Junckers letzter Lösungsversuch
16. Juni 2005Die EU steckt tief in der Krise. Vom Gipfeltreffen in Brüssel werden keine richtungsweisendenden Entscheidungen erwartet. Zu groß ist nach wie vor die Ratlosigkeit nach dem Scheitern der Referenden über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden, und zu groß sind die Differenzen über den kommenden EU-Haushalt. Ob der am Mittwochabend (15.6.2005) vom amtierenden EU-Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgelegte Kompromissvorschlag die Lösung bringt, wird sich zeigen.
Es geht zum einen um die EU-Verfassung: Nach dem Nein der Franzosen und der Niederländer müssen sich die europäischen Staats- und Regierungschefs mit der Frage befassen, wie es nun weiter geht. Die Mitgliedstaaten schwanken zwischen einem trotzigen "Jetzt erst recht" und einmal vorsichtigen "Erst mal Gras drüber wachsen lassen." Eu-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso plädierte für eine Denkpause.
Überprüfung der Erweiterungskapazität?
Mit Blick auf die Aufnahme weiterer Mitgliedsstaaten sagte Barroso, die EU solle ihre Erweiterungskapazität überprüfen. Sie müsse aber zu ihren bereits abgegeben Bekenntnissen gegenüber Ländern wie der Türkei stehen. Doch für Ankara könnte es jetzt eng werden. Die Reformfortschritte werden von Brüssel aus jetzt noch genauer beobachtet werden.
Der andere, weitaus heiklere Punkt auf der Tagesordnung ist der EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013. Deutschland und andere Nettozahler wollen, dass der EU-Haushalt auf maximal ein Prozent der EU-Wirtschaftsleistung fixiert wird. Die luxemburgische Ratspräsidentschaft hatte bereits als Kompromiss eine Obergrenze von 1,06 Prozent vorgeschlagen, mit zusätzlichen Entlastungen für die am stärksten geforderten Länder.
Streitpunkt Briten-Rabatt
Im Mittelpunkt der Debatten steht der Beitragsrabatt der Briten: Während die anderen Mitgliedsstaaten die Abschaffung bzw. Absenkung des Rabatts fordern, beharrt Premier Tony Blair auf den seit 1984 geltenden Nachlässen für sein Land. Diese belaufen sich mittlerweile auf rund fünf Milliarden Euro und würden in der kommenden Haushaltsperiode auf über sieben Milliarden jährlich ansteigen.
Die Regierung begründet den Rabatt mit der Tatsache, dass Großbritannien weitaus weniger von den Agrar-Subventionen profitiert als andere EU-Länder. Tony Blair, der ab Juli den EU-Ratsvorsitz übernehmen wird, forderte denn auch wiederholt eine grundsätzliche Reduzierung der Agrar-Subventionen, die derzeit über 40 Prozent der EU-Ausgaben ausmachen.
Letzer Versuch?
Juncker hat nun am Mittwochabend (15.6.) einen weiteren Kompromissvorschlag vorgelegt. Er sieht vor, den umstrittenen britischen Rabatt auf die Zahlungen in die EU-Kasse von 2007 bis 2013 auf einem durchschnittlichen Niveau von 4,6 Milliarden Euro einzufrieren. Er soll aber nicht mehr abgeschmolzen werden. Zudem soll aus den schon 2002 festgeschriebenen Agrarausgaben ein Milliarden-Betrag für die künftigen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien finanziert werden. Das ginge vor allem zu Lasten der französischen Bauern.
Doch gegen eine Reduzierung der Agrar-Subventionen, von denen französische Landwirte am meisten profitieren, sperrt sich die Regierung in Paris. Die Fronten in der Haushaltsfrage sind also verhärtet. Vielleicht bringt das neue Juncker-Papier noch einmal Bewegung in die Debatte.