Iran wegen Brain Drain besorgt
29. März 2021Sie haben Arbeit, wollen sie aber nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in ihrer Heimat: Rund 900 Universitätsdozenten haben den Iran im Jahr 2020 verlassen. Das gab dieser Tage der iranische Minister für Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mansour Gholami (Artikelbild), bekannt.
Die Auswanderung der Dozenten reiht sich in eine generelle Absatzbewegung, die seit dem Revolutionsjahr 1979 immer größere Ausmaße angenommen hat. Einer Studie der Stanford University aus dem Jahr 2020 zufolge haben seit dem Revolutionsjahr rund 3,1 Millionen Iraner das Land verlassen; das entspricht rund 3,7 Prozent der aktuellen Bevölkerungszahl des Landes.
Zugleich haben in diesem Zeitraum insgesamt rund 700.000 im Iran geborene Personen im Ausland studiert. Derzeit sind es 130.000, der höchste Anteil innerhalb dieser Periode überhaupt. Waren es 1979 noch rund 90 Prozent, die nach dem Studium wieder in ihrem Land leben wollten, sind es derzeit weniger als zehn Prozent, so die Stanford-Studie. Daraus noch eine Zahl: Derzeit arbeiten rund 110.000 iranische Akademiker an Universitäten und Forschungseinrichtungen außerhalb des Landes. Das ist ein Drittel derjenigen, die innerhalb des Landes an akademischen Einrichtungen beschäftigt sind.
"Schwerer Schaden für Iran"
Diese Zahlen bereiten den Verantwortlichen innerhalb des Landes Sorgen. Droht der Iran, wissenschaftlich den internationalen Anschluss zu verlieren? "Unsere Unfähigkeit, Studenten, die im Ausland ausgebildet werden, nach Abschluss ihres Studiums ins Land zurückkehren zu lassen, wird innerhalb des Landes schweren Schaden anrichten", zitiert der in Brüssel ansässige Think Tank Vocal Europe die halbstaatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA. Noch schlimmer sei die Unfähigkeit, entsprechende Bedingungen zu schaffen, damit die eigenen Experten im Land bleiben , so IRNA weiter.
Auch Wissenschaftsminister Mansour Gholami drängt auf Verbesserungen. Die Regierung, erklärte er bei der Vorstellung der jüngsten Zahlen, solle den Dozenten attraktivere Bedingungen bieten, finanziell wie auch in anderer Hinsicht.
Die Wurzeln der akademischen Abwanderung sind laut der Stanford-Studie vielfältig: "Irans Brain-Drain-Krise hängt mit jahrzehntelanger Abkopplung von der Weltwirtschaft, unzureichenden Investitionen, verfestigter Korruption wie auch den autoritären politischen Verhältnissen zusammen." Auch die "plakative Präsenz ideologischer Elemente" störe viele Dozenten. Schließlich sei ein erheblicher Teil der Dozentenstellen den Eliten des Regimes und ihren Verwandten vorbehalten.
"Standbein in Deutschland"
Auch in Deutschland beobachtet man unter iranischen Akademikern und Studenten die Tendenz, nicht in ihr Heimatland zurückzukehren. "Viele Studenten bleiben hier", sagt Christian Hülshörster, Bereichsleiter Stipendien Süd des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) in Bonn. Im Jahr 2019 hätten 9000 Iraner in Deutschland studiert. Der DAAD förderte in verschiedenen Programmen 1300 von ihnen.
Viele Studenten versuchten sich nach dem Studium in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren und bemühten sich zudem um die deutsche Staatsangehörigkeit. "Sie wollen Geld verdienen und sich weiterbilden, das ist für sie ein ganz wichtiger Aspekt", sagt Hülshörster. "Das heißt aber nicht, dass sie sich für ihr Heimatland nicht mehr interessierten. Im Gegenteil, sie haben oft einen starken patriotischen Einschlag, der sich allerdings mit einer ausgeprägten Kritikbereitschaft verbindet." Und diejenigen, die zurück in den Iran gehen, "legen Wert darauf, in Deutschland ein Standbein zu halten."
Wissenschaftskooperation trotz Einschränkungen
Der Stanford-Studie zufolge sind die iranischen Dozenten auch mit der Hochschulpolitik ihres Landes unzufrieden. Diese lege es vor allem darauf an, nach innen wie außen ein modernes System zu präsentieren. Dazu gehöre ein möglichst hoher Ausstoß wissenschaftlicher Publikationen in Fachzeitschriften. Ihre tatsächliche wissenschaftliche Relevanz spiele hingegen eine Nebenrolle.
Diese Einschätzung teilt Christian Hülshörster nicht. "An den iranischen Hochschulen herrscht ein hohes Qualifikationsniveau. Es handelt sich um ein kompetitives System, in dessen Rahmen sich die einzelnen Hochschulen deutlich weiterentwickelt haben. Darum arbeiten wir so intensiv mit den Hochschulen des Landes zusammen. Der Wissenschaftsaustausch nutzt auch Deutschland."
Die Arbeit sei bisweilen heikel, räumt Christian Hülshörster ein: "Wir sind nicht naiv: Natürlich ist der Iran ein politisch schwieriges Land. Allerdings gibt es gerade in der Wissenschaftslandschaft erhebliche Spielräume. So haben wir bereits zum vierten Mal eine katholische Nonne an eine Universität geschickt, die dort feministische Lesarten heiliger Texte lehrt."
Natürlich gebe es Grenzen der Zusammenarbeit: "Bei Disziplinen wie Nuklearphysik sagen wir etwa, das geht nicht, da können wir nicht mitmachen. Das wird dann aber auch akzeptiert." Trotz solcher Grenzen zeige sich die spezifische Stärke des Wissenschaftsdialogs, betont Hülshörster: "Wir suchen und finden immer neue Gesprächskanäle, auf denen dann sehr viel möglich ist. Auf denen tauschen wir uns aus. Natürlich gibt es politische Meinungsverschiedenheiten. Aber die hindern uns nicht, im Dialog zu bleiben. Und diesen Dialog führen wir auf Augenhöhe."