Indien: Suche nach neuer Strategie für Bangladesch
10. August 2024Indien ist sehr besorgt über die politischen Veränderungen im Nachbarland Bangladesch. Nach wochenlangen blutigen Protesten trat die Premierministerin Sheikh Hasina zurück und fand Zuflucht in Indien. Am Mittwoch wurde Nobelpreisträger Muhammad Yunus zum Chef der Übergangsregierung ernannt.
Am Donnerstag (Ortszeit) wurde unter der Leitung von Yunus ein 17-köpfiges Kabinett vereidigt. Anstatt "Minister" nennen sich die Kabinettsmitglieder "Berater" (Advisor) in der Übergangsregierung. Die meisten von ihnen waren scharfe Kritiker der Ex-Premierministerin Hasina Sheikh. Der Studentenanführer Nahid Islam zum Beispiel wurde zum "Advisor" für Telekommunikation. Ein weiterer Studentenaktivist ist nun für Sport zuständig.
Zwei Kabinettsmitglieder waren vom Militär und Islamistengruppen vorgeschlagen worden. Sie sind jeweils für die Ressorts Inneres und Religion verantwortlich. Ein Vertreter der Hindu-Gemeinde wurde "Advisor" für ethnische Minderheiten.
Ob die neue Übergangsregierung die säkularistische Staats- und Gesellschaftsordnung, also die Trennung zwischen Religion und Staat, im mehrheitlich muslimischen Bangladesch beibehält, wird von der Staatsführung in Neu Delhi mit Sorge beobachtet.
"Die Ernennung des Wirtschaftswissenschaftlers Muhammad Yunus zum Interimschef ist aber ein gutes Zeichen", sagte Raja Mohan, Politikwissenschaftler am Institut für Südasienstudien in Singapur im DW-Interview. "Diese Berufung wird Bangladesch wieder zurück auf den Weg der Demokratie und Entwicklung bringen."
Mit der zurückgetretenen Premierministerin Sheikh Hasina hat Indien eine stets zuverlässige Partnerin verloren. Zunächst sah es so aus, als würde das Militär übernehmen, doch "offensichtlich hat die Armee in Bangladesch wenig Lust, die Regierungsmacht zu übernehmen. Sie wollen lieber eine Übergangsregierung steuern", sagt ein hoher indischer Sicherheitsbeamter, der anonym bleiben will, der DW. "Wir warten und beobachten den Prozess genau".
Indien sieht Hindu-Minderheit in Gefahr
Indien ist sehr besorgt über die Situation der Hindu-Minderheit im Nachbarland. Etwa acht Prozent der 172 Millionen Einwohner in Bangladesch sind Hindus. 90 Prozent der Bevölkerung in Bangladesch sind Muslime. Politisch waren die Hindus stets Unterstützer der gestürzten Partei Awami-League um Sheikh Hasina. In ihrer 15-jährigen Amtszeit hatte sie sich immer für Säkularismus eingesetzt. Auf der Oppositionsbank saßen während dieser Zeit dagegen auch Vertreter islamistischer Gruppierungen, die Andersgläubige unterdrücken wollen.
Lokalen Berichten zufolge sind bei gewalttätigen Protesten auch ethnische Minderheiten in Bangladesch zum Ziel von Attacken geworden. "Verständlicherweise sind wir in Indien sehr besorgt über die Angriffe auf Minderheiten und die allgemeine Unordnung, die in Bangladesch immer noch herrscht", sagt Shyam Saran, Ex-Staatssekretär im indischen Außenministerium. "Aber es gab auch Stimmen, die diese Gewalt verurteilten. Aktivisten der Zivilgesellschaft haben hinduistische und andere Familien geschützt", sagt er gegenüber der DW.
Kommt eine Flüchtlingswelle?
Indische Sicherheitskräfte berichten, dass sich hunderte Mitglieder der Hindu-Gemeinde in Bangladesch an der Grenze zu Indien versammelt hätten, wohin sie ausreisen wollen. "Das besonders Besorgniserregende war, dass auch Minderheiten, ihre Geschäfte und Gebetsstätten an mehreren Orten angegriffen wurden. Das ganze Ausmaß ist noch unklar", sagte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar diese Woche im Parlament in Neu-Delhi.
"Wir beobachten auch die Situation in Bezug auf die Sicherheit der Minderheiten. Aber wir bleiben tief besorgt, bis Recht und Ordnung wiederhergestellt sind. Unsere Grenzschutztruppen sind angewiesen worden, angesichts dieser komplexen Situation besonders wachsam zu sein", fügte Jaishankar hinzu, der der regierenden nationalistischen Hindu-Partei BJP um Premier Modi angehört.
Eine mögliche Flüchtlingswelle nach den politischen Unruhen und die Ausbreitung vom Extremismus und Terrorismus in der Grenzregion auf der indischen Seite wären die Folgen, die Indien verhindern möchte, sagt Shanthie Mariet D'Souza vom Mantraya Institute for Strategic Studies im DW-Interview. Die Grenze zwischen Bangladesch und Indien ist 4.100 Kilometer lang.
Neuausrichtung der Politik Indiens
Das indische Außenministerium erklärte diese Woche, die Beziehungen zu Bangladesch neu ausrichten zu wollen. Nachdem Sheikh Hasina das Land verlassen hat, müsse sich Indien mit anderen politischen Akteuren arrangieren, so D`Souza. Delhi habe gezögert, seine Beziehungen zur wichtigsten Oppositionspartei Bangladeschs, der Nationalist Party (BNP) um deren Vorsitzende Khaleda Zia zu pflegen.
Zia war in einem angeblich politisch motivierten Prozess wegen Korruption verurteilt worden. Die Haftstrafe wurde 2018 nach einigen Monaten in Hausarrest umgewandelt - aus Gesundheitsgründen. Diese Woche kam sie nach dem Rücktritt von Sheikh Hasina frei.
"Indien muss seine bisherige Außenpolitik in Bangladesch aufgeben, die nur auf die eine Person Hasina und ihre Awami-League zugeschnitten ist. Es ist Zeit für etwas Neues. Indien muss nun mit allen Stakeholdern in Dhaka sprechen", so D'Souza, die auch an der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), geforscht hatte. "Das indische und das bangladeschische Militär unterhalten eine enge strategische Beziehung. Es könnte sinnvoll sein, damit einen Kommunikationskanal für Sicherheit und Grenzmanagement zu etablieren."
Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan