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Irak hofft auf Friedensstifter

Kersten Knipp5. August 2014

Das irakische Parlament hat die Wahl eines neuen Premierminister erneut verschoben. Der muss das Land einen, vor allem aber den Kampf mit der Terrorgruppe "Islamischer Staat" aufnehmen.

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Autobombe in Bagdad, 1.08.2014 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Wissm al-Okili

Iraks künftiger Regierungschef muss fast Unmögliches vollbringen, um den Irak in seiner derzeitigen Form zu erhalten. An erster Stelle muss er verhindern, dass die dschihadistische Terrorgruppe Islamischer Staat (IS - ehemals ISIS) noch weitere Teile des irakischen Territoriums unter ihre Herrschaft bringt. Außerdem muss er die Integrität des Landes auch gegen die Kurden verteidigen. Die wollen ihre autonome Region im Norden des Landes in einen unabhängigen Staat verwandeln.

Beides wird aber nur dann möglich sein, wenn er zugleich die wichtigste Aufgabe überhaupt meistert: er muss die drei großen Bevölkerungsgruppen des Irak, Sunniten, Schiiten und die Kurden, an einen Tisch holen und einen nationalen Dialog beginnen. An dessen Ende muss ein Kompromiss stehen, den alle drei Gruppen tragen können.

Die wichtigsten Streitpunkte sind die Frage der politischen Repräsentanz, der Verteilung des nationalen Einkommens sowie das Recht auf kulturelle und religiöse Identität. Sollte es dem künftigen Ministerpräsidenten gelingen, diese Fragen einvernehmlich zu lösen, kann er darauf hoffen, den Irak langfristig in seiner derzeitigen Form zu erhalten. Scheitert er, droht der Irak in drei Teile zu zerfallen, die von jeweils einer der drei Gruppen bewohnt und regiert werden. Knapp hundert Jahre, nachdem er entstand, wäre der moderne Irak an sein Ende gekommen.

Der Staat als Feind

Der bisherige Ministerpräsident, der Schiit Nuri al-Maliki, hat es in seinen beiden bisherigen Amtszeiten nicht geschafft, diese Aufgaben zu lösen. Viele Beobachter halten al-Maliki für mitschuldig am aktuellen Chaos im Land. Die Bewohner der sunnitisch dominierten Provinzen im Nordwesten des Landes haben sich auf die Dschihadisten als Partner eingelassen. Das zeigt, wie sehr sie an al-Malikis Weigerung verzweifelten, sich auf einen politischen Kompromiss mit ihnen einzulassen. Anstatt eine politische Lösung zu suchen, schickte er Truppen in die sunnitischen Provinzen, die sich bis in die ersten Monate dieses Jahres nicht nur den IS-Dschihadisten entgegenstellten, sondern auch all jene Sunniten drangsalierten, die sie der Zusammenarbeit oder auch nur Sympathie für IS verdächtigten. Verhaftungen führender sunnitischer Politiker sowie al-Malikis harter militärischer Kurs in der sunnitischen Unruheprovinz Anbar trugen entscheidend dazu bei, dass die Sunniten den Staat mehr und mehr als Feind empfinden.

Sunnitischer Extremist im Irak, 8.6.2014 (AP Video)
IS-Kämpfer im IrakBild: picture alliance/AP Photo

Auch wenn die Dschihadisten die Sympathien weiter Teile der Sunniten wieder verlieren, wird es erhebliche Anstrengungen erfordern, das Land wieder zu einen. Die Aussichten dafür stehen nicht zum Besten. "Derzeit droht IS, erhebliche Teile des Landes einzunehmen. Der Umstand, dass der Irak auch angesichts einer solchen Gefahr gelähmt bleibt, ist ein Hinweis, wie schwierig eine politische Übereinkunft zu erzielen ist", schreibt der Nahost-Analyst Gareth Stansfield vom britischen Think Tank Chatham House.

Primat der Politik

Doch nur eine politische Lösung könne die beiden religiösen Gruppen (Sunniten und Schiiten) wieder vereinen, erklärte der stellvertretende irakische Ministerpräsident Saleh el-Mutlaq gegenüber dem auf die Politik im Nahen Osten spezialisierten Online-Magazin "Al Monitor". Sie könne auch dazu beitragen, die bewaffneten Gruppen zu isolieren und dann zurückzudrängen. So habe man es Jahre zuvor auch mit den Kämpfern von Al-Qaida gemacht. "Außerdem kann eine politische Lösung dazu beitragen, weite Teile der irakischen Gesellschaft von der Ungerechtigkeit zu befreien und ihre politischen Rechte wieder einzusetzen, die sie während der Besetzung des Landes aufgrund ungerechter Entscheidungen und Gesetze verloren haben."

Irak christliche Flüchtlinge aus Mossul 19.07.2014 (AFP / Getty Images)
Flüchtlinge im eigenen Land: Christen aus MossulBild: Safin Hamed/AFP/Getty Images

Wer immer zum neuen Premier gewählt wird, dürfte sich genötigt sehen, einen neuen politischen Kurs einzuschlagen. Die Amerikaner, die al-Maliki lange Zeit unterstützten, zögern inzwischen, das irakische Militär mit immer neuen Waffen auszustatten. Immer stärker wird in Washington die Fraktion derer, die einen nationalen politischen Dialog im Irak fordern. Absehbar werden die irakischen Truppen darum nicht in der Lage sein, IS zurückzudrängen. Im Gegenteil: Die Dschihadisten rücken immer weiter vor. Anfang dieser Woche (04.08.2014) sind sie erstmals auch in kurdisch kontrollierte Gebiete eingedrungen. Zwar erklären die Kurden, gut bewaffnet zu sein und mit Ausnahme der ihnen fehlenden Luftwaffe auf demselben technischen Stand wie die irakische Armee zu sein. Aber auch die Kämpfer von IS verfügen über ein gewaltiges Arsenal.

Die Dschihadisten und das Öl

Nachdem sie zwei irakische Ölfelder, Ajeel und Hamrin-2, unter ihre Kontrolle gebracht haben, exportieren die IS-Kämpfer Schätzungen des Iraki Oil Report zufolge Rohöl im Wert von 1 – 1,4 Millionen US-Dollar täglich. Laut der Zeitschrift Mena Energy News & Analysis wird das Öl über Mittelsmänner in das irakische Kurdengebiet, in die Türkei und in den Iran verkauft. Mit dem Geld sind die Dschihadisten nicht nur in der Lage, Waffen zu kaufen, sondern auch, ihre Kämpfer zu entlohnen. Damit locken sie auch viele Angehörige des irakischen Militärs in ihre Reihen.

Kurdischer Peschmerga-Kämpfer sichert die Gegend um Kirkuk (Foto: Pacific Press)
Kurdischer Peschmerga-Kämpfer bei KirkukBild: picture alliance / Omar Alkalouti

Bislang hat die irakische Regierung die Dschihadisten vor allem mit Waffengewalt bekämpft. Es ist fraglich, ob diese Strategie langfristig erfolgreich ist. Der nächste Premier müsste die religiösen Extremisten von IS auch politisch bekämpfen. Der Preis dafür wäre ein politischer und wirtschaftlicher Interessensausgleich zwischen Sunniten und Schiiten. Der müsste nicht nur im Parlament, sondern von der gesamten Bevölkerung akzeptiert werden.

Ob tatsächlich schnell ein neuer Premier gewählt wird, ist allerdings unsicher. Neben al-Maliki bewerben sich noch fünf weitere Kandidaten. Dass sich das Parlament aber am Donnerstag (07.08.2014) auf einen von ihnen einigt, ist keineswegs ausgemacht. Denn der Irak ist zerstritten bis in die Staatsspitze.