Katar, Ägypten und die Muslimbrüder
22. Januar 2021Freundlich die Begrüßung, erfolgreich die Gespräche: Es war ein politischer Durchbruch, den die beteiligten Akteure Anfang Januar im saudischen Al-Ula erzielten. Die Vertreter Katars auf der einen Seite und die Saudi-Arabiens, Bahrains, der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägyptens auf der anderen hatten sich geeinigt: Sie würden ihre Streitigkeiten beilegen. Damit endete der Boykott, den Saudi-Arabien und seine Verbündeten im Sommer 2017 gegen Katar begonnen hatten. Die Zeit des Disputs sei vorbei, nun beginne die Zeit von Solidarität und Zusammenarbeit, erklärte der katarische Außenminister Scheich Mohammed bin Abdulrahman al-Thani auf Twitter.
Eines der zentralen Themen des Streits war die Nähe Katars zu den Muslimbrüdern. Ägypten hatte diese nach dem Sturz des aus den Reihen der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten Mohammed Mursi im Jahr 2013 zur Terrororganisation erklärt. Ein Jahr später erklärte Katar, es werde seine Unterstützung für die Muslimbrüder herunterfahren. Dass der Ankündigung keine Taten folgten, war einer der Gründe, weshalb sich Ägypten, Saudi-Arabien und deren beide Partner 2017 zum Boykott des Emirats entschlossen. Nun, nach der Einigung von Anfang Januar, ist der künftige Status der Muslimbrüder in Katar offen.
Pragmatismus in Doha
Es sei gut möglich, dass Katar zu den Muslimbrüdern fortan auf Distanz gehe, sagt die Politologin Hager Ali vom Hamburger "Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien" (GIGA) im DW-Interview. "Das Emirat richtet sich nach der Beilegung des Streits neu aus. In Doha sichtet man, was zu den eigenen Interessen passt und was nicht." Es sei durchaus denkbar, dass die Muslimbrüder wie auch andere Gruppen und Bewegungen dem neuen Kurs im Wege stünden. "In Katar befindet sich ja die US-Luftbasis Al-Udeid, die größte auf der Arabischen Halbinsel. Gerade nach dem Regierungswechsel in den USA ist es durchaus möglich, dass die Regierung in Doha ihre Beziehungen nach Washington noch enger als bislang gestalten will."
Schutzmacht der Muslimbrüder
Der neue Kurs könnte für die Muslimbrüder zu einer enormen Herausforderung werden. Denn den Schutz des Emirats genießen sie seit langem.
So lebt etwa der populäre, in Ägypten geborene Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi bereits seit 1961 in Katar, dessen Staatsbürgerschaft er inzwischen besitzt. In seiner über Al-Jazeera ausgestrahlten Fernsehsendung "Die Scharia und das Leben" erreichte der ultrakonservative Prediger regelmäßig ein Millionenpublikum. Im Herbst 2004 hatten sich einem Bericht der saudischen Zeitung "Arab News" zufolge 2400 muslimische Intellektuelle in einer Petition an die Vereinten Nationen gewandt. Religion dürfe nicht länger als Vorwand zur Förderung des Terrorismus dienen, forderten sie. Zu den als "Todesscheichs" kritisierten radikalen Religionsgelehrten zählten sie auch al-Qaradawi.
Qaradawi gilt nicht nur als einer der Vordenker der Muslimbrüder - er hatte auch erheblichen Einfluss auf die Präsenz der Organisation in Katar. Denn der Prediger hatte ein enges Verhältnis zu dem bis 2013 amtierenden Staatsoberhaupt, Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani. Der Politiker vertrat in der Öffentlichkeit wiederholt Positionen, die denen al-Qaradawis sehr nahe standen.
Zugleich schien es in den ersten Jahren nach den Revolutionen von 2011 auch politisch opportun, auf die Muslimbrüder zu setzen. Denn sowohl in Ägypten wie auch in Tunesien hatten diese beachtliche Wahlerfolge erzielt. Darum setzte man in Doha auf jene Kraft, der die politische Zukunft in der Region zu gehören schien. So unterstützte Katar die Regierung Mohammed Mursi mit einem Kredit von 7,5 Milliarden US-Dollar.
Zuvor hatte Katar bereits die den Gazastreifen regierende Hamas mit Millionensummen unterstützt. Auch die Hamas entstammt den Reihen der Muslimbrüder.
Verfolgung in Ägypten
In Ägypten hingegen haben die Muslimbrüder seit langem einen schweren Stand. "1952 begrüßten die Muslimbrüder den Sturz von König Faruk I.", so Hager Ali. Danach ergaben sich dann aber schnell weltanschauliche Differenzen. 1954 verübten die Muslimbrüder ein Attentat auf Ägyptens Staatspräsident Nasser, das aber misslang. Seitdem sahen sie sich staatlicher Verfolgung ausgesetzt, die unter Präsident Anwar as-Sadat - dieser gehörte ursprünglich selbst zu den Muslimbrüdern - kurzzeitig endete, nach dessen Ermordung aber wieder neu einsetzte.
Rückhalt in der Bevölkerung - insbesondere unter der verarmten, meist wenig gebildeten Landbevölkerung - gewannen die Muslimbrüder nicht zuletzt durch ihre karitativen Organisationen. In einem Land, dessen Bevölkerung einen funktionierenden Sozialstaat kaum kennt, schufen sie auf diese Weise nachhaltige politische Loyalitäten.
"Seitdem gelten die Muslimbrüder den Regierungen des Landes als potentielle Gefahr", so Hager Ali. Das gelte auch heute noch. "Inzwischen hat aber auch das Misstrauen der Bevölkerung zugenommen. Nachdem der 2019 in der Haft verstorbene Mohammed Mursi 2012 Staatspräsident des Landes wurde, erkannten viele Ägypter, dass auch die Muslimbrüder nicht in der Lage sind, das Land angemessen zu regieren." Seitdem sind die Ägypter in ihrer Haltung zu den Muslimbrüdern extrem polarisiert. "Kaum ein Thema spaltet sie so sehr wie die Diskussion um die Bruderschaft."
Keine politischen Akteure mehr
Wie es mit den Muslimbrüdern nun weitergeht, ist offen. Noch haben sie mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan einen mächtigen Verbündeten. Denn Erdogans Partei, die AKP, ist ihnen ideologisch verbunden. Darüber hinaus aber schwindet die Unterstützung. "Die Muslimbrüder rekrutieren neue Mitglieder überwiegend über Moscheen" sagt Hager Ali. "Davon gibt es im Nahen Osten sehr viele. Dieser Umstand dürfte ihr Überleben sichern."
Insgesamt allerdings bewegten sie sich nun in Richtung einer politisch-weltanschaulichen Bewegung. "Den Rang als aktive politische Akteure hingegen verlieren sie oder haben ihn schon verloren."