Warum eine iranische Künstlerin die Hoffnung nicht aufgibt
25. September 2022Deutsche Welle: Mahsa Amini wäre am 21. September 23 Jahre alt geworden. Sie wurde verhaftet, weil sie sie angeblich ihren Hijab nicht richtig getragen habe. Warum, glauben Sie, starb sie dafür im polizeilichem Gewahrsam?
Parastou Forouhar: Es ging nicht mal um die Weigerung, einen Hijab zu tragen, sondern nur darum, dass Mahsa Amini ihn nicht richtig getragen haben soll! Und deswegen wurde sie misshandelt und furchtbar zusammengeschlagen.
Und nun die Frauen, die auf die Straße gehen, die vielen Proteste - sie haben damit zu tun, dass es erst jetzt eine absolute Verweigerung gibt, Schleier zu tragen. Die Frauen verbrennen sie. Sie machen das in aller Öffentlichkeit. Einige Frauen wurden in den letzten Tagen erschossen.
Was macht das mit Ihnen?
Forouhar: Das macht mich total wütend, rasend wütend. Und auch zutiefst traurig, dass junge Menschen so einer Brutalität ausgesetzt sind und dieser Gewalt überhaupt nicht entkommen können. Das ist wie eine Falle. Diese religiöse Diktatur ist ein Regelwerk aus Bevormundung. Generation um Generationen versuchen die Iraner jetzt schon, die Selbstbestimmung zu erlangen - und scheitern an dieser Brutalität.
Sie haben in dieser Hinsicht schon sehr viel miterlebt und erlitten. Ihre Eltern wurden aus politischen Gründen 1998 ermordet. Was befürchten Sie in der jetzigen Situation?
Ich bin sehr besorgt. Besonders, weil ich merke, dass bestimmte Internet-Dienste, wie zum Beispiel WhatsApp, von Seiten des Regimes zurückgestellt worden sind. Es soll eine Isolation hergestellt werden, damit keine Nachrichten nach Außen dringen. Immer wenn so etwas passiert, plant die Regierung eine noch härtere Unterdrückung, Massenverhaftungen oder schießt wahllos in die Menge. Sie werden richtig brutal, um die Proteste zu ersticken.
Am Mittwoch (21.9.2022, Anmerkung der Redaktion) ging es damit los, dass Leute nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch Aktivisten, bekannte Aktivisten, die nicht bei Demos waren, in ihren Wohnungen verhaftet wurden. Die wurden von Sicherheitskräften gestürmt. Das war wirklich sehr gewaltvoll. Von diesen Leuten gibt es weiterhin keine Nachrichten.
DW: Die britisch-iranische Schauspielerin Nazanin Boniadi schrieb auf Twitter, 1979 habe es eine Revolution gegen die Frauen gegeben. Und was wir heute sehen, sei eine Revolution, die von Frauen geführt werde. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, dass viele Leute, die sich 1979 an der Revolution beteiligt haben, nicht dachten, dass es sich um eine Revolution gegen die Frauen handelte. Die sind in der Hoffnung auf Freiheit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit auf die Straße gegangen, Doch sie wurden von religiösen Kräften niedergerannt. Und trotz der Proteste der Zivilgesellschaft haben sie die Macht an sich gerissen. Die Aussage von Boniadi ist eine Verkürzung. Ich glaube aber, dass das Regime frauenfeindlich ist. Es handelt sich um eine Art Apartheidsystem gegen Frauen, die nicht die gleiche Rechte haben sollen wie die Männer.
Sie leben schon lange hier in Deutschland im Exil. Was tun Sie? Gegen die Ohnmacht? Gegen die Wut?
Ich versuche, jedes Jahr zum Todestag meiner Eltern, Parvaneh und Dariush Forouhar, in den Iran zu fahren. Auch wenn das gefährlich ist, weil ich im Iran gerichtlich zu sechs Jahren Gefängnis auf Bewährung verklagt worden bin. Trotzdem bin ich im letzten Jahr wieder hingefahren. Für mich ist das ein Akt des Widerstands, eine Erinnerungskultur aufrecht zu erhalten und auch auf Gerechtigkeit zu beharren. Außerdem tue ich, was ich kann, um die Ereignisse bekanntzumachen, zu erzählen, was passiert, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Was sich ändern muss, muss von Innen heraus passieren. Doch auch demokratische Länder können diese Bewegung im Iran unterstützen.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es dieses Mal anders ausgeht?
Oh, das ist eine schwierige Frage. Jedes Mal mache ich mir große Hoffnungen, weil diese Menschen so mutig auf die Straße gehen. Es ist beinahe erhaben, was diese Proteste hervorbringen können. Dieser menschliche Wille und die Vision durch Widerstand, ein besseres Leben für sich und die Gesellschaft herbei zu führen, begeistert mich. Aber die Erfahrung der Repression sitzt tief. Man hat ständig Bilder von dieser Brutalität im Kopf.
Viele Exil-Künstlerinnen melden sich auch in den sozialen Medien zu Wort. Sie versuchen, den Kolleginnen vor Ort eine Stimme zu verleihen. Was können Sie als Künstlerin beitragen?
In solchen Momenten bin ich vor allem Aktivistin, eine Bürgerin, die die Aufgabe hat, diesen Kampf einfach weiterzutragen. Es geht in erster Linie darum, für diese Menschen und für ihre Botschaften und Eindrücke einen Resonanzraum zu schaffen. Eine solche Krise macht aus mir eine Aktivistin. Später werden sicher auch diese existenziellen Erlebnisse in meine künstlerische Arbeit einfließen.
Das Gespräch führte Julia Hitz.