Irans Dämme graben dem Irak das Wasser ab
16. August 2021Eigentlich sollte man hier sein eigenes Wort kaum verstehen. Der Diyala war einst ein reißender Strom. Auf Kurdisch bedeutet der Name "schreiender Fluss". Heute steht nur noch etwas Wasser in einer Senke. Alqod Mahmoud schaut vom Ufer ins beinahe ausgetrocknete Flussbett und ist verzweifelt.
Die Regenzeit dauert in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak (KRG) in der Regel knapp drei Monate im Jahr. In dieser Zeit füllt sich der Diyala. Die Menschen in Mahmouds Heimatdorf Topkhane brauchen das Wasser für ihre Felder, doch es wird immer weniger. So schlimm wie in diesem Jahr sei es noch nie gewesen, sagen die Dorfbewohner.
Der 33-jährige Alqod Mahmoud ist der Dorfvorsteher von Topkhane. Erst vor drei Jahren hatte er sich für 1700 Dollar ein Pumpensystem gekauft. Das sollte Wasser aus dem Diyala auf seine Felder fördern. Heute ragt über einem vertrockneten Kiesbett ein Rohr in der Luft. Das Wasser ist weit weg. Der Pegelstand ist viel zu niedrig, um mit dem wenigen Flusswasser die Felder versorgen zu können.
Ein Grund für den austrocknenden Diyala sind steigende Temperaturen und immer weniger Regen. Mahmoud jedoch gibt allein dem Nachbarland Iran die Schuld. "Die Iraner haben einen neuen Damm gebaut. Sie wollen das ganze Wasser für sich behalten", sagt er.
Der Damm, von dem Mahmoud spricht, liegt weiter flussaufwärts, knapp 30 Kilometer innerhalb des iranischen Territoriums. Der Diyala heißt dort Sirwan. Eingeklemmt zwischen zwei Bergen, verstopft der Daryan-Damm wie ein grauer, 169 Meter hoher Pfropf den Fluss. Es ist die größte Talsperre eines gewaltigen Projekts, dessen Name mehr nach Wellness-Therme klingt als nach Industriekomplex: Tropical Water Project. Es umfasst 14 Staudämme mit einer Kapazität von 1,9 Milliarden Kubikmetern Wasser sowie 150 Kilometer unterirdische Tunnel, die Wasser in ländliche Gebiete im Süden des Iran umleiten.
Wasserknappheit sorgt für Unruhen im Iran
Im Iran macht die Trockenheit den Bauern seit Jahren zu schaffen und zwingt sie zum Aufgeben ihrer Felder. Das führte bereits zu Unruhen. Ende Juli setzten iranische Behörden Medienberichten zufolge sogar Schusswaffen gegen Demonstranten ein. Ausgelöst wurden die jüngsten Proteste durch die Wasserknappheit in der Region Khuzestan im Südwesten des Landes. Hier waren die Temperaturen auf über 50 Grad Celsius gestiegen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Temperaturen im Iran künftig weiter steigen und die Dürren häufiger werden.
"Wenn der Iran seine Wasserressourcen nicht nutzt, wird das Land bis 2036 in eine enorme Krise geraten. Massenmigration wäre die Folge", sagt Banafsheh Keynoush, Fellow am International Institute for Iranian Studies und ehemalige Beraterin der Weltbank. Was die iranischen Behörden betrifft, "sind die Interessen des Irak für sie irrelevant", ergänzt sie unverblümt.
Im Irak sinkt der Wasserstand
Der Daryan-Damm wurde 2018 offiziell eingeweiht. Was das bedeutet, spürten die Menschen im Nordirak zwei Jahre später. Seit dem Ende der letzten Regenzeit ist die Trockenheit noch schlimmer geworden.
Mahmoud weiß nicht, wie lange die Menschen in Topkhane das noch durchhalten werden. "In spätestens ein, zwei Jahren werden wir wohl alle von hier weggehen müssen", sagt er verzweifelt. "Wir werden so regelrecht in die Städte getrieben. Dort bliebe uns dann nichts anderes übrig, als wie Sklaven für irgendein Unternehmen zu arbeiten oder uns als Straßenverkäufer durchzuschlagen."
Die Dorfbewohner sind nicht die Einzigen, die unter der Wasserknappheit leiden. Rund 30 Kilometer flussaufwärts liegt der Darbandikhan-Damm. Der Stausee dahinter ist ein wichtiger Wasserspeicher für das gesamte Diyala-Becken. Doch in diesem Jahr ist der Wasserstand bedrohlich niedrig. "Normalerweise würden im März nach den drei Regenmonaten durchschnittlich 400 bis 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ins Becken fließen", sagt Namiq Mustafa, stellvertretender Direktor der Abteilung für Hydrologie und Meteorologie am Darbandikhan-Staudamm. "In diesem Jahr waren es kaum 28 Kubikmeter", so Mustafa.
Das hat Konsequenzen für die Wirtschaft. Die Landwirte sind gezwungen, wasserintensive Kulturen auf ihren Feldern aufzugeben.
Wasserknappheit im Nordirak beflügelt iranische Importe
Auf dem Marktplatz von Kalar geht es jeden Morgen geschäftig zu. Die Stadt mit ihren 250.000 Einwohnern liegt am Diyala, weiter südlich von Topkhane. Händler bieten durch Megaphone ihre Ware feil: frisches Obst, Gemüse und Fisch. Was sie jedoch verschweigen, ist die Herkunft ihrer Waren.
Erst im Gespräch erzählen sie, dass sie einen Großteil davon aus dem Iran einführen. "Ein Fisch aus dem Iran", sagt ein Standbesitzer, kostet die Hälfte. "Dasselbe gilt für Gemüse - für uns ist es viel billiger geworden, Waren zu importieren, als sie selbst zu produzieren."
Im Stadtzentrum von Kalar erzählen Händler die gleiche Geschichte. Jabar Abdallah Mawlud sitzt in seiner grauen Jacke und den weiten Hosen, die typisch sind für kurdische Männer, vor seinem Laden. "Ich hatte eine Farm in Qoratu, direkt am Fluss", sagt der 56-Jährige. "Früher haben wir Reis, Tomaten, Okra und Wassermelonen angebaut. In meinem Geschäft habe ich die Früchte verkauft. Jetzt ist alles weg. Alle Waren, die Sie hier sehen, musste ich aus dem Iran importieren."
Laut lokalen Medien geht seit 2016 mehr als ein Drittel der iranischen Agrarexporte in den Irak. Abdulmutalib Raafat Sarhat ist Dozent für Wasserressourcenmanagement an der irakischen Universität Garmian in Kalar. Er glaubt, dass die Dämme noch eine andere Aufgabe haben, als lediglich den Wasserbedarf des Iran zu decken. "Da die iranische Wirtschaft wegen der Sanktionen der USA und der EU leidet, versucht das Land seine finanziellen Probleme zu lösen, indem es den Irak zu seinem Marktplatz macht."
Konfliktursache Dürre
Der Zugang zu Wasser ist längst zu einem politischen Thema geworden. Mit dem Fortschreiten des Klimawandels wird es auch mehr Dürren geben. So besteht die Gefahr, dass die Anpassungsstrategie des einen Landes zu einer Krise in einem anderen Land führt. Der einzige anwendbare internationale Rechtsrahmen ist die UN-Gewässerkonvention.
Der Irak hat das Übereinkommen 2001 ratifiziert. Der Iran jedoch hat es nie angenommen, die Türkei, ein weiterer wichtiger Akteur in der Region, stimmte sogar dagegen.
Im Juni gab das World Resources Institute mit seinem Online-Tool "Water, Piece and Security" eine düstere Prognose für die Region ab. So rechnen die Experten darin "in den kommenden zwölf Monaten mit neuen und anhaltenden Konflikten in weiten Bereichen des Nord-, Zentral- und Südirak" als Folge der Wasserknappheit.
Im Sommer 2018 waren bereits Proteste in Basra ausgebrochen. Die Menschen stürmten die örtliche Gesundheitsbehörde, nachdem zuvor rund 118.000 Bewohner in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten, weil sie wegen des Wassermangels verschmutztes Wasser getrunken hatten.
Bei den Protesten Ende 2019 in Bagdad war auch der Aktivist Ali Alkharki dabei. Er sagt, die Empörung über Korruption und wirtschaftliche Not ist eng mit der Wasserknappheit verbunden. "Wenn ich junge Aktivisten im Irak ausbilde, überrasche ich sie immer gerne, wenn ich sage, dass der Grund für die Proteste in Bagdad und Basra das Wasser war", sagt Alkharki.
"Es ist ein Kreislauf", erklärt er. "Wenn wir nicht genug Wasser haben, müssen wir unsere Felder aufgeben. Bauern, Fahrer und Verkäufer verlieren ihre Arbeit. Die Folge sind Unsicherheit und Armut. Dann gehen die Menschen auf die Straße und protestieren."
Im vergangenen Jahr floh Alkharki aus der irakischen Hauptstadt nach Sulaymaniyah in den Norden. Hier arbeitet er für die Kampagne"Save The Tigris". "Man kann uns schon Umweltaktivisten nennen", sagt er, "aber eigentlich ist es humanitäre Arbeit, die wir leisten. Denn es geht um die Zukunft der jetzigen und kommenden Generationen. Die steht gerade auf dem Spiel."
Staudämme als Waffe
Die kurdische Regionalregierung hat keinen Einfluss darauf, was der Iran jenseits der Grenzen tut. Aber sie hat für sich eine Lösung gefunden, das Problem anzugehen: 245 Staudämme sollen gebaut werden.
Akram Ahmed Rasul ist Generaldirektor für Staudämme und Wasserspeicher der Regionalregierung. 14 dieser Dämme seien bereits fertiggestellt, 17 befänden sich derzeit im Bau sind und weitere 40 bereits in konkreter Planung, berichtet er.
Die Dämme würden geöffnet, wann immer die Regierung in Bagdad darum bitte, betont Rasual. Doch die Befürchtungen sind groß, dass die Kurdischen Gebiete das Wasser auf Kosten des restlichen Irak zurückhalten und die Kontrolle über die Dämme als politischen Hebel bei Streitigkeiten mit Bagdad nutzen könnte.
Alkharki kann nur bitter darüber lachen, dass weitere Staudämme die Lösung des Wasserproblems sein sollen. "Die Wahrheit ist, dass man Dämme nicht bekämpfen kann, indem man selber welche baut."