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LiteraturGlobal

Kann KI Geschichten erzählen?

Fabian May
20. März 2021

Seltsame Dinge passieren, wenn Künstliche Intelligenz eine Geschichte schreibt. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat es ausprobiert. Was Maschinenprosa kann - und was nicht.

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Ein Mann umarmt einen anderen, Szenenfoto von "KI - Wenn ein Roboter ein Stück schreibt"
Szenenfoto aus dem Theater-Experiment "KI - Wenn ein Roboter ein Stück schreibt"Bild: Alena Hrbková

Anfang 2020 tippte der deutsch-österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann vielversprechende erste Sätze einer Kurzgeschichte in einen Computer: "Ich war auf Wohnungssuche. Es lief nicht gut." Aus den Tiefen des weltweiten Cloud-Computing antwortete ihm ein schreibender Algorithmus namens CTRL mit diesen KI-generierten Zeilen: "Das Erste, was er zu mir sagte, war: Hey Mann, du hast einen knackigen Arsch, und du hast vor nichts Angst." So sollte die Geschichte also weitergehen. "Das stimmt", versuchte Kehlmann beim Thema zu bleiben, "aber wegen der Wohnung..." Doch darauf stieg der Algorithmus nicht wieder ein.

Weder gelungen noch gescheitert

Diese Erfahrungen mit Maschinenprosa schilderte Daniel Kehlmann im Februar in seiner ersten "Stuttgarter Zukunftsrede", einer neuen Vortragsreihe, in der sich Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Politik Gedanken zur Zukunft machen. Die Rede "Mein Algorithmus und ich" ist jetzt auch als Buch erschienen. Darin schildert Kehlmann sein Experiment: Im Februar 2020 flog er ins Silicon Valley, um dort CTRL und dessen Schöpfer Bryan McCann kennenzulernen, auf Einladung von Open Austria, der offiziellen Vertretung Österreichs im Tal der IT-Visionäre.

Richtig gescheitert sei das Geschichtenschreib-Experiment nicht, findet Kehlmann. Es habe ein paar schöne absurde Fragmente hervorgebracht. Doch Plots oder Figurenkonstellationen stehe die KI verständnis- und hilflos gegenüber. Daniel Kehlmann habe sie als orientierungslosen "Zweitverwerter" menschengeschriebener Textdaten kennengelernt. Im direkten Umgang mit einem Algorithmus begreife man allmählich, dass man es "eben nicht mit einem Menschen im Kostüm zu tun hat", sagte Kehlmann in seiner Rede, "sondern mit etwas viel Fremderem - einer problemlösenden Entität ohne Innenseite." In seiner gewohnt prägnanten Art bringt Kehlmann es auf die Formel: "Man merkt, dass da keiner zu Hause ist." 

KI macht Theater

Ein Sprung auf die Bühne des kleinen Švanda-Theaters in Prag, beziehungsweise in Zeiten der Coronavirus-Pandemie zu einem Theater-Livestream am Bildschirm. Im Februar hatte das Stück "AI: Když robot píše hru" ("KI: Wenn ein Roboter ein Stück schreibt") virtuelle Uraufführung. Dahinter steckt eine Gruppe von Linguisten, Computer- und Theaterfachleuten, die ihr Stück zu 90 Prozent von einer KI haben schreiben lassen.

Das hat auch in diesem Fall zum Teil völlig absurde Handlungswendungen hervorgebracht, aber dann holt die KI aus den Tiefen ihres "Un-Unbewussten", wie Kehlmann es nennt, einen Geniestreich hervor: "Ich werde dir das Geheimnis des Schauspielerns verraten", sagt der Roboter. "Aber ich bin nicht sicher, ob ich es verraten will."

Lehren aus Schreib-Experimenten

Das sind nur zwei von vielen Schreibexperimenten weltweit, die einiges über textgenerierende KI lehren. Erstens bekommt die Menschheit von ihr zurück, was sie selbst in die Welt gesetzt hat. CTRL wurde zum Teil mit Textdaten von Reddit bestückt. Auf der beliebten Internetplattform finden sich Diskussionsforen zu nahezu allen Themen, mitunter geht es dort auch beleidigend zu. Würden die Programmierer ihr nicht manche Ausdrücke rundheraus verbieten, könnte die damit gefütterte KI CTRL schnell Hassrede reproduzieren. Schließlich hat sie kein eigenes Verständnis dafür, was Menschen als unangemessen empfinden.

Zweitens verfügt KI über kein Verständnis im menschlichen Sinne. Darum fehlen ihr trotz all der Trainingsdaten Anhaltspunkte, worauf es ankommt, wenn man eine Geschichte erzählt, einen Witz macht oder eine passende Metapher zu finden versucht. Die vielen unausgesprochenen Regeln dafür kennt sie nicht, denn dafür bräuchte sie Kontextwissen, sprich einen Körper, Gefühle und Erfahrungen.

Was können Algorithmen also? Sie können sehr gut rechnen und auf dieser Grundlage statistisch normale Texte hervorbringen. Beispielsweise ist es wahrscheinlicher, dass auf das Wort "Ich" in einem Text das Wort "meine" oder "glaube" folgt; Folgewörter wie "vergifte" oder "Lampe" sind eher unwahrscheinlich, erklärt Kehlmann in seiner Rede.

KI fehlt es an "aboutness"

Für mehr fehle es der KI an "narrativer Konsistenz", wie Kehlmann sagt. "Lack of aboutness" nennt es der tschechische Linguist Rudolf Rosa vom Team hinter dem Prager Theaterstück. Ein Teil des Problems: Sowohl das von Kehlmann benutzte CTRL als auch das in Prag genutzte, fortgeschrittenere System GPT-2 von OpenAI leidet an Gedächtnisschwund. Sie erinnern sich nur an die letzten 500 bis 1000 Wörter, alles davor Gesagte vergessen sie. CTRL stürzt regelmäßig nach einer Seite Text ab.

Schriftsteller Daniel Kehlmann (rechts) mit CTRL-Erfinder Bryan McCann
Schriftsteller Daniel Kehlmann (rechts) mit CTRL-Erfinder Bryan McCannBild: Clara Blume/Open Austria


KI ist mit ihren offensichtlichen Unfähigkeiten auch ein Spiegel dafür, was Geschichtenerzählen eigentlich ausmacht. Es bedeutet weit mehr, als oberflächlich Wörter und Sätze nach Wahrscheinlichkeitsverteilungen aneinanderzureihen. Kritiker sprechen gern von "Dringlichkeit", "existenzieller Bedeutsamkeit" eines Textes oder der "eigenen Stimme" von Autorinnen und Autoren. Man kann es natürlich auch etwas handwerklicher ausdrücken: "Erzählen, das heißt vorausplanen", so Daniel Kehlmann. "Oder mehr noch: Es heißt, einen inneren Zusammenhang schaffen, der alle Sätze, Absätze und Wendungen durchzieht. Genau das kann CTRL nicht, per definitionem. CTRL sucht nach der wahrscheinlichsten Wendung, aber nicht des Plots, sondern der Sprache."

Ist Kehlmann an der KI gescheitert?

Was KI künstlerisch zustande bringt, ist also eher ernüchternd. Aber vielleicht ist es auch eine falsche Blickrichtung, ausgerechnet zu fragen, wie gut sich KI auf dem Gebiet menschlicher Kernkompetenzen schlägt. Vielleicht sollten wir lieber die Ästhetik erkunden, die sie von sich aus mitbringt, schlägt der deutsche Digital-Lyriker und Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr vor.

Kehlmanns Experiment sieht er kritisch - im Grunde sei der Autor an der KI gescheitert. "Ich glaube, dass Kehlmann sich eigentlich nicht wirklich auf die KI einlässt, jedenfalls nicht ästhetisch", sagt Bajohr. "Ihm kommt nicht in den Sinn, dass man mit Maschinen anders Literatur und vielleicht auch andere Literatur schreiben muss." Im Grunde verwende er die KI als eine Art "Kehlmann-Bot", der sich wie er selbst an einem literarischen Realismus orientiere.

Neue Perspektiven für Literatur

Bajohr verweist auf die großen Potenziale von KI für experimentelles oder surrealistisches Schreiben. Wie bei Allison Parrish, Dichterin und Programmiererin aus New York: Sie lässt Algorithmen neue Wörter zwischen existierenden erfinden. So wird aus "North", "East" und "West" zum Beispiel "eaurth" oder "woerth".

Unkonventionelle Ansätze wie diese sind viel ergiebiger für künstlerische Arbeit mit KI, findet Bajohr. "Metaphern oder auch Witze - gut, das können sie halt nicht so gut. Aber ich weiß gar nicht, ob das nötig ist. Es ist interessanter zu schauen, was sie gut können und welche Art von Literatur sich daraus ergibt."