Netanjahu unter Erfolgsdruck
17. September 2019An diesem Dienstag wird Israel erneut abstimmen. Wieder Parlamentswahl. In einem kleinen Park in Jerusalem sitzt ein paar Tage vor der Wahl eine Gruppe von Helfern der Blau-Weiß-Partei zusammen. Die Zeit wird knapp, aber sie versuchen noch immer möglichst viele Israelis dazu zu bewegen, ihre Stimme erneut für Benny Gantz abzugeben. Keine einfache Aufgabe in einer Stadt, in der traditionell für rechte Parteien wie Benjamin Netanjahus Likud oder für ultra-orthodoxe Parteien gestimmt wird.
"Ich denke, Bibi Netanjahu hat viel Gutes für unser Land getan, aber nach 13 Jahren braucht es eine Veränderung", sagt Yamit Avrahmu, die für Blau-Weiß stimmen wird. "Benny wird einen neuen Zeitgeist mitbringen. Unser Land braucht das." Bei der letzten Parlamentswahl im April hatte sich dessen neugegründete Mitte-Rechts-Parteials echte politische Herausforderung für den Likud erwiesen. Und auch diesmal sagen die letzten Umfragen vor dem Wahltag ein erneutes Kopf-an-Kopf Rennen der beiden großen Parteien voraus – mit noch ungewissem Ausgang.
"To Bibi or not to Bibi"
Nach der letzten Wahl im April waren die Koalitionsgespräche gescheitert, nachdem sich Avigdor Lieberman mit seiner säkularen, rechten Partei Israel Beiteinu mit den ultra-orthodoxen Koalitionspartnern überworfen hatte. Damit waren auch Benjamin Netanjahus Ambitionen, Israel's dienstältester Ministerpräsident zu werden, schlagartig beendet. Vorerst. Denn anstatt das Mandat zur Regierungsbildung zurückzugeben, hatte Netanjahu daraufhin Neuwahlen in die Wege geleitet. Jetzt müssen die Israelis zum zweiten Mal innerhalb von sechs Monaten wählen gehen. Einige Beobachter beschreiben die Wahl als Netanjahus politischen Überlebenskampf, denn bereits im Oktober steht eine erste Anhörung an - der Premier steht nämlich unter Korruptionsverdacht. "Es geht hier eigentlich nicht um irgendwelche politischen Themen. Es ist eher wie bei Shakespeare – to Bibi or not to Bibi", sagt Gil Hoffman, Journalist bei der Jerusalem Post. Darüberhinaus geht es aber auch um die zukünftige Ausrichtung der Politik. "Bei diesen Wahlen geht es zum einen um Netanjahus Persönlichkeit und seinen Politikstil. Es geht um die Bedrohung der demokratischen Institutionen, es ist aber auch ein Machtkampf über Werte: traditionelle versus liberale, säkulare versus religiöse", sagt Tamir Sheafer, Dekan am Institut für Sozialwissenschaften der Hebräischen Universität von Jerusalem.
"In einer anderen Liga"
Für Nuriel Zarifi besteht kein Zweifel, dass er auch diesmal wieder für den Likud stimmen und damit Netanjahu ein neues Mandat geben will. Der Besitzer eines kleinen Cafés im Westen Jerusalems kennt den Ministerpräsidenten persönlich: Manchmal kommt Netanjahu auf einen Kaffee und eine Quarktasche vorbei. An den Wänden hängen Fotos mit dem prominenten Gast. "Der Mann hat einfach viel Erfahrung. Das ist wichtig für jeden Bürger, besonders in einem Land wie Israel mit seinen vielen Herausforderungen. Und er hat die besten Beziehungen zu ausländischen Politikern wie Angela Merkel, Donald Trump oder Wladimir Putin. Mit ihm können wir nachts beruhigt schlafen", sagt Zarifi.
Netanjahus Kampagne porträtiert ihn als Staatsmann; als einzigen, der in der Lage ist, die israelischen Bürger in Sicherheit zu wiegen. In den Tagen vor der Wahl reiste er zu Gesprächen nach London und traf sich mit Russlands Präsident Putin in Sotchi. Überlebensgroße Wahlkampfplakate mit dem Titel "In einer anderen Liga" zeigen ihn händeschüttelnd mit US-Präsident Trump. Berichte über mögliche direkte Gespräche zwischen dem Iran und den USA werfen allerdings einen Schatten auf seine Kampagne. Und es bleibt abzuwarten, ob die Wahlversprechen von Netanjahu tatsächlich dazu führen werden, das rechte Wähler ihre Stimme eher für den Likud als für kleinere rechte Parteien abgeben. Vergangene Woche sorgte Netanjahu zumindest im Ausland für Aufruhr, als er den israelischen Siedlungen im Jordantal die "Souveränität" versprach - wenn er wiedergewählt wird. Dies sei eine historische Gelegenheit, so Netanjahu, nicht zuletzt deshalb, weil die US-Regierung möglicherweise ihren sogenannten Nahost-Friedensplan nach der Wahl veröffentlichen will. Die Annektionspläne sorgten für heftige Kritik aus dem Ausland. In Israel selbst kritisierte Benny Gantz, den Netanjahu gerne als " schwachen Linken" bezeichnet, die Ankündigung als "leeres Wahlversprechen". Gleichzeitig wies er darauf hin, das seine Partei schon immer dafür plädiert habe, dass das Jordantal im besetzen Gebiet "für immer ein Teil Israels ist".
"Netanjahu ist happy, bei dieser Wahl alles mögliche zu versprechen. Die Leute hier sind damit sehr zynisch umgegangen. Einschließlich des rechten Lagers, die sowieso für die Annexion sind. Sie sagen: Er ist seit 13 Jahren Premierminister. Warum hat er das nicht schon viel früher getan? Warum gibt es jetzt, eine Woche vor der Wahl, plötzlich eine historische Gelegenheit?", beschreibt Haaretz-Journalist Anshel Pfeffer die Reaktionen in Israel.
Netanjahus politische Gegner aus dem Mitte-Links-Lager haben vor allem aus dem drohenden Korruptionsverfahren ein Wahlkampfthema gemacht. Sie werfen ihm vor, im Gegenzug für Loyalitätsversprechen auch rechts-extreme Politiker ins Boot zu holen, um an der Macht bleiben. "Israelis waren viel zu lange Zeit Opfer einer korrupten Regierung", sagt Stav Shafir, ehemalige Abgeordnete der Arbeitspartei und jetzige Nummer zwei in der neu gebildeten Demokratischen Union. Es sei notwendig, "das rechte Lager zu bekämpfen, das immer radikaler, extremer und rassistischer wird", sagt Shafir.
Koalitionsbildung - der Machtkampf am Tag danach
Der wahre Machtkampf beginnt aber womöglich erst am Tag nach der Wahl. Umfragen zeigen verschiedene Ergebnisse auf die Frage, welche Koalitionsregierung eigentlich die Wähler wollen. Eine kürzlich vom Israel Democracy Institute durchgeführte Umfrage ergab, dass 39% der jüdischen Israelis sich eine Art große Koalition mit Likud und Blau-Weiß als Koalitionspartnern wünschen. Eine andere Umfrage wiederum spricht von 38 Prozent, die eine Koalition der rechten und ultra-orthodoxen Parteien bevorzugen, und nur 21% eine große Koalition von Likud und Blau-Weiß. "In der israelischen Politik ist alles möglich. Netanjahu sagt, er will eine Koalition von 61 Knesset-Abgeordneten am rechten Ende des politischen Spektrums", sagt Gil Hoffman von der Jerusalem Post. "Das hat weniger mit Ideologie zu tun als vielmehr damit, dass diese 61 Abgeordneten sagen würden, das er nicht zurücktreten muss, wenn er angeklagt wird." Umfragen sagen dem rechten Block zwar größere Chancen voraus, eine Koalition zu bilden. Aber es könnte auch sein, dass weder Likud noch Blau-Weiß eine Koalition bilden können. In diesem Szenario könnte sich der Likud gezwungen sehen, einen neuen Parteichef zu nominieren, um an der Macht zu bleiben, so Hoffman. "Der neue Parteichef hätte wohl keine Probleme, eine große Koalition zu bilden. Alle anderen Parteien haben gesagt, dass sie ohne weiteres mit dem Likud eine Koalition eingehen würden, aber eben nur ohne Netanjahu".