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Politik

Die Angst der Mullahs vor den Frauen

23. September 2022

Der Tod einer jungen Iranerin entfacht massive Proteste und rüttelt an den Grundfesten der Islamischen Republik. Irans Frauen riskieren viel - und brauchen mehr als internationale Solidarität, meint Yalda Zarbakhch.

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Bildkombo: Frauen schneiden sich nach dem Tod von Mahsa aus Protest ihre Haare ab
Als Protest nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im Polizeigewahrsam schneiden sich Frauen im Iran ihre Haare ab

Seit Tagen gehen sie landesweit auf die Straße. Entschlossen, wütend und vor allem: mutig. Die Frauen im Iran kämpfen bei den aktuellen Protesten an vorderster Front. Das ist nicht neu. Bei allen Protestbewegungen der letzten 40 Jahre spielten Frauen eine tragende Rolle. Ob während der grünen Bewegung 2009 oder während der letzten großen landesweiten Proteste im November 2019, die nach mehreren Wochen brutal niedergeschlagen wurden. Bereits unmittelbar nach der Islamischen Revolution 1979 hatten sie lautstark gegen den eingeführten Kopftuchzwang im Rahmen der neuen Islamischen Verfassung demonstriert. Ohne Erfolg: Sie wurden gezwungen, sich der islamischen Kleidervorschrift zu fügen. Für die Einhaltung sorgt seither die sogenannte Sittenpolizei. 

Täglicher Kampf um Haut und Haar

Doch die Frauen kämpften täglich weiter. Für jeden Zentimeter Haut und Haar. Trotz aller Verhaftungen und Demütigungen rutschten die Kopftücher im Laufe der Jahre immer weiter nach hinten, die Kleider wurden enger, die Gesichter geschminkter, kurz: die Frauen wieder sichtbarer. Dieses minimale Recht auf Selbstbestimmung ist eine Errungenschaft der iranischen Frauen - und eine Bedrohung für die islamischen Machthaber. Denn es fordert heraus, worauf sich das System der Islamischen Republik begründet: auf die Kontrolle des weiblichen Körpers.

Somit wirken auch unschuldige junge Frauen wie die gänzlich unpolitische Mahsa Amini Angst einflößend für die Sittenpolizei. Die Empörung über den Tod der 22-Jährigen eint auch deshalb Menschen aller Gesellschaftsschichten und Gesinnungen. Sie ist zu einem Symbol der Protestbewegung geworden. Alle können sich mit ihr identifizieren, weil es genauso gut auch jede andere Frau hätte treffen können. Denn es gibt kaum Frauen im Iran, die keine demütigende und gewaltsame Erfahrungen mit der Sittenpolizei gemacht haben. 

Neue Dimension der Proteste

Und doch sehen wir diesmal Szenen, die in dieser Form einmalig sind: Frauen protestieren ganz ohne Hidschab oder verbrennen ihre Kopftücher in aller Öffentlichkeit. Sie schneiden sich demonstrativ die Haare ab und rufen "Nieder mit der Islamischen Republik" oder "Tod dem Diktator".

Yalda Zarbakhch
Yalda Zarbakhch ist Leiterin der Farsi-Redaktion der Deutschen WelleBild: DW/Privat

Im Unterschied zu den Protesten früherer Jahre ist die Wut und die Entschlossenheit der Demonstranten größer. Sie stellen sich Sicherheitskräften entgegen und schlagen zum Teil sogar Polizisten, die sie angreifen, in die Flucht. Die Menschen im Iran haben immer weniger zu verlieren. 2009 ging es um mehr Freiheiten und Reformen, aber innerhalb des Systems. 2018/19 ging es um  die desolate Wirtschaft, eine galoppierende Inflation und horrende Benzinpreise. Da richteten sich die Parolen schon in Teilen gegen die geistliche Führung und die Islamische Republik.

Aber was wir heute sehen, erreicht eine neue Dimension: Demonstranten reißen Plakate der Revolutionsführer Khamenei und Khomeini nieder, verbrennen sie - und fordern lauthals den Sturz des gesamten politischen Systems. Immer mehr Menschen haben dem Regime, seiner Ideologie, ja dem Islam insgesamt den Rücken zugekehrt. Und das erfasst mittlerweile auch traditionellere Gesellschaftsschichten.

Das Regime schlägt zurück

Ersten Meldungen zufolge hat das Regime in Teheran bereits den Internetzugang stark eingeschränkt. Die Erfahrungen der letzten großen Protestwelle 2019 lehrt uns: Das bedeutet nichts Gutes. Auch damals wurde das Internet gedrosselt, zum Teil ganz abgestellt. Unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit wurde in der Zeit brutal gegen die Demonstranten vorgegangen, mehrere hundert Menschen sollen erschossen, zahllose andere verhaftet worden sein.

Auch jetzt zeichnet sich ein solches Vorgehen ab. Mehr als 20 Menschen wurden bereits getötet, darunter auch Kinder und Jugendliche. Protestierende werden verprügelt, in ihren Wohnungen verhaftet. 

Wendepunkt oder blutiger Crackdown

Das rigorose Vorgehen der Mullahs hat einen triftigen Grund: Es ist ein Wendepunkt für die iranische Zivilbevölkerung. Erstmals prangern die Demonstrierenden offen und gemeinsam ein religiöses Symbol der Islamischen Republik an. Die Verhüllung der Frau ist eines der wichtigsten Fundamente, auf denen sich die Islamische Republik gründet. Hier können und werden die Machthaber keine Zugeständnisse machen. Denn eine Abschaffung der Hidschabpflicht wäre gleichbedeutend mit dem Anfang vom Ende der Islamischen Republik.

Doch ohne den Druck des Westens und der internationalen Gemeinschaft auf die iranische Regierung, werden sie freie Hand haben, auch diese Proteste am Ende wieder brutal und blutig niederzuschlagen. Solidaritätsbekundungen allein werden hier nicht reichen. Auch wenn es um die Frage nach der Wiederbelebung des Atomdeals geht, muss der Iran in diesen Fragen zur Rechenschaft gezogen werden. Die USA machen es vor, sanktionieren bereits die Sittenpolizei. Auch die Bundesregierung ist da in der Pflicht. 

Die Menschen, vor allem die Frauen im Iran, riskieren momentan sehr viel. Ihr Mut braucht unsere Anerkennung. Ihre Stimmen müssen gehört werden. Und ihr Risiko muss sich auszahlen.