Israel und die Hisbollah: Sorge vor Ausweitung des Konflikts
26. Juni 2024Ein Ende der intensiven Kampfphase im Gazastreifen ja, ein Ende des Krieges aber nicht. So hatte es der israelische Premier Benjamin Netanjahu am Sonntagabend im israelischen Fernsehsender Channel 14 angekündigt. Der Krieg solle erst mit der endgültigen Zerschlagung der im Gazastreifen herrschenden Terrororganisation Hamas enden. Durch das Ende der intensiven Kampfphase habe man jedoch die Möglichkeit, einen Teil der Truppen nach Norden, ins Grenzgebiet zum Libanon, zu verlegen.
Dort liefern sich die israelische Armee und die Hisbollah-Miliz seit Monaten begrenzte Scharmützel. Kurz nach dem 7. Oktober vergangenen Jahres, als die Hamas aus dem Gazastreifen auf das Territorium Israels vordrang und rund 1200 Menschen ermordete sowie rund 240 entführte, begann die Hisbollah mit dem Beschuss.
Israel hat erklärt, die Bemühungen um eine Lösung des Konflikts in den nächsten Wochen zu verstärken. Vorzugsweise werde man dies mit diplomatischen Mitteln tun, sagte der israelische nationale Sicherheitsberater, Tzachi Hanegbi, Medienberichten zufolge am Dienstag. Sollte dies aber nicht gelingen, "wird jeder verstehen, dass es dann eine Vereinbarung mit anderen Mitteln geben muss", fügte er hinzu.
"Eine schrittweise Eskalation"
Bislang hatten beide Seiten darauf geachtet, einen offenen Krieg zu vermeiden. Doch vor wenigen Tagen veröffentlichte die Hisbollah ein Video, das potenzielle Ziele in Israel zeigen soll. Auf den mit einer Drohne gemachten Aufnahmen sind verschiedene militärische und zivile Einrichtungen zu sehen, darunter auch solche in der israelischen Hafenstadt Haifa. Der israelische Außenminister Israel Katz warnte die Hisbollah daraufhin vor einem "totalen Krieg" an der israelisch-libanesischen Grenze. In diesem würden sie "zerstört".
"Wir registrieren hier eine schrittweise Eskalation, die in den letzten Wochen an Intensität gewonnen hat", sagt Michael Bauer, Leiter des Beiruter Büros der Konrad Adenauer Stiftung. Auf Seiten der Hisbollah zeige sich das an einer verschärften Rhetorik und an der Demonstration immer ausgefeilterer Waffensysteme. Die Hisbollah setze zunehmend auf Präzisionswaffen und immer stärkere, mittlerweile auch panzerbrechende Systeme.
"Es kann leicht etwas schiefgehen"
Die Hisbollah verfüge über etwa 30.000 aktive Kämpfer und bis zu 20.000 Reservisten, heißt es in einer Analyse des Center for Strategic and International Studies in Washington vom März dieses Jahres. Diese operierten auf Grundlage äußerst flacher Hierarchien bei zugleich hoher Entscheidungsbefugnis selbst untergeordneter Kommandeure. Bereits im Krieg 2006 zwischen der Hisbollah und Israel habe die Miliz nicht einmal 28 Sekunden gebraucht, um eine Startrampe zu errichten, Raketen abzufeuern und sich wieder zurückzuziehen. Die dazu notwendigen Fähigkeiten seien seitdem ausgebaut worden.
"Wir befinden uns also auf einem hohen Eskalationsniveau", so Bauer zur DW. "Selbst, wenn man annimmt, dass beide Seiten keinen umfänglichen Krieg anstreben, ist das Eskalationsniveau sehr hoch. Dabei kann leicht etwas schiefgehen."
Ähnlich sieht es Peter Lintl, Experte für den Nahost-Konflikt bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die bisherigen Auseinandersetzungen hätten zwar noch nicht das Niveau eines regulären Krieges. Doch die Waffengänge würden häufiger, dazu auch schärfer. "Wir sehen also einen sehr langsamen Anstieg hin zu einer möglichen Eskalation." Dass es dazu komme, sei nicht auszuschließen, ungeachtet des Umstandes, dass beide Seiten dies gar nicht wollten. "Aber durch diese ständigen Versuche, einander weiter abzuschrecken wie auch durch die jeweiligen Gegenmaßnahmen kann es natürlich dazu kommen, dass irgendwann eine Art Point of no Return erreicht ist - dass also eine Seite sagt, wir müssen verstärkt reagieren, was die andere Seite dann ihrerseits zu härteren Schlägen motiviert", so Lintl zur DW. "Diese Gefahr sehen wir gerade."
Israelische Sorgen
Der Gefahr eines Krieges sei man sich in Israel bewusst, sagt Heiko Wimmen, bei der NGO International Crisis Group unter anderem für die Forschung zum Libanon zuständig. Seine Kollegin in Israel habe zuletzt Gespräche mit einigen Israelis mit sehr guten Verbindungen zum Militär geführt, so etwa Personen, die erst kürzlich aus dem Dienst ausgeschieden seien. Aus deren Sicht sei ein Krieg mit der Hisbollah mit erheblichen Risiken verbunden. "Aus ihrer Sicht ist es hochgefährlich, einen Gegner anzugreifen, der sich 20 Jahre lang auf exakt diesen Angriff vorbereitet hat. Auch zweifeln sie an der Vorstellung, die Miliz mit einer Armee anzugreifen, die durch den mehrmonatigen Krieg mit der Hamas doch einigermaßen erschöpft ist." Zwar könne man versuchen, im Kampf gegen die Hisbollah deren Rote Linien nicht zu überschreiten. "Aber wo die liegen, weiß man eben nicht. Wenn man es weiß, ist es fast schon zu spät."
Die Position der Hisbollah
Zwar wolle auch die Hisbollah nicht unbedingt einen großen Krieg mit Israel, sagt Michael Bauer. Darum zeige sie derzeit ihr Abschreckungspotential. "Aber dieses ist auch eine Botschaft an die eigenen Anhänger. Seit Oktober vergangenen Jahres wurden bereits rund 400 ihrer Kämpfer getötet. Das sind mehr als im Krieg des Jahres 2006. Insofern will die Führung Stärke auch nach innen demonstrieren. Zugleich will sie sich bereits jetzt in eine gute Position für mögliche Verhandlungen bringen."
Internationale Sorge vor Kriegsausbruch
Folgt man der palästinensischen, in London herausgegebenen Zeitung Al Quds, versucht auch das Regime in Teheran, das sich die Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben hat, einen größeren Krieg in Nahost zu verhindern. Aus diesem Grund, argumentiert die Zeitung, habe es seine nicht-staatlichen Verbündeten, allen voran die jemenitischen Huthi-Milizen, angewiesen, die Eskalation in ihrem Territorium leicht zu steigern. So haben die Huthi ihre Angriffe auf die internationale Schifffahrt in den vergangenen Tagen etwas intensiviert - in der Lesart von Al Quds mit dem von Teheran intendierten Zweck, Israel wie auch den Westen auf die möglichen Folgen eines größeren Konflikts hinzuweisen.
Vor allem komme es aber auf die Haltung der USA an, sagt Heiko Wimmen. "Die haben Israel bislang noch kein grünes Licht für einen Angriff gegeben. Dieser ist militärisch für Israel aber eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Konflikt. "Der Zustrom an Waffen aus den USA nach Israel muss unbegrenzt sein. Ohne diese ist Israel nicht in der Lage, einen solchen Krieg zu führen."
Auch in der regionalen Nachbarschaft schaue man mit Sorge auf die derzeitigen Spannungen. "Ägypten und Jordanien könnten durch einen solchen Krieg destabilisiert werden", sagt Peter Lintl. Gerade in Jordanien gewännen fundamentale Islamisten durch den Gaza-Krieg an Zustimmung. "Andere Staaten - etwa Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate - versuchen natürlich, einen solchen Krieg abzuwenden, soweit es in ihren Möglichkeiten liegt. Die sind aber eher beschränkt. Umso größer ist ihre Sorge. Denn ein Krieg wäre auch für sie ein Desaster."