Italien, der Euro und die Populisten
13. November 2018Zukunftsszenario Italien 2020: Das Land wird von einem populistischen Parteienbündnis regiert, dessen vornehmstes Ziel der Austritt aus dem Euro ist. Die europäische Gemeinschaftswährung habe in Italien ausgedient und "die Italiener kommen vor allen anderen", begründet die fiktive Regierung ihren Schritt, der Schockwellen in ganz Europa auslöst. So die düstere politische Fiktion, die Sergio Rizzo vor Kurzem veröffentlicht hat. Der italienische Journalist ist einer der bekanntesten Publizisten des Landes,
In "La notte che uscimmo dall'euro" ("Die Nacht, als wir aus dem Euro austraten"), so der Titel, schildert Rizzo den Euro-Ausstieg als Folge eines Nationalismus, der nicht nur in Italien immer stärker wird. Auch in anderen Ländern, schreibt der Journalist in seiner Fiktion, setzt sich der Nationalismus durch. Das Einzige, was in "La notte" die EU noch zusammenhält, ist der Euro - bis die fiktive italienische Regierung auch die wirtschaftlichen europäischen Bande 2020 kappt - so Rizzos Gedankenspiel.
In der Realität versucht Italiens in der Tat populistische Regierung zumindest in Sachen Euro aktuell andere Signale zu senden. Vor wenigen Tagen versprach Vizeregierungschef Luigi Di Maio von der Euro-kritischen Fünf-Sterne-Bewegung den Verbleib Italiens in der Euro-Zone. An dem von der Europäischen Union abgelehnten Haushaltsplan für das Jahr 2019 will die Regierung aber festhalten.
Von möglichen Strafen zeigte Di Maio sich nicht beeindruckt. Die Europäische Union würde am Ende auf Sanktionen verzichten, da sein Land Unterstützung aus anderen EU-Staaten erhalten dürfte - gemeint waren solche, in denen ebenfalls populistische Bewegungen an der Macht oder zumindest stark vertreten sind. Diese, so offenbar Di Maios Kalkül, dürften ihre Stellung bei den Europawahlen im kommenden Mai noch ausbauen.
"L'Uomo Qualunque" - "Der kleine Mann"
"Die Italiener vor allen anderen": Das Austrittskommuniqué in Rizzos politischer Fiktion spiegelt ein zentrales Anliegen des italienischen Populismus wider. Dessen Vertreter wussten seit jeher, dass keine politische Agenda erfolgreicher ist als der Protest gegen das Establishment - zunächst gegen die italienische, später dann die europäische Polit-Elite. "Abbassi tutti" ("Nieder mit allen") - diese Losung hatte der Urvater des italienischen Populismus Guglielmo Giannini nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Motto seiner höchst erfolgreichen Zeitschrift erhoben. Schon deren Namen gab die ideologische Marschrichtung an: "L'Uomo Qualunque", "Der kleine Mann".
Die Zeitschrift nahm für sich in Anspruch, die namenlose italienische Bevölkerung vor dem - behaupteten - Zynismus der Berufspolitiker zu schützen. Politiker, so der Vorwurf, sähen ihre Macht vor allem als "Mittel, um Karriere zu machen, um sich Anstellung, Lohn, Unterhalt, Konzessionen zu sichern und gute Geschäfte zu machen."
Volk versus Staat
Latent hielt sich dieser Vorwurf bis in die 1960er Jahre, um dann abzuebben - und schließlich, in den späten 80ern wieder an Fahrt aufzunehmen. Befeuert wurde diese Stimmung in den frühen 1990er Jahren von einem gewaltigen, alle politischen Parteien durchziehenden Korruptionsskandal. Dessen geografisches Zentrum: die Wirtschaftsmetropole Mailand. Die wurde bald "Tangentopoli" - "Stadt der Schmiergeldzahlungen" - genannt. Das Vertrauen der Italiener in ihre Politiker war mehr als nur erschüttert - es war nahezu dahin.
Der Tangentopoli-Skandal war die Erfolgsbasis für einen weiteren Populisten: den Medienunternehmer Silvio Berlusconi. Auch er gab sich als Anti-Politiker - unabhängig vom "System" und deshalb wie kein anderer befähigt, Italien aus dem Sumpf zu ziehen. Wer, wenn nicht er, der Selfmademan, könnte das Land retten? "Wir wollen, dass das Volk den Staat regiert und nicht, dass der Staat das Volk regiert", lautete eine von Berlusconis Losungen. Sie spann jenen Gegensatz zwischen Volk und Staat oder Elite fort, den schon Giannini mit Erfolg bemüht hatte.
Es ist bekannt: Auch Berlusconi, der - in seiner Selbstdarstellung - über alle Ideologien erhabene, rein pragmatischen Gesichtspunkten folgende Unternehmer, vermochte die Probleme des Landes nicht zu lösen. Bei vielen Italienern blieb das Unbehagen am Staat - und damit auch der Wunsch, die Probleme in die eigene Hand zu nehmen. Die beiden Partner der derzeitigen Regierungskoalition, die "Fünf-Sterne"-Bewegung und die "Lega", griffen dieses Ansinnen passgenau auf.
Außenseiter und Etablierte
Doch insbesondere die Lega hat seit ihrer ersten Regierungsbeteiligung 1994 die Erfahrung machen müssen, dass sich die Probleme des Landes auch von angeblichen Anti-Politikern nicht lösen lassen. Daher präsentierte sie ein neues Feindbild: den Euro. Nun galt die europäische Gemeinschaftswährung als Mutter all der Probleme, an denen das Land sich abarbeitete. Gegen den Euro angehen zu wollen - dies zumindest zu behaupten - versprach ein nahezu unerschöpfliches Mobilisierungspotenzial, auf das Protest-Parteien wie die Lega, aber auch die Fünf-Sterne-Bewegung zwingend angewiesen sind. Die andauernde Wirtschaftskrise war wie Wasser auf den Mühlen der Populisten und der Euro wurde immer mehr zum Sündenbock.
Dem Ansturm von politischen Outsidern hatten die etablierten Parteien wenig entgegenzusetzen. Diese schlossen sich wiederholt zu wechselnden Allianzen zusammen. Das war und ist ein Fehler, so Enrico Letta, Mitbegründer des aus Christ- und Sozialdemokraten hervorgegangenen "Partito Democratico" ("Demokratische Partei") und in den Jahren 2013/14 für mehrere Monate italienischer Ministerpräsident. "Ich glaube nicht, dass eine Allianz zwischen Parteifamilien, die sich im 20. Jahrhundert überlebt haben - die Sozialisten und die Christdemokraten - die Lösung sein kann. Es ist eine Defensivreaktion, die für niemanden attraktiv ist", so Letta 2016 in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "L'Espresso".
Das Geschäft mit der Angst
Letta deutete es an: Die italienischen Populisten waren und sind auch darum so erfolgreich, weil sie sich gegen ein erstens vergleichsweise hermetisches System richten, das zweitens politisch wie ökonomisch keine beeindruckende Bilanz vorweisen konnte und kann. Mehr und mehr aber, bemerkt man in Italien, verlören ebenfalls in Deutschland Bürger das Vertrauen in die etablierten Parteien.
Auch viele ehemalige Wähler der SPD fühlen sich von den Sozialdemokraten nicht mehr vertreten, heißt es in einem Kommentar der Zeitung "La Repubblica". Vielleicht handele es sich vor allem um einen gefühlsmäßigen Bruch, "eher wahrgenommen als real". Und doch: "Der Eindruck, hier komme eine Ablösung in Gang, hängt über allem."
Zudem operierten auch in Deutschland Parteien mit der Angst, heißt es in der Zeitung "Il Messaggero". Sie macht zwei Objekte der deutschen Angst aus: die Zuwanderung - und die Klimakatastrophe. Von diesen Ängsten profitierten auf der einen Seite die populistischen und auf der anderen die ökologischen Parteien, so die Zeitung.
In Italien macht hingegen ganz wesentlich der Euro Angst. In der Euro-Zone zu bleiben, wie es Vizepremier Di Maio nun versprochen hat, hätte für die populistischen Parteien einen nicht gering zu schätzenden Vorteil: Es ließe sich auch in Zukunft gegen ihn Stimmung machen.