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PolitikLibanon

Israel und Hisbollah: Im Libanon wachsen die Kriegssorgen

Cathrin Schaer | Rola Farhat (Libanon)
20. Juni 2024

Durch den faktischen Krieg auf beiden Seiten der israelisch-libanesischen Grenze wurden bereits 150.000 Menschen vertrieben. Nun herrscht zunehmend die Sorge, dass die Gewalt weiter eskaliert.

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Rauchwolke über dem libanesischen Ort Madschel Zoun im südlichen Libanon
Schattenkrieg: Seit Monaten liefern sich Israel und die libanesische Hisbollah GefechteBild: AFP

An den Beginn der Kämpfe im südlichen Libanon vor rund acht Monaten erinnert sich Malak Daher noch gut. Sie hatte gehofft, die Auseinandersetzungen würden nur wenige Tage dauern, sagt die 30-jährige Krankenschwester im DW-Gespräch. Doch die Kämpfe zwischen der libanesischen militanten Hisbollah und dem israelischen Militär nehmen kein Ende. Stattdessen intensivieren sie sich.

"Es ist schwer, weit weg vom Mittelpunkt des eigenen Lebens zu sein", klagt Daher. Sie wurde aus der südlichen, unmittelbar an der Grenze zu Israel gelegenen Stadt Mais al-Jabal vertrieben, weil sich die Kämpfe dort konzentrieren. "Man hat das Gefühl, das eigene Leben liegt auf Eis. Anderswo geht das Leben weiter, doch deine Zeit scheint stehen geblieben."

Malak Daher hat bereits den Krieg im Jahr 2006 zwischen Israel und der Hisbollah erlebt. Und der damalige Schlagabtausch, sagt sie, fühle sich im Vergleich zum aktuellen winzig klein an.

In höchster Alarmbereitschaft

Nun könnte der Konflikt weiter eskalieren. Inmitten der laufenden Bemühungen um eine Entspannung in der Grenzregion versetzte Israel seine Truppen in höchste Alarmbereitschaft. Denn die Hisbollah hatte ein Video veröffentlicht, das potenzielle Ziele in Israel zeigen soll. Auf den mit einer Drohne gemachten Aufnahmen sind verschiedene militärische und zivile Einrichtungen zu sehen, darunter auch solche in der israelischen Hafenstadt Haifa. Der israelische Außenminister Israel Katz warnte die Hisbollah-Kämpfer vor einem "totalen Krieg" an der israelisch-libanesischen Grenze. In diesem würden sie "zerstört".

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah drohte seinerseits im Falle einer israelischen Offensive mit großflächigen Angriffen auf das Nachbarland. Israel müsse dann mit Attacken zu Lande, zu Wasser und aus der Luft rechnen, sagte Nasrallah in einer Fernsehansprache. Zudem warnte er Zypern davor, eigene Flughäfen und Stützpunkte durch Israel nutzen zu lassen. Das EU-Land würde damit Teil eines möglichen Krieges, erklärte Nasrallah.

Nächtliche Geschosse werden vom Verteidigungssystem Iron-Dome abgefangen
Nächtlicher Angriff der Hisbollah: Deren Geschosse werden vom israelischen Verteidigungssystem Iron-Dome abgefangen Bild: Ayal Margolin/JINI/XinHua/picture alliance

Zuvor hatten Menschenrechtsgruppen berichtet, Israel feuere unter Verletzung des humanitären Völkerrechts weiße Phosphormunition über libanesischen Städten ab. Und die Hisbollah beschoss ihren nördlichen Nachbarn in der vergangenen Woche mit mehr als 160 Raketen - als Vergeltung für die Ermordung zweier ihrer Kommandeure. 

Nach den beiden ergebnislosen Kriegen in den Jahren 1996 und 2006 hatten die israelischen Streitkräfte und die Hisbollah eine Art stillschweigendes Übereinkommen geschlossen. Seitdem wurden lediglich Angriffe auf das Territorium des jeweils Anderen unternommen, bei denen es keine großen Verluste gab. Doch seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober vergangenen Jahres haben die Attacken beider Seiten sowohl in Umfang und Härte zugenommen. 

Dies hat die Befürchtung aufkommen lassen, der Konflikt könne sich zu einem größeren Krieg auswachsen. In Israel haben einige extremistische Politiker bereits erklärt, Israel solle die Hisbollah sofort angreifen. Zudem hielt eine Mehrheit der israelischen Bürger in einer aktuellen Umfrage einen Krieg mit der Hisbollah für eine gute Idee.

"Unsicherheit in Israel drastisch erhöht"

"Die Anschläge vom 7. Oktober haben die Unsicherheit in Israel dramatisch erhöht", heißt es in einem Report der in Washington ansässigen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies vom März dieses Jahres. "Wenn die Hamas, die weniger gut bewaffnet und ausgebildet ist als die Hisbollah, über 1100 Israelis brutal töten kann, was könnte dann erst die viel mächtigere Hisbollah tun?"

Unklar ist, ob es tatsächlich zu einem größeren Krieg kommt. Internationale diplomatische Bemühungen zielen darauf ab, dies zu verhindern. Die meisten Experten hielten es für strategisch unklug, wenn Israel neben den Kämpfen im Gazastreifen eine weitere Front eröffnen würde.

Der Libanon befindet sich seit Jahren in einer wirtschaftlichen und politischen Krise. Zwar sympathisiert die Bevölkerung mit den Palästinensern, von denen in den letzten acht Monaten mehr als 37.000 im Gazastreifen getötet worden sein sollen. Dennoch dürften die mit Inflation, Arbeitslosigkeit und politischer Unsicherheit kämpfenden Libanesen kaum eine Hisbollah unterstützen, die damit beschäftigt ist, die Menschen in einen Krieg zu verwickeln.

Nach Angaben der libanesischen Behörden sind seit Oktober 2023 mehr als 375 Menschen, darunter 88 Zivilisten, durch israelische Angriffe im Libanon ums Leben gekommen. Israel seinerseits zählt seit Beginn des Konflikts 18 tote Soldaten und zehn tote Zivilisten.

Zudem mussten auf beiden Seiten der Grenze zehntausende Zivilisten - rund 100.000 Libanesen und über 60.000 Israelis - aufgrund der Kämpfe ihre Heimat verlassen. 

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"Sie haben mir meine Ambitionen gestohlen"

Im Libanon berichten Geflüchtete der DW, sie würden derzeit nur ungern in den Süden zurückkehren, es sei denn, es ginge nicht anders. Einige kehrten kurz zurück, um etwa nach ihren Häusern zu schauen oder an einer Beerdigung teilzunehmen. Doch die meisten Geschäfte und Supermärkte in der Region seien geschlossen, berichten sie. Es sei schwer, Vorräte zu finden.

Als Malak Daher nach Beginn der Grenzgefechte Ende 2023 nach Beirut floh, war sie zunächst arbeitslos. Dann fand sie Arbeit in einem Krankenhaus im südöstlichen Bint Jbeil, nahe der Grenze zu Israel. Dort bleibt sie nun drei Tage lang, um ihre Schichten abzuarbeiten, dann kehrt sie nach Beirut zurück, wo sie und ihre Mutter bei Verwandten untergekommen sind.

"Sie haben mir nicht nur meine Zeit gestohlen", sagt Daher über das israelische Militär. "Sie haben mir meine Ambitionen und meinen Frieden gestohlen. Ich war unabhängig. Jetzt bin ich wütend, ängstlich und warte auf Hilfe."

Israels Norden wird Niemandsland

Die Heimat nicht verlassen

Einige wenige Menschen im Südlibanon weigern sich ungeachtet der Kämpfe, ihre Heimat zu verlassen. So etwa Issam Alawieh. Der 44 Jahre alte Vater von sieben Kindern ist zusammen mit seiner Frau und zwei seiner Söhne in seinem Haus im Grenzdorf Maroun el-Ras geblieben. Bislang hat die Familie drei israelische Luftangriffe überlebt. "Man hört nur das Krachen. Es ist wie ein Vulkan, der unter dir ausbricht", berichtet Alawieh. Nach einem Angriff verlor er für eine Woche sein Gehör.

Alawieh arbeitet weiter in einer Bäckerei im nahe gelegenen Bint Jbeil. "Auch wenn das Einkommen nicht gut ist und der Umsatz um 95 Prozent zurückgegangen ist, muss ich meine Kinder weiter ernähren", sagt er der DW. Dennoch sei es besser, unter solchen Umständen zu leben, als vertrieben zu werden und anderswo Hilfe annehmen zu müssen. Die aus der Stadt geflohenen Nachbarn hätten ihn für verrückt erklärt. Alawieh aber glaubt, seine Familie habe sich angepasst. Die Kinder hätten sich an den Lärm der Bomben gewöhnt. 

"Wenn ich gehe und alles zurücklasse, ist das eine Demütigung. Das will ich nicht." Aber letztlich gehe es um viel mehr: "Dies ist mein Zuhause." 

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.