Israel: Das Ende der Ära Netanjahu?
18. September 2019Es war ein waschechtes Déjà-vu: Israel erwachte an diesem Mittwoch erneut mit der Nachricht, dass die beiden wichtigsten Parteien des Landes in einer Pattsituation gefangen sind - ganz ähnlich wie schon nach den Wahlen im April.
Diesmal sieht es so aus, als ob die rechtskonservative Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu vom in der politischen Mitte angesiedelten Bündnis "Blau-Weiß" seines Herausforderers Benny Gantz überholt wird. Nach Auszählung der meisten Stimmen käme "Blau-Weiß" derzeit auf 32 Sitze im Parlament, der Likud auf 31. Für keine der beiden Parteien erscheint eine Koalition möglich, mit der sie eine Mehrheit von 61 der 120 Knesset-Sitze erreichen könnte.
"Zutiefst gespalten"
Viele Wähler scheinen verzweifelt. "Ich bin extrem enttäuscht", sagt etwa Aharon Genish aus der Hafenstadt Haifa im Norden des Landes im Gespräch mit der DW. Genish hat für "Blau-Weiß" gestimmt. Ob ihn das Ergebnis überrascht hat? "Nein, kaum. Diese Wahlen spiegeln exakt die Lage wider, in der sich die israelische Gesellschaft befindet", sagt er. "Wir sind zutiefst gespalten."
Um zu verstehen, wie stark die Meinungen in Israel auseinanderdriften, muss man sich nur die übrigen Parteien ansehen, die Sitze in der Knesset gewinnen konnten. Neben dem Likud rechts der Mitte und "Blau-Weiß" links davon, steht an dritter Stelle die ultra-orthodoxe Schas-Partei. Kurz dahinter kommt die "Gemeinsame Liste", eine Allianz aus vier arabischen Parteien, und die religiöse Partei Vereinigtes Thora-Judentum.
Königsmacher von rechts
Angesichts des Patts in der Knesset könnte Ex-Außenminister Avigdor Lieberman zum Königsmacher werden. Die Partei "Unser Haus Israel" des Rechtspopulisten dürfte neun Sitze in der Knesset erreichen. "Das Bild ist klar: Es gibt nur eine Option, und das ist eine breite Regierungskoalition der liberalen Kräfte", sagt Lieberman. Damit meint er ein Bündnis seiner Partei mit Likud und "Blau-Weiß".
Das würde jedoch voraussetzen, dass Gantz sein Wahlversprechen bricht, mit Netanjahu kein Bündnis einzugehen. Wie schon nach den Parlamentswahlen im April könnte die Regierungsbildung also scheitern und wiederum Neuwahlen angesetzt werden.
Unsicherheit über den Wahlausgang
"Das wirkliche Problem ist, dass sich nichts ändern wird", sagt die 33-jährige Shaked. "Das ist meine Befürchtung. Die Leute sind politikverdrossen, weil sie wissen, dass es eh keinen Unterschied macht", sagt sie. "Wird irgendwer die Besetzung der Palästinensergebiete beenden? Wird irgendwer den Siedlungsbau stoppen? Wird irgendwer unser Leben einfacher machen? Ich bezweifle das."
In Israel weiß man mittlerweile, dass die Wahlsieger am nächsten Morgen ganz anders aussehen können als am Vorabend. Diese Unsicherheit lässt auch diejenigen zweifeln, die mit dem Wahlergebnis eigentlich zufrieden sind.
Per Gesetz zur Immunität?
"Es sind doch sowieso alle Seiten korrupt", sagt der erfahrene Anwalt Yoram Naumann. "Mit dem Ergebnis bin ich aber zufrieden, es bedeutet schließlich, dass Gantz und seine Partei irgendwie an der Regierung beteiligt werden müssen." Das sei zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung."
Für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu könnten nun die letzten Wochen seiner mehr als 30 Jahre andauernden politischen Karriere anbrechen. Schon in wenigen Wochen wird er zu drei mutmaßlichen Fällen von Korruption befragt. Sein Ziel dürfte es sein, eine Koalition zustande zu bringen, die ihm per Gesetz zur Immunität verhilft. Doch zuvor könnte er einem Putsch in seiner eigenen Partei zum Opfer fallen. Das würde eine breite Koalition wahrscheinlicher machen.
"König Bibi"
Netanjahus Unterstützer stehen jedoch weiter zu "König Bibi", wie ihn manche nennen. "Ich glaube wirklich, dass Netanjahu der beste Premierminister ist, den Israel haben kann", sagt etwa der 43-jährige Asaf Shitrit. "Die Linken denken immer, seine Wähler seien schlecht informiert oder ungebildet, aber das ist lächerlich."
Falls sich bis zur Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses nicht mehr viel ändert, wird diese Wahl viele Verlierer haben - Netanjahu dürfte der prominenteste sein. Auf den Straßen israelischer Städte trifft man jedoch auch viele Wähler, die überzeugt sind, dass sie Hauptleidtragende der Hängepartie sein werden. "Ich bin es einfach satt", sagt Genish. "Wir können doch nicht alle paar Monate zu den Wahlurnen gehen, weil unsere Politiker zu korrupt sind, als dass sie sich einer echten Demokratie angemessen verhalten könnten." Genish wird unterbrochen: "Nur Bibi!" ruft jemand aus einem vorbeifahrenden Auto. "Sehen Sie?", sagt der junge Mann. Wir sind die einzige Demokratie des Nahen Ostens. Wenn wir uns nur entsprechend verhalten würden."