Scharfe Kritik an Netanjahus Annexionsplänen
10. September 2019"Heute verkünde ich meine Absicht, nach der Bildung einer neuen Regierung die israelische Souveränität auf das Jordantal und das nördliche Tote Meer auszuweiten", sagte Benjamin Netanjahu (Artikelbild) in einer live im Fernsehen übertragenen Rede. Das Vorhaben könnte "sofort" nach der Parlamentswahl umgesetzt werden, so der israelische Ministerpräsident weiter. Die Wahl ist für kommenden Dienstag, den 17. September angesetzt.
Gefahr für Nahost-Friedensprozess
International löste die Ankündigung Netanjahus scharfe Kritik aus. Die israelische Siedlungspolitik und -tätigkeit sei nach dem Völkerrecht illegal und untergrabe die Bemühungen um eine Zweistaatenlösung und die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden, sagte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel. Wie bei zahlreichen Ministerräten bekräftigt worden sei, werde die Europäische Union keine Änderungen der vor 1967 bestehenden Grenzen anerkennen, die nicht zwischen beiden Seiten vereinbart worden seien.
Saudi-Arabien wies das Vorhaben "kategorisch" zurück. Es sei eine "sehr gefährliche Eskalation", die sich gegen das palästinensische Volk richte und eine "eklatante Verletzung" der UN-Charta und des Völkerrechts darstelle, hieß es in einer Erklärung des Königshauses in Riad, die von der staatlichen Nachrichtenagentur SPA verbreitet wurde. Saudi-Arabien forderte demnach eine Dringlichkeitssitzung der Außenminister der 57 Mitgliedstaaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC).
Die Außenminister der Arabischen Liga kritisierten Netanjahus Plan als schädlich für den Nahost-Friedensprozess. Der jordanische Außenminister Ayman Safadi warnte, der einseitige Schritt könnte "die gesamte Region in die Gewalt" abgleiten lassen. Auch die Türkei verurteilte den Plan. Netanjahus "Wahlversprechen" sei ein "rassistischer Apartheid-Staat", twitterte Außenminister Mevlut Cavusoglu. Die Türkei werde die Rechte und Interessen ihrer palästinensischen Brüder und Schwestern "bis zum Ende verteidigen".
Palästinenser: Netanjahus Vorhaben ist ein Kriegsverbrechen
Der palästinensische Chefunterhändler für den Friedensprozess, Saeb Erekat, bezeichnete Netanjahus geplantes Vorgehen als ein "Kriegsverbrechen". Es würde gegen internationales Recht verstoßen, so Erekat. Ein Sprecher der radikalislamischen Hamas meinte, Netanjahu verkaufe auf der Jagd nach rechtsextremen Wählerstimmen die "Illusion, dass er die palästinensischen Gebiete auf ewig besetzen" könne. Die Palästinenser beanspruchen das 1967 von Israel eroberte Westjordanland und Ostjerusalem als Teil eines künftigen eigenen Staates für sich.
Das Jordantal, das entlang der Grenze zu Jordanien verläuft, macht nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem etwa 30 Prozent des Westjordanlandes aus. Insgesamt leben im Jordantal demnach etwa 60.000 Palästinenser und 5000 jüdische Siedler. Israel betrachtet es als wichtige Verteidigungsbarriere. Netanjahu erklärte zwar, er wolle lediglich alle jüdischen Siedlungen im Jordantal sowie das "nördliche Tote Meer" annektieren - palästinensische Orte wie etwa Jericho blieben davon unberührt. Allerdings entsprechen die genannten Siedlungen etwa 90 Prozent des Gebiets.
Netanjahu buhlt um Ultrarechte und Siedler
Netanjahu, dem mehrere Anklagen unter anderem wegen Korruption drohen, kämpft um sein politisches Überleben. Bei den Parlamentswahlen in der kommenden Woche wird ein enges Rennen zwischen Netanjahus rechtskonservativem Likud und dem oppositionellen Bündnis "Blau-Weiß" von Ex-Generalstabschef Benny Gantz erwartet. Daher buhlt Netanjahu um die Wählerstimmen aus dem ultrarechten Lager und der jüdischen Siedlerbewegung.
Schon vor der Parlamentswahl im April hatte Netanjahu die Annexion israelischer Siedlungen im Westjordanland angekündigt, dies aber nicht in die Tat umgesetzt. Im Verlauf des aktuellen Wahlkampfs wiederholte er seine Ankündigung. In den Siedlungen im besetzten Westjordanland und in dem von Israel annektierten Ost-Jerusalem leben mehr als 600.000 Israelis - neben drei Millionen Palästinensern. Die UNO betrachtet die Siedlungen als illegal. UN-Sprecher Stephane Dujarric erklärte, jegliche Entscheidung Israels, dem Westjordanland seine Verwaltung, Gesetze und Rechtsprechung "aufzuzwingen", werde international keinen Bestand haben.
ww/wa/cw (rtr, afp, dpa)