Streit über Abschiebungen nach Syrien
7. Dezember 2017Zweimal jährlich treffen sich die Innenminister der 16 Bundesländer, um Erfahrungen auszutauschen, aber auch, um Beschlüsse zu fassen. Und die betreffen in Zeiten des Terrorismus vor allem das, was als "innere Sicherheit" bezeichnet wird. Ein Begriff, der durchaus missverstanden werden kann, denn die Gefahren und Risiken haben mehr denn je einen internationalen Charakter. Das wird bei einem Blick auf die Themenliste mehr als deutlich: Die wichtigsten Stichworte lauten Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus und Abschiebungen nach Syrien.
Schon Ende November war durchgesickert, womit der gastgebende sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) seine Kollegen auf der Herbstkonferenz in Leipzig konfrontieren will: "Straftäter, Gefährder und hartnäckige Mitwirkungsverweigerer werden abgeschoben", wiederholte der Christdemokrat unmittelbar vor Beginn der Gespräche am Donnerstag seine Position. Dass Ulbig Abschiebungen in das Bürgerkriegsland Syrienfür möglich hält, untermauert er mit einem Hinweis: "Es gibt keinen geltenden Abschiebestopp."
Syriens Sicherheitslage schwierig einzuschätzen
Die Innenminister der Unionsparteien fordern eine Neubewertung der Sicherheitslage, "aus der sich dann das weitere Vorgehen ableiten wird". Ulbig schwebt offenbar eine ähnliche Regelung vor, wie sie die Innenminister einstimmig für Afghanistan getroffen hatten. Dorthin schiebt Deutschland schon seit längerer Zeit Flüchtlinge in Regionen ab, die vom Auswärtigen Amt als sicher eingestuft werden.
Für Syrien gibt es allerdings seit mehr als fünf Jahren keine Neubewertung der Sicherheitslage. Das dürfte vor allem daran liegen, dass die deutsche Botschaft in Damaskus seit 2012 geschlossen ist. Deshalb stellt sich die Frage, wie eine seriöse Einschätzung der Sicherheitslage überhaupt erfolgen soll? Ulbigs lapidare Antwort: Das sei eine "Angelegenheit" des Auswärtigen Amtes, "das können die Innenminister nicht beantworten". Ein Sprecher von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte Ende November gesagt, man sei der Forderung nach einer Neubewertung gegenüber aufgeschlossen.
Pistorius: "Mit wem soll ich da eigentlich verhandeln?
Für die SPD kommen Abschiebungen nach Syrien aufgrund der Sicherheitslage im Moment überhaupt nicht infrage. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sagte in Leipzig mit Blick auf fehlende Ansprechpartner in dem Bürgerkriegsland: "Mit wem will ich da eigentlich verhandeln? Und wem will ich dabei eigentlich vertrauen?" Man könne den Abschiebstopp nicht einfach lockern, "ohne Erkenntnisse zu haben".
Pistorius und mit ihm die ganze SPD wollen den Abschiebstopp zunächst bis Ende 2018 verlängern. In der Zwischenzeit könne man eine neue Lagebewertung vornehmen. Abschiebungen bestimmter Personengruppen, wie sie die Union verlangt, lehnt Pistorius kompromisslos ab. Auch für Straftäter gälten der Artikel eins des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") und die europäische Menschenrechtskonvention. Ein Hinweis, den sein CDU-Kollege Ulbig mit dem Verweis auf die Verantwortung der Innenminister für die Sicherheit der Menschen in Deutschland kontert. Wenn eine Abschiebung nicht möglich sei, müsse gefragt werden, "was passiert dann?".
Merkels Flüchtlingskoordinator gegen Abschiebungen
Gegenwind bekommen die Länderminister der Union allerdings auch aus den eigenen politischen Reihen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sagte schon am Sonntag in einem Interview, dass der Bürgerkrieg in Syrien nicht beendet sei. "Und viele Menschen sind vor dem Assad-Regime geflohen, das ja nach wie vor an der Macht ist." Altmaiers Einlassungen sind auch deshalb von Gewicht, weil er im Auftrag Angela Merkels die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung koordiniert.
Während eine Lösung im Streit um Abschiebungen nur schwer zu finden sein dürfte, signalisiert die SPD beim Nachzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus zumindest indirekt Kompromissbereitschaft. Niedersachsens Innenminister Pistorius schlug in Leipzig vor, den Nachzug "zeitlich zu steuern". Damit will er vermeiden, die Kommunen zu überfordern. Der Nachzug würde zwar die Integration erleichtern, man habe aber vor allem in Ballungsgebieten Probleme, wenn es etwa um Wohnraum gehe. Den Nachzug komplett auszusetzen hielte er jedoch "für ein komplett falsches Signal an die Menschen, die schon hier sind".
Auch über Weihnachtsmarkt-Attentäter Amri wird gesprochen
Einigkeit zwischen allen Beteiligten besteht beim Umgang mit sogenannten Gefährdern. So werden in Sicherheitskreisen Personen bezeichnet, denen man aufgrund entsprechender Anhaltspunkte Terroranschläge zutraut. Als Gefährder wurde auch der Tunesier Anis Amri geführt, dessen Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten sich am 19. Dezember erstmals jährt. Vor dem Hintergrund zahlreicher Pannen in den deutschen Behörden haben sich die Länder und der Bund bereits auf eine einheitliche Definition des Gefährder-Begriffs verständigt.
Dem Gastgeber der bis Freitag dauernden Innenministerkonferenz, Markus Ulbig, ist noch ein weiteres Thema besonders wichtig: Polizei und Fußball. Als amtierender Vorsitzender der Konferenz war es seine Aufgabe, sich in diesem Jahr mit den Spitzen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des Verbandes der Profi-Vereine (DFL) zu treffen. Auch dabei ging es um das weite Feld der Sicherheit rund um den Fußball.
Ein ungelöstes Problem: Gewalt in und um Fußballstadien
Was das bedeutet, weiß Ulbig nur zu gut: Sachsen gilt als Hochburg gewaltbereiter Fußball-Fans. Zweitligist Dynamo Dresden gerät deswegen immer wieder in die Schlagzeilen. Aber die Probleme spielen sich auch weiter unten ab. Erst vor wenigen Wochen musste das Duell zwischen den verfeindeten Fan-Lagern von Chemie Leipzig und Lok Leipzig von einem Großaufgebot der Polizei geschützt werden. Die beiden Traditionsvereine spielen in der Vierten Liga.