Verliert Deutschland die Führungsrolle?
20. November 2017Schwierige Situation in Berlin: Die Koalitionsverhandlungen der konservativen Parteien CDU und CSU, der liberalen FDP und der Grünen sind gescheitert. Am Sonntag (19.11.2017) hat die FDP die Gespräche beendet. Vier Wochen saßen die Parteien zusammen. Einer der größten Streitpunkte war der Klimaschutz.
Deutschlands ehrgeiziges Ziel
Im Jahr 2020 soll Deutschland 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als noch 1990. Dieses Ziel hat sich die Politik vor fast zehn Jahren selbst gesetzt. Ein ambitionierter Plan, vielleicht sogar zu ehrgeizig. Aktuelle Prognosen des Umweltministeriums gehen davon aus, dass Deutschland seine Emissionen bis 2020 nur um höchstens 34,7 Prozent senken kann. In den letzten Jahren ging der CO2 Ausstoß bei Kraftwerken kaum zurück. In der Industrie sind die Emissionen sogar leicht gestiegen.
Die selbst gesetzten Ziele, die Deutschland auch auf der Klimakonferenz 2015 in Paris bekräftigte, wird die Regierung unter Angela Merkel offenbar nicht erreichen. Warum sehen viele sie immer noch als Klimakanzlerin? "Deutschland war und ist ein Anführer in der internationalen Klimadiplomatie", sagt Lutz Weischer, Experte für internationale Klimapolitik des Vereins Germanwatch. "Auf der internationalen Bühne ist der Titel 'Klimakanzlerin' nicht unberechtigt."
Die Klimakanzlerin unter Druck
Tatsächlich schätzen auch viele Delegierte der COP23 das Engagement der deutschen Regierung. Zuletzt hatte Angela Merkel 100 Millionen Euro Hilfe für arme Länder zugesagt. "Wir sind sehr glücklich zu hören, dass Deutschland neues Geld für Fonds freigibt", sagte Evans Njewa, Finanzkoordinator der 48 am wenigsten entwickelten Länder der Welt.
Auch viele internationale Organisationen sehen Deutschland als Vorbild im Klima: "Die Regierung hat das Ziel, bis 2050 komplett kohlefrei zu sein und sie arbeitet sehr stark mit lokalen Akteuren zusammen", lobt Danny Sriskandarajah, Generalsekretär der südafrikanischen Organisation Civicus das deutsche Handeln.
Dennoch wird Deutschlands Image als Klimaretter immer öfter in Frage gestellt. Auf keiner Klimakonferenz zuvor war das Thema Kohleausstieg so präsent wie in Bonn. Am Donnerstag (16.11.2017) kündigten Großbritannien, Kanada, Frankreich und einige weitere Staaten eine Kooperation an, um im nächsten Jahrzehnt komplett aus der Kohle auszusteigen. Deutschland gerät so unter Druck: "Die Augen richten sich jetzt auch darauf, was Deutschland im Inland macht", erklärt Weischer im DW-Interview. "Das Kohlethema ist hier omnipräsent."
Allerdings setzen viele der Länder, die jetzt den frühen Kohleausstieg verkündet haben, auf Kernkraft oder nutzen Kohle seit jeher nur wenig. Insofern fällt ihnen dieser Schritt auch deutlich leichter als Deutschland, das nach der Katastrophe von Fukushima einerseits den Atomausstieg auf den Weg brachte, andererseits traditionell einen hohen Kohleanteil im Energiemix hat.
Warten auf die neue Regierung
Während andere Länder den Kohleausstieg planen, konnte die deutsche Delegation auf der COP23 keine festen Zusagen machen. Umweltministerin Barbara Hendricks ist nur geschäftsführend im Amt. Ihre Partei, die SPD, wird an einer neuen Regierung gar nicht beteiligt sein. Und die neue Koalition in Berlin steht noch lange nicht.
Hendricks musste sich daher mit Versprechen zurückhalten, auch in ihrer Reaktion zur Kooperation zwischen Großbritannien und Kanada: "Wir wurden gefragt, ob wir da mitmachen. Ich habe um Verständnis gebeten, dass wir das nicht im Vorgriff auf die nächste Regierung entscheiden können." Die Arbeit der deutschen Delegation sei von den Sondierungsgesprächen aber nicht beeinträchtigt worden, erklärt das Umweltministerium.
Es fehlt ein ganzes Stück
Feste Zusagen, die auf der COP nicht möglich waren, sind laut Lutz Weischer dringend nötig: "Es geht jetzt um die Maßnahmen: Nicht wie hoch ist das Ziel, sondern wie erreichen wir es." Angela Merkel ist das durchaus bewusst. In ihrer Rede bei der Klimakonferenz in Bonn räumte sie am Mittwoch (15.11.2017) Versäumnisse ein: "Unser Ziel für 2020 ist ehrgeizig. Jetzt am Ende des Jahres 2017 wissen wir, dass uns dahin noch ein ganzes Stück fehlt."
Umweltverbände waren enttäuscht. Sie hatten auf eine klare Ansage zum Ende der Kohle in Deutschland gehofft. Weischer sieht einen Grund für Merkels vage Aussagen in den laufenden Koalitionsverhandlungen: "Sie konnte wenig Konkretes ankündigen, da die Verhandlungen noch liefen. Aber sie hätte schon sagen müssen, dass sie alles dafür tun wird, die Ziele zu erreichen."
Ein notwendiger Schritt
Alle Jamaika-Parteien hatten vor dem Ende der Gespräche bekräftigt, dass sie zu den Klimazielen stehen. Allerdings waren sie sich zuletzt uneinig, wie genau sie diese erreichen wollen. Die Union aus CDU und CSU und die FDP wollten lediglich zwischen 32 und 66 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Die Grünen forderten bis zu 120 Millionen Tonnen weniger. Um die Klimaziele zu erreichen muss Deutschland rund 150 Millionen einsparen. Die Kohleproduktion wollten Union und FDP um maximal fünf Gigawatt (GW) drosseln. Die Grünen forderten das Doppelte.
Am Freitagmorgen (17.11.2017) war zu hören, dass es wohl Fortschritte beim Thema Klimaschutz gebe. Grünen-Politiker Jürgen Trittin sagte im Deutschlandfunk, es habe Annäherungen gegeben, auch beim Kohleausstieg. Vielleicht half bei der Annäherung ein Papier aus dem Wirtschaftsministerium. Darin heißt es, dass weniger Kohlekraftwerke sogar besser wären für ein stabileres Stromnetz.
Das interne Papier belegt außerdem, dass Deutschland gut auf einige Kohlekraftwerke verzichten könne. Selbst wenn etwa sieben Gigawatt der Kohleproduktion wegfallen, habe Deutschland im Jahr 2023 immer noch einen Überschuss von 11 GW. Die Umweltorganisation Greenpeace fordert daher, in den nächsten drei Jahren insgesamt 17 GW abzustellen. Etwa so viel, wie alle 14 Kohlekraftwerke im Bundesland Nordrhein-Westfalen zusammen produzieren.
So weit wäre die Jamaika-Koalition wohl nicht gegangen. Jetzt ist aber wieder alles offen. Reißen sich die Parteien nochmal zusammen, gibt es eine Minderheitsregierung oder doch Neuwahlen? Eins ist aber klar: Könnte sich die nächste Regierung auf den Kohleausstieg einigen, wäre das ein großer Schritt für Deutschland. Angela Merkel könnte so den Titel als Klimakanzlerin vielleicht doch noch verteidigen.