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Jordanien zwischen Aufbruch und Apathie

Kersten Knipp24. September 2016

Die Jordanier haben ein neues Parlament gewählt. Erste Prognosen deuten Erfolge der Muslimbrüder ebenso wie säkularer Kräfte an. Sie alle sehen sich einer Herausforderung gegenüber: der verbreiteten Armut.

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Szene aus einem jordanischen Wahllokal (Foto: picture-alliance/AP Photo/R. Adayleh)
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Adayleh

Die ersten Prognosen sind gestellt, und die Muslimbrüder frohlocken: Bleibt es bei den Hochrechnungen, könnten sie nach den Parlamentswahlen vom vergangenen Dienstag im neuen jordanischen Abgeordnetenhaus 15 bis 20 von insgesamt 130 Sitzen holen. Das wäre ein beachtliches Ergebnis, nachdem sie sich aus Protest gegen einzelne Bestimmungen zwei Wahlperioden lang freiwillig enthalten hatten.

Zugelegt hat aber aber die säkulare Bewegung Maan. Maan - auf deutsch "Zusammen" - engagiert sich gegen Radikalisierung und den Missbrauch der Religion für politische Zwecke. Auch tritt das Bündnis für die Stärkung der Zivilgesellschaft ein. Maan holte im Wahlbezirk der Hauptstadt Amman zwei der insgesamt sechs zu vergebenden Sitze.

Geringe Wahlbeteiligung

Noch stärker war aber die Gruppe der Nichtwähler: Bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent dokumentiert sie die politische Apathie weiter Kreise der jordanischen Bevölkerung. Viele Bürger hatte auch der dieses Mal besonders lebhafte Wahlkampf nicht zum Urnengang motivieren können.

Dieser gründete auf einer Änderung des Wahlgesetzes. Dieses ersetzt das bisherige Mehrheits- durch ein Verhältniswahlrecht. Nicht mehr für einzelne Kandidaten könnten die Bürger ihre Stimmen abgeben, sondern nur noch für die in den einzelnen Wahlkreisen vereinten Kandidaten. Innerhalb dieser Listen können die Wähler aber die von ihnen jeweils favorisierten Kandidaten noch einmal besonders unterstützen. Doch auch das lockte sie nicht in die Wahllokale.

Das könnte allerdings auch daran gelegen haben, dass das Parlament nur geringe Machtbefugnisse hat. Motivieren konnte die Bürger offenbar auch nicht der Umstand, dass tausende internationaler Beobachter für eine reibungslosen und korrekten Ablauf des Urnengangs sorgen sollten.

Wahlplakate in Amman (Foto: DW/B. Staton)
Lebhafter Wahlkampf in Jordanien, hier in AmmanBild: DW/B. Staton

Neue Machtfülle des Königs

Beobachter machen für diese Apathie vor allem den Monarchen verantwortlich. Der hatte im Frühjahr dieses Jahres eine Verfassungsänderung durchgesetzt, die ihm das Recht zur Kontrolle der Sicherheits-, Verteidigungs-, Rechts- und Außenpolitik sichert. Außerdem kann er über die Besetzung führender Positionen an der Staatsspitze entscheiden, unter anderem die des Chefs der paramilitärisch ausgestatteten Polizei.

Dem König persönlich wird zwar ein verantwortlicher Umgang mit der Macht nachgesagt. Dennoch sehe er die Verfassungsänderung mit Sorge, erklärte im Frühjahr der Jurist Ahmad al-Najdawi gegenüber dem Fernsehsender Al-Dschasira. Der jordanische König genieße zwar traditionell eine große Machtfülle, so al-Najdawi. "Aber die nun in Angriff genommenen Veränderungen heben die Gewaltentrennung zwischen König, Exekutive und Judikative völlig auf." Dennoch verzichteten die Wähler darauf, gegen diese Machtfülle aufzubegehren

Prekäre Wirtschaftslage

König Abdullah II., hier während seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York (Foto: Getty Images/D. Angerer)
Entschlossener König: Abdullah II., hier während seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New YorkBild: Getty Images/D. Angerer

Dass der König immer mehr Kompetenzen an sich reißt, lässt zugleich aber erkennen, dass die ökonomisch und politisch schwierige Lage des Landes ihm Sorgen macht. Die Arbeitslosigkeit lag 2014 bei knapp 12 Prozent, unter Jugendlichen sogar bei 30. Die derzeitige Staatsverschuldung des Landes beträgt rund 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rund 14 Prozent der Jordanier leben unterhalb der Armutsgrenze. Auf sie hat der König nun mit sicherheitspolitischen Maßnahmen reagiert. Für sozialpolitische Antworten fehlt offenbar das Geld.

Belastet wird der Staatshaushalt trotz internationaler Hilfe auch durch die rund 1,4 Millionen syrischen Flüchtlinge. Das Lager Saatari im Norden des Landes, nur wenige Kilometer vor der syrischen Grenze, ist eines der größten weltweit. Allein dort leben 80.000 Menschen. Schritt für Schritt verwandelt sich das Lager in eine Ortschaft mit einzelnen, durch Straßen verbundenen Bezirken.

Extremistische Versuchungen

Die ernste ökonomische Lage macht sich auch politisch bemerkbar. Teile der wirtschaftlich bedrängten Bevölkerung zeigen sich empfänglich für Anwerbeversuche radikaler Islamisten oder Dschihadisten wie des sogenannten "Islamischen Staates" (IS).

"Der IS nutzte meine Enttäuschung aus", berichtet eine Jordanierin Mitte 20, die ihren Namen nicht nennen will. Drei Jahre nach Abschluss ihres Psychologiestudiums hatte sie noch keine Anstellung gefunden, berichtete sie im Herbst 2015 Associated Press. "Die Rekruten des IS versprachen mir einen Job und ein Haus." Worauf sie sich eingelassen hatte, wurde der jungen Frau erst später klar. Es gelang ihr, sich von der Terrororganisation abzusetzen. Andere blieben. Rund 3000 Jordanier sollen während der Hochzeiten des IS in Irak und Syrien gekämpft haben.

Das Flüchtlingslager Zaatari im Norden Jordaniens (Foto: Getty Images/K.Mzraawi)
Eines der größten Flüchtlingslager der Welt: Saatari im Norden JordaniensBild: Getty Images/K.Mzraawi

Sehr viele Jordanier haben sich offenbar in ihr politisches Schicksal gefügt. Von extremistischen Ideologie lassen sie sich nicht beeindrucken. Ihr größtes Problem, schreibt die Zeitung "Al-Araby Al-Jadeed", bleibe für sie die Armut.