Das Schreckgespenst Muslimbruderschaft
10. Februar 2011Im Westen galt Ägyptens Präsident Husni Mubarak lange als ein Garant dafür, die Fundamentalisten von der Macht fernzuhalten. Die Angst vor einer möglichen Islamisierung Ägyptens war groß - unbegründet, meint der Islam-Experte Lutz Rogler. Denn die Bewegung der Muslimbrüder, die mittlerweile seit über 80 Jahren besteht, habe sich verändert. Sie sei keine rein militärische Gruppierung mehr. "Denn innerhalb der Bewegung gibt es verschiedene Generationen und Strömungen. Außerdem hat die Bewegung sich gegenüber demokratischen Prinzipien und der Zusammenarbeit mit anderen Oppositionskräften geöffnet", so Rogler.
Islamische Werte
Gegründet wurde die Muslimbruderschaft 1928 vom ägyptischen Grundschullehrer Hassan Al-Banna als eine Reformbewegung. Ihr Ziel: Der Aufbau einer Gesellschaft, die sich an islamischen Werten orientiert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die Muslimbrüder zu einer Massenbewegung in Ägypten. Doch nach einem gescheiterten Anschlag auf den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser ließ dieser die Bewegung 1954 auflösen und viele ihrer Mitglieder hinrichten.
Ende der 1970er-Jahre kehrten die Muslimbrüder auf die politische Bühne zurück und bildeten seitdem eine starke Oppositionskraft. Neben ihrem politischen Engagement baute die Bewegung viele Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen. Das stärkte ihre Position vor allem in den ärmeren Bevölkerungsschichten. Als Partei waren die Muslimbrüder jedoch auch unter Mubarak verboten. Doch sie unterstützten unabhängige Kandidaten im ägyptischen Parlament und hatten so seit 2005 faktisch ein Fünftel der Sitze inne.
Keine islamische Revolution
Vorwürfe, die Bruderschaft warte lediglich auf den richtigen Moment, um die Macht an sich zu reißen, weist Hilmi Dschasar, einer der führenden Persönlichkeiten der Organisation in Ägypten, vehement zurück. Stattdessen warte man zusammen mit allen anderen Parteien auf die Chance, vom Volk gewählt zu werden, so Dschasar. "Und dann wird die Welt ein Musterbeispiel an Demokratie erleben, an der sich die Muslimbrüder wohlgemerkt beteiligen und sie nicht dominieren."
Trotz der Bemühungen der Muslimbrüder, als eine gemäßigte demokratische Partei wahrgenommen zu werden, fürchtet der Westen ein Machtvakuum in Ägypten. Die Abwesenheit einer politischen Führung, so meinen viele, könnten die Islamisten ausnutzen, um an die Macht zu gelangen. Eine Sorge, die der Islam-Experte Lutz Rogler nicht teilt: "Ich glaube, dass der Westen übertreibt, wenn er sich über eine mögliche Beteiligung der Islamisten an einer zukünftigen Regierung in Ägypten sorgt." Und sollten tatsächlich freie Wahlen stattfinden, so der Islamwissenschaftler weiter, sei lange nicht sicher, wie viele Stimmen die Muslimbrüder bekommen.
Liberaler Wandel
Nach Ansicht vieler Beobachter kennt die Führungsriege der Organisation die Wünsche und Forderungen der zumeist jungen Protestler in Ägypten nicht. Die Konzepte und Programme der Muslimbrüder seien tatsächlich wenig attraktiv für viele junge Ägypter, ist der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel Samad überzeugt.Er selbst war als junger Mann Mitglied der Muslimbrüder und glaubt, dass gerade der Schulterschluss aller Parteien derzeit auf den Straßen Kairos zu einem liberalen Wandel innerhalb der Muslimbrüder führen wird: "Die alte Garde gehört tatsächlich der Mubarak-Ära an. Es gibt aber eine neue Generation, die jetzt auf die Straße geht", so Samad. Das Bewusstsein dieser neuen Riege der Muslimbrüder wurde während der Demonstrationen neu geschärft und geformt. "Sie sehen um sich nun junge, hübsche Ägypterinnen ohne Kopftuch, die mit ihnen politisch aktiv sind. Und sie gewöhnen sich langsam daran."
Autor: Nader Alsarras
Redaktion: Stephanie Gebert / Kay-Alexander Scholz