstaltungen werden kann. Ganz bewusst vergleicht er die Entwicklung in Katowice mit der des deutschen Ruhrgebiets. "Das Internationale Kongresszentrum, in dem auch die COP24-Verhandlungen im kommenden Jahr stattfinden, soll diesen Wandel von Katowice beschleunigen", hofft der Bürgermeister. Marek Rosicki vom Umweltberatungsunternehmen Atmoterm aus Opole sieht das Ganze weniger ambitioniert. Katowice sei Modellstadt, aus ganz simplem Grund: "Es ist ein guter Ort, um zu diskutieren, was mit Kohle-Regionen passieren wird."
Die Recherche für diesen Beitrag wurde unterstützt durch ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung.