Kapverden ohne Touristen
25. November 2020"Ich habe fast vier Jahre im Iberostar-Hotel gearbeitet und jetzt bin ich arbeitslos", klagt Dina Brito. "Ich bekomme noch fünf Monate Arbeitslosengeld, danach weiß ich nicht, wie ich meine beiden Kinder ernähren soll." Die Frau ist verzweifelt.
Seit wegen der COVID-Pandemie kaum noch Touristen auf die Kapverden kommen, gibt es so gut wie keine Arbeit mehr auf der Insel Boa Vista, die fast ausschließlich vom Tourismus lebt. Hunderte Hotelangestellte sind entweder in Kurzarbeit oder entlassen, die Restaurants stehen leer, die Taxifahrer haben keine Kunden mehr. "Im Hotelrestaurant habe ich rund 230 Euro im Monat verdient und dazu kamen noch die Trinkgelder", berichtet Brito. "Jetzt reicht es nicht einmal mehr, um die Miete zu bezahlen."
Die Kapverdischen Inseln, sie liegen rund 600 Kilometer vor dem Senegal an der afrikanischen Westküste, haben in den vergangenen Jahren stark auf den Tourismus gesetzt. Nun trifft sie die Corona-Krise besonders hart: Während 2019 noch 820.000 Urlauber in das kleine 600.000-Einwohner-Land kamen, sind die Zahlen in diesem Jahr massiv eingebrochen.
Obwohl oder weil die Ansteckungszahlen im Land halbwegs unter Kontrolle waren, hatte die Regierung im Sommer einen absoluten Einreisestopp verkündet, der erst im Oktober wieder aufgehoben wurde. Viele der Hotels auf den zehn Inseln sind noch immer geschlossen. Ein Wirtschaftszweig, der ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts darstellt, steht still.
Ferieninsel ohne Urlauber
"Wir hatten nach der Eröffnung sehr gute acht Monate, dann kam Covid", erinnert sich der Belgier Kevin Sanders, der mit seiner Frau Laura Smith eine Pension am Stand auf Boa Vista führt. "Seitdem stehen unsere fünf Zimmer leer und wir haben keinen Cent mehr eingenommen."
Sie hätten ja noch ihre Ersparnisse aus Europa, aber die meisten Bewohner der Insel stünden vor dem Nichts: Ohne Gäste kauften die Restaurants den Fischern ihren Fang nicht mehr ab, niemand buche Ausflüge bei den kleinen Agenturen in der Stadt, die Läden und die Marktfrauen hätten keine Kunden mehr. Die Wirtschaft auf der Insel Boa Vista ist zusammengebrochen.
"Den Fisch, den wir fangen, verschenken wir jetzt an die Familie und Freunde. Die müssen schließlich etwas essen", erzählt der Fischer Janilton, während er am Strand sein kleines Boot ausbessert.
Das Ausbleiben der Touristen werde der kapverdischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen, meint der Wirtschaftsprofessor José Lopes da Veiga. Sie werde nach Vorhersagen zwischen vier und acht Prozent schrumpfen. Vielleicht auch mehr, denn der Anteil der "informellen" Wirtschaft, des Geldes also, das am Finanzamt vorbeigeht, sei mit 12,5 Prozent auf Cabo Verde sehr hoch. "Wir müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen. Das werden wir aber nur mit internationaler Hilfe schaffen."
Aufs falsche Pferd gesetzt?
In der Corona-Krise zeigt sich, dass die Politik, den Tourismus massiv auszubauen, vielleicht ein Fehler war. Das erst 1975 von Portugal unabhängig gewordene damalige Entwicklungsland baute den Massentourismussektor gnadenlos aus, wollte zwei der Inseln in 'Ferienparadiese' verwandeln; mit Direktfügen aus Europa und All-Inclusive-Angeboten. Der Landwirtschaftsbereich und andere Wirtschaftszweige dagegen wurden vernachlässigt.
"Wir dürfen unsere Wirtschaft nicht nur auf Tourismus ausrichten, sondern müssen auch andere Bereiche wie zum Beispiel die Fischerei ausbauen". kritisiert der Wirtschaftsberater Carlitos Fortes von der Bank Banco Caboverdiano de Negócios.
Carlos Santos, der Tourismusminister der Kapverden, gibt zu, dass sich die Corona-Pandemie auch in den nächsten Jahren negativ auf die Wirtschaft des Landes auswirken wird: "Wir werden die Touristenzahlen des vergangenen Jahres wohl erst 2023 wieder erreichen. Das beunruhigt uns sehr." Zurecht, denn eigentlich hatten die Beamten seines Ministeriums davon geträumt, in diesem Jahr die Schallmauer von einer Million Touristen zu durchbrechen.
Jetzt hat der Rückgang ein tiefes Loch in die sowieso schon kleine Staatskasse gerissen. Mit dramatischen Folgen, sieht der Wirtschaftsfachmann Fontes voraus: "Wenn der Tourismus sich nicht schnell erholt, werden wir große wirtschaftliche und soziale Probleme bekommen."
Arbeitslose verlassen Ferienparadies
Maisa Ribeiro auf der Insel Boa Vista sorgt sich derweil, wie sie weiter über die Runden kommen soll. Auch sie arbeitet in einem der Hotels, ist auf Kurzarbeit und 200 Euro im Monat. "Das Leben auf Boa Vista ist sehr teuer. Da reicht das nicht zum Überleben", versichert die Mutter von zwei Kindern. Viele ihrer Kollegen seien darum schon auf ihre Heimatinseln zurückgekehrt. Maisa Ribeiro kommt von der Hauptinsel Santiago. Vielleicht werde auch sie wieder weggehen. Auf Santiago habe sie wenigstens die Hilfe ihrer Familie.