Die Rolle des Militärs in Ägypten bleibt diffus
4. Februar 2011
Für viele ausländische Beobachter waren die Bilder überraschend: Das Volk demonstriert, Panzer fahren auf - aber die Demonstranten zeigen keine Angst. Sie jubeln den Soldaten zu, obwohl diese vom verhassten Regime geschickt wurden. Einige Demonstranten tragen Offiziere auf den Schultern, andere sprühen ungehindert Parolen auf die Panzer wie "Nieder mit Husni Mubarak". Und schon gab es erste Spekulationen: Lässt das Militär den Präsidenten fallen? Das war in der vergangenen Woche in Ägypten. Und trotz der Unruhen der vergangenen Tage gibt es bis zu diesem Freitag (04.02.2011) solche Bilder.
Bisher haben die Demonstranten vergeblich darauf gehofft. Das Militär gerät zwar zunehmend in den Mittelpunkt des ägyptischen Machtkampfes. Aber es setzt dabei sehr widersprüchliche Signale und vermeidet es, eindeutig Position zu beziehen: An einem Tag erklärt die Armee überraschend, die Forderungen der Anti-Mubarak-Demonstranten seien "legitim". Am nächsten Tag sieht die Armee zumindest eine ganze Weile lang tatenlos zu, wie offensichtlich bezahlte Anhänger des Präsidenten auf die Demonstranten einprügeln.
Armee als Spiegelbild der Bevölkerung
Einer der Gründe für dieses ambivalente Verhalten dürfte sein, dass die Armee als Spiegelbild der Bevölkerung gilt. Mubarak hat zwar in den vergangenen 30 Jahren die oberen Ränge mit Gefolgsleuten besetzt. In den mittleren und unteren Rängen herrscht jedoch ein relativer Bevölkerungsquerschnitt. Ausgemachte Gegner Mubaraks - von liberalen Demokraten bis hin zu Muslimbrüdern - dürften dort genauso zu finden sein wie überzeugte Anhänger des Präsidenten.
Unter anderem dadurch erklärt sich auch das Image der Volksnähe, von dem die ägyptische Armee zehrt. Zu ihrem positiven Image in der Bevölkerung tragen zudem die militärischen Teilerfolge im Yom-Kippur-Krieg gegen Israel von 1973 bei, ihr Ruf als verlässlicher Sicherheitsgarant und ihre Rolle bei der Gründung der Republik 1952. Der ägyptische Sicherheitsexperte Mohamed Mugahid al-Zayyat vom Zentrum für Nahoststudien in Kairo betont, die Armee habe in der ägyptischen Geschichte immer eine wichtige Ventilfunktion für die Sicherheit gehabt. "Und es war die Armee, die Ägypten von der Monarchie in die Republik geführt hat. Das war der Anfang der guten Beziehung zwischen Armee und Bürgern in Ägypten.“
Militär immer schon volksnah
Viele Ägypter erinnern sich auch gut daran, als die Armee 1977 nach den sogenannten "Brotunruhen" in die großen Städte Ägyptens einmarschiert ist und dem Chaos ein Ende setzte. Ähnliche Szenen wiederholten sich 1986, als Tausende Mitglieder der Sondereinheiten der Polizei rebellierten, plünderten und Touristenhotels angriffen. Auch da war es die Armee, die die Lage unter Kontrolle brachte. Al-Zayyat meint, die Armee sei bisher in Ägypten - anders als die Polizei - kaum als Unterdrückungsinstrument gesehen worden.
Ähnlich argumentiert der Nahost-Experte Asiem El-Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: "Die Armee hat mehrere Kriege für Ägypten gefochten, gilt also schon in dem Sinne als Volksarmee." Das Militär habe sich nie öffentlich an Unterdrückungsmaßnahmen beteiligt, wie die Sonderpolizei oder die Staatssicherheit und andere Sondereinheiten der Polizei, sagt El-Difraoui. "Die Armee ist also nicht in die Folterungen, Festnahmen und das Grauen des Geheimdienstes und der Staatssicherheit verfangen. Und sie wird damit auch nicht in Verbindung gebracht.“
Der gegenwärtige unklare Kurs der Armee dürfte auch damit zu erklären sein, dass die Armeeführung eine Spaltung in den eigenen Reihen verhindern möchte. El-Difraoui sieht darin zudem einen Versuch, sich bestmöglich für alle denkbaren Zukunftsszenarien zu wappnen: Das Militär versuche, seine eigene Macht zu retten, ist sich der Experte sicher. Es könne "nicht zu sehr als Pro-Mubarak-Kraft in Erscheinung treten". Gleichzeitig wolle die Armee aber auch die Opposition nicht offen unterstützen, weil die großen Generäle selbst nicht wüssten, wie es weitergehe.
Wie groß ist der Einfluss der USA?
Strittig ist unter Experten, wie groß der amerikanische Einfluss auf das ägyptische Militär ist - immerhin haben die Generäle am Nil bisher eine jährliche Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar erhalten. Könnte das ein Hebel sein, um von Washington aus Mubaraks Rückzug von der Macht zu beschleunigen? Der Kairoer Experte Al-Zayyat glaubt dies nicht. Dafür stehe aus amerikanischer Sicht in der gesamten Region zu viel auf dem Spiel, meint er: "Die amerikanische Militärhilfe ist ein Teil des Friedensabkommens mit Israel. Wenn die USA beschließen würden, diese Hilfe zu stoppen, dann wäre das das Ende des Friedensabkommens mit Israel." Das würde einen Rückgang der amerikanischen Rolle im Nahen Osten bedeuten, sagt Al-Zayyat. Die USA hätten also selbst ein großes Interesse an dieser Hilfe.
Anders sieht das Nahost-Experte El-Difraoui aus Berlin: Er glaubt, dass die USA durchaus Druck auf das Militär ausüben könnten: "Wenn die Amerikaner sagen: 'Mubarak ist für uns jetzt gar nicht tragbar, und wenn ihr weiter unsere Militärhilfe haben wollt, dann sollt ihr Mubarak nicht mehr unterstützen'" - dann, sagt der Experte, könne es gut sein, dass das Militär die Seiten wechsele. Möglich sei, dass es selbst eine Übergangsregierung bilde und einen Premierminister einsetze, "der nicht so belastet ist", also unabhängig vom alten Regime.
Autor: Samir Grees
Redaktion: Ursula Kissel / Marco Müller