Exil-Kameruner sorgen sich um ihre Heimat
14. Mai 2019Ein unangenehmer Frühjahrswind weht durch die Dortmunder Innenstadt, kamerunische Flaggen zittern in der Luft. Rund 70 Männer und Frauen halten mit ernstem Blick Plakate in die Höhe. "Paul Biya setzt Kamerun in Brand" steht auf einem. Kamga Moudime* ist für die Kundgebung extra aus dem Rheinland angereist. Auf seinem Smartphone zeigt er, warum sich die Menschen hier versammelt haben: Auf Videos sind verletzte Menschen aus den englischsprachigen Regionen des Landes zu sehen, sie sollen von der kamerunischen Armee misshandelt worden sein. "Dort wird ein Krieg gegen das eigene Volk geführt, da können wir nicht mehr still sein", sagt Moudime, der in mehreren kamerunischen Vereinen im Raum Köln aktiv ist.
Der Konflikt zwischen der Zentralregierung und den englischsprachigen Regionen im Südwesten des Landes schwelt seit Jahrzehnten. Viele Menschen glauben, dass die französischsprachigen Gebiete von der Regierung bevorzugt werden. Seit Separatisten in den englischsprachigen Regionen 2017 symbolisch den Staat "Ambazonien" ausriefen, eskaliert die Gewalt. In den vergangenen zwei Jahren kamen laut der Gesellschaft für bedrohte Völker mindestens 400 Zivilisten und 175 Sicherheitskräfte bei Zusammenstößen ums Leben. Über 400.000 Menschen flohen vor der Gewalt in andere Regionen oder die Nachbarländer.
Der Konflikt hat auch Moudimes Vereinsaktivitäten verändert. "Lange ging es vor allem darum, ein Stück kamerunische Kultur in Deutschland auszuleben", sagt der 41-jährige Ingenieur. Proteste wie im Januar in Dortmund, Informationsabende über die Biya-Regierung: Durch den Konflikt ist die Vereinskultur zwangsläufig politisch geworden. Angenehm ist das den wenigsten. "Viele haben Angst, sich einzumischen", sagt Moudime. Auch er ist da keine Ausnahme. Seinen echten Namen will er nicht nennen, sein Gesicht möchte er erst einmal nicht mehr zeigen.
Deutscher ist seit Februar inhaftiert
Der Grund ist die Verhaftung eines deutschen Staatsbürgers durch die kamerunische Polizei. Wilfried Siewé muss seit Mitte Februar in einer wohnzimmergroßen Zelle mit 18 weiteren Insassen ausharren – weil er Fotos von regierungskritischen Demonstrationen auf seinem Handy besaß. Auch bei der Besetzung der Botschaft in Berlin durch Anhänger des ebenfalls inhaftierten Oppositionsführers Maurice Kamto im Januar soll er dabei gewesen sein. "Dabei war Wilfried an dem Tag ganz woanders, es ist absurd", findet Moudime, der mit Siewés Familie im Austausch steht. Dem Auswärtigen Amt ist der Fall bekannt. "Die Botschaft Jaunde betreut Herrn Siewé konsularisch", heißt es von dort. Moudime fragt sich, warum sich die Situation seines Freundes trotzdem nicht verbessert und er immer noch auf seinen Prozess warten muss. Deswegen hat er jetzt gemeinsam mit Bekannten aus der Diaspora eine Online-Petition gestartet, die mehr Engagement von der deutschen Regierung fordert. Über 1500 Menschen haben diese bereits unterstützt.
Moudime stammt aus dem französischsprachigen Teil Kameruns. Trotzdem setzt er sich für die Bestrebungen der anglophonen Bürger ein. Keine Selbstverständlichkeit. "Seit der Konflikt schlimmer wird, gibt es Probleme in unserer Community. Man erkennt eine Tendenz zur Spaltung", bedauert er. "Dabei geht es weniger darum, dass Leute aus unseren Vereinen Biya unterstützten, aber viele wollen einfach keine Position beziehen. Das ärgert gerade die anglophonen Mitglieder, sie machen den anderen Vorwürfe wegen ihrer Zurückhaltung." Der Konflikt hinterlässt auch unter den rund 25.000 Kamerunern in Deutschland Risse.
Druck aus den sozialen Medien
Dass die anglophone Minderheit diskriminiert wird, ist nicht neu. "In Kamerun werden seit Jahrzehnten die Menschenrechte verletzt, aber die Staatsmedien waren viele Jahre der einzige Informationskanal", sagt Justin Fonkeu Nkwadi. Für den gebürtigen Kameruner und Politiker aus Mülheim an der Ruhr sind die sozialen Medien der wichtigste Grund, warum auch Teile der Diaspora in Deutschland immer lauter werden.
Justin Fonkeus eigener Protest ist dagegen leise. Der 61-Jährige organisiert Informationsveranstaltungen und versucht seine Politikerkollegen von der lokalen bis zur bundespolitischen Ebene für die politische Situation in Kamerun zu sensibilisieren. "Solange die Staatsgewalt ihr Volk misshandelt, sollte man die Entwicklungszusammenarbeit überdenken", findet Fonkeu, der 1998 aus Kamerun floh, weil man ihn als Oppositionspolitiker bedrohte. Heute ist er Fraktionsmitglied der Grünen im Mülheimer Stadtrat. "Als deutscher Staatsbürger kann ich mich nicht zu sehr in die innenpolitischen Probleme von Kamerun einmischen, aber für die Menschenrechte werben", erklärt er.
Dies direkt in Kamerun zu tun, wäre für ihn aber keine Option mehr. "Es ist zu gefährlich", sagt er. Als Fonkeu vor zwei Jahren zum ersten Mal seit seiner Flucht in sein Geburtsland reiste, erlebte er es noch als "unangenehmes Privileg", deutscher Staatsbürger zu sein. "Bis auf mich mussten alle Passagiere bei einer Grenzkontrolle aus dem Bus aussteigen", erzählt er. Heute, so glaubt er, würde auch der deutsche Pass ihn nicht mehr vor dem harten Durchgreifen der Polizei schützen.
Der Fall Wilfried Siewé zeigt, dass er damit Recht haben könnte. Die Inhaftierung eines Deutschen ist aus der Sicht vieler Exil-Kameruner aber nur die Spitze des Eisbergs. "Es gibt unzählige Brüder und Schwestern, die dort unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert sind", sagt Kamga Moudime. "Für sie werden wir diesen Kampf weiterführen." Wenn nicht mit Demos, dann auf anderen Wegen: Moudime plant, über Bildungszentren Teile des deutschen Ausbildungssystems nach Kamerun zu importieren. Um die Jugend zu ermächtigen - und sie zu motivieren, sich für ihre eigene Zukunft zu erheben.
(* Name geändert)