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Kazuo Ishiguros Roman "Klara und die Sonne"

Sabine Kieselbach
15. März 2021

Wie sieht eine Welt aus, in der Künstliche Intelligenz zum Alltag gehört? Und was bedeutet es, in dieser Welt Mensch zu sein - und zu lieben? Kazuo Ishiguro sucht Antworten.

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UK PK des  japanischen Schriftstellers Kazuo Ishiguro in London
Bild: picture-alliance/AP/dpa/A. Grant

Klara ist die perfekte Gefährtin für die junge Josie: freundlich; immer da, wenn man sie braucht; bereit, sich bedingungslos zu opfern, wenn das Mädchen in Gefahr ist. Doch Klara ist keine normale Freundin. Einmal wird sie von einer Nachbarin gefragt: "Du bist doch ein Gast? Oder soll ich dich behandeln wie einen Staubsauger?" Klara ist eine KF, eine künstliche Freundin. Ein Android, der dazu da ist, ein Menschenkind ins Erwachsenenalter zu begleiten.

Kazuo Ishiguros neuer Roman

Was macht Künstliche Intelligenz mit unserer Gesellschaft?

Buchcover von "Klara und die Sonne" von Kazuo Ishiguro

Klara und Josie leben in einem Amerika in ferner Zukunft. Eine Welt, die vielleicht gar nicht mehr so fern ist und in der die Menschen in ein Kastensystem gepfercht sind: diejenigen, die noch nützlich zu sein scheinen für die Gesellschaft, und jene, die aussortiert werden - weil sie nicht mitmachen wollen, oder weil sie nicht mehr gebraucht werden. Denn längst haben Künstliche Intelligenzen viele Aufgaben übernommen und viele Jobs überflüssig gemacht.

Ein realistisches Szenario, sagt Kazuo Ishiguro im Interview: "Ich fürchte mich nicht vor Künstlicher Intelligenz, sie ist in vieler Hinsicht eine Bereicherung. Aber wir müssen uns mit der Herausforderung auseinandersetzen, was das für die Arbeitswelt bedeutet. Unsere Gesellschaften sind so organisiert, dass wir alle einen Job haben, dass wir davon leben und uns und unsere Familien ernähren können. Das wird sich verändern - und dem müssen wir uns stellen."

Eine Welt ohne Erinnerung - und ohne Aufbegehren

Gesicht eines Roboters
Zukunftsvision: Eine Gesellschaft aus Menschen und AndroidenBild: Imago Images

"Klara und die Sonne" ist nicht einfach eine dystopische Fantasie. Der Roman, Kazuo Ishiguros achter, stellt wie alle seine Bücher große, existenzielle Fragen: Wie erinnern wir uns - und an was? Was macht uns zum Menschen? Was heißt es zu lieben - und welchen Preis sind wir bereit, dafür zu zahlen?

Für Klara gibt es keine Erinnerung. Sie muss sich die Welt durch Beobachtung erschließen, begreift erst allmählich, welche Aufgabe ihr zugedacht ist. Und sie lernt, was Freundschaft ist - und was Liebe.

Aber auch Klara wird eines Tages aussortiert, ihre Aufgabe hat sich erledigt. Auf die Idee, aufzubegehren, kommt sie nicht. Da hat sie viel gemein mit Ishiguros vielleicht bekanntester literarischer Figur, dem fügsamen Butler Stevens in "Was vom Tage übrigblieb", für den der Schriftsteller 1989 den Booker Prize erhielt und der mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle auch als Film ein Welterfolg war.

Szene aus dem Film "Was vom Tage übrig blieb" mit Anthony Hopkins
Szene aus dem Film "Was vom Tage übrig blieb" mit Anthony HopkinsBild: Sony Pictures Home Entertainment

Aber warum begehren seine Figuren nie auf? "Wir sind einfach nicht gut darin, zu rebellieren", sagt Kazuo Ishiguro im Interview, "auch wenn das in Hollywood-Filmen ein beliebtes Motiv ist. Die Menschen auch in freien Gesellschaften akzeptieren ihr Schicksal und ihre Machtlosigkeit und verharren selbst in gewalttätigen Familien oder schwierigen Situationen. Sie wollen vor allem eins: ihre Würde bewahren. Aber sein Schicksal zu akzeptieren heißt nicht, sich nicht weiterzuentwickeln. Auch wenn der Butler Stevens kein Held sein mag, so erkennt er doch, dass er in der Vergangenheit den falschen Werten anhing."

Schweden Stockholm Vergabe der Nobelpreise | Kazuo Ishiguro, Literatur
Hohe Auszeichnung: Im Dezember 2017 nahm Kazuo Ishiguro den Literaturnobelpeis entgegenBild: Reuters/TT News Agency/J. Ekstromer

"Klara und die Sonne" ist Ishiguros erster Roman, den er geschrieben hat, nachdem er 2017 den Literaturnobelpreis erhalten hat. Und auch in diesem Buch erweist er sich vor allem als eines: als elegant erzählender, großer Moralist, der uns die Zerbrechlichkeit und auch die Schönheit menschlicher Existenz vor Augen führt.