Iran: Proteste nach Tod in Polizeigewahrsam
19. September 2022Vor seiner Abreise am Montag nach New York zur UN-Vollversammlung hatte Irans Präsident Ebrahim Raisi noch mit den Eltern von Mahsa Amini telefoniert. Er habe sein Beileid zum Tod ihrer Tochter ausgesprochen und eine Untersuchung des Falls angeordnet, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA am Sonntag. "Eure Tochter war wie meine Tochter", soll der Präsident betont haben. Raisis Reise wird vom medialen Echo des Todes der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeigewahrsam begleitet.
Der Fall hat im Iran landesweit Empörung und Trauer ausgelöst. Der Hashtag #MahsaAmini ist seit dem Wochenende in sozialen Netzwerken wie Twitter und Instagram einer der am häufigsten aufgerufene.
Wut und Empörung in ganz Iran
Nicht nur in Kurdistan, der Heimatprovinz Aminis, sind Menschen aus Protest auf die Straße gegangen. Am Montagnachmittag drückten auch in der Hauptstadt Teheran Tausende ihre Wut und Trauer aus, und riefen dabei auch "Tod dem Diktator". Sicherheitskräfte gingen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Protestierenden vor. Einige Demonstranten seien festgenommen worden, berichtete die iranische Nachrichtenagentur Fars. Auch in anderen Regionen des Iran gab es Proteste.
Mittlerweile teilten die iranischen Behörden mit, dass es in der Provinz Kurdistan bei den Protesten drei Tote gegeben hat. Zwei Menschen seien durch eine Militärwaffe getötet worden, der Tod einer dritten Person wurde als "verdächtig" bezeichnet, wie die iranische Nachrichtenagentur Tasnim meldete. Der Waffentyp werde aber nicht von Sicherheitskräften verwendet, sagte der Gouverneur der Provinz laut Tasnim. Die genauen Umstände seien unklar, hieß es.
Weltweite Bestürzung über Mahsa Aminis Tod
Der möglicherweise gewaltsame Tod der jungen Frau wurde von zahlreichen Medien weltweit aufgegriffen, von der "New York Times", der "Washington Post" und den TV-Sender "CNN" in den USA bis zu "India Today" und "The Japan Times" auf der anderen Seite des Globus.
Nicht nur im Iran, auch über die Landesgrenzen hinaus löste Aminis Schicksal große Anteilnahme und Bestürzung aus. Die kommissarische UN-Menschenrechtskommissarin, Nada Al-Nashif, brachte laut ihrem Büro in Genf ihre "Beunruhigung über den Tod von Mahsa Amini in Haft" sowie über die "gewaltsame Reaktion der Sicherheitskräfte gegen darauf folgenden Demonstrationen" zum Ausdruck. Al-Nashif forderte eine "rasche, unabhängige und effiziente Untersuchung" des Todes der 22-Jährigen sowie "der Folter- und Misshandlungsvorwürfe" gegen die Polizei.
Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell forderte, die Verantwortlichen für den Tod der jungen Frau müssten zur Rechenschaft gezogen und die Grundrechte aller Menschen im Iran geschützt werden, auch die von Häftlingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verlangte die Abschaffung der Sittenpolizei und religiös begründeter Gesetze, wie die zum korrekten Tragen von Kopftüchern.
Ausflug mit tragischem Ende
Die 22-jährige Mahsa Amini aus der Kleinstadt Saghes in der westlichen Provinz Kurdistan war Anfang vergangener Woche mit ihrem Bruder nach Teheran gereist, um Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt zu besichtigen. Wegen angeblich unangemessenen Tragens des obligatorischen Kopftuchs wurde Mahsa vergangenen Dienstag gegen 18 Uhr von der Sittenpolizei verhaftet und zwei Stunden später leblos ins Krankenhaus eingeliefert. Sie sei plötzlich ohnmächtig geworden, behauptet die Polizei.
Ein Foto zeigt die liegende Mahsa mit geschwollenen schwarzen Augen und blutenden Ohren. Das Bild verbreitete sich schnell im Internet, denn es traf einen Nerv: das Leiden unter den täglichen Demütigungen und Misshandlungen der Frauen, Mütter, Töchter wegen des obligatorischen Hidschab. Seit der Islamischen Revolution 1979 sind die Frauen im Iran gezwungen, sich strengen Vorschriften zu unterwerfen, die genau regeln, wie die Haare und der Rest des Körpers bedeckt sein müssen. Millionen Frauen widersetzen sich dem, meist still und unauffällig, aber in den vergangenen Jahren auch lauter und öffentlich. Viele Frauen tragen ihr Kopftuch lockerer und lassen es auf ihre Schulter fallen und nehmen das Risiko in Kauf, verhaftet zu werden. Die Regierung unter Präsident Raisi und religiöse Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger durchzusetzen.
Zahlreiche Videos kursieren im Netz, die zeigen, wie Frauen bei ihrer Verhaftung von der Sittenpolizei geschlagen und misshandelt werden. Die Videos zeigen oft heftige Schläge gegen den Kopf, wenn die Frauen an ihren Haaren ins Polizeiauto gezerrt werden.
Mahsa Amini wurde am Freitag, also erst drei Tage nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus, offiziell für tot erklärt. Die Polizei wies Foltervorwürfe zurück. Ihr Tod wurde mit einem "plötzlichen Herzinfarkt" erklärt. Ein vom iranischen Staatsfernsehen ausgestrahltes Video zeigt, wie Mahsa Amini plötzlich zu Boden fällt, während sie mit Polizisten über ihre Freilassung verhandelt. Das Kasra-Krankenhaus, in dessen Intensivstation Mahsa gebracht worden war, teilte am Samstag in einem Statement auf Instagram mit, dass die Patientin bereits bei ihrer Ankunft hirntot gewesen sei. Dieses Statement wurde später gelöscht.
Fragwürdige Untersuchung
Die staatlichen Medien teilten mit, die Justiz habe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Untersuchungen zur Feststellung der genauen Todesursache dauerten noch an. Viele Iraner fragen sich jedoch, wie diese Untersuchungen vorgenommen werden sollen. Der Leichnam der jungen Frau war ohne Obduktion noch am Freitagabend von Sicherheitskräften in ihre Heimatstadt Saghes zurückgebracht und am Samstagmorgen beerdigt worden. Am gleichen Tag begannen in der Provinz Kurdistan Proteste wegen des Todes von Mahsa Amini. So demonstrierten Tausende bei der der Beerdigung der 22-Jährigen vor dem Gouverneursamt. Seitdem flammen die Proteste immer wieder auf .
In einer früheren Version des Artikels hieß es, Mahsa Amini sei vergangenen Freitag festgenommen worden. Dies geschah jedoch bereits am Dienstag. Außerdem stand in der Bildunterschrift irrtümlicherweise, Mahsa Amini sei auf dem Artikelbild ohne Kopftuch zu sehen, dabei trägt sie dort ein locker gebundenes Kopftuch. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, die Fehler zu entschuldigen.