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Proteste in Bangladesch: Start für neue Führungsgeneration?

Anupam Deb Kanunjna
30. Juli 2024

Die Studentenproteste in Bangladesch erschütterten die Regierung der langjährigen Premierministerin Sheikh Hasina. Laut Experten könnten sie den Beginn einer neuen Ära in der Politik des Landes markieren.

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Trümmer und Qualm auf einer Straße, im Hintergrund uniformierte Sicherheitskräfte
Zusammenstöße zwischen Studierenden und Sicherheitskräften (19.07.2024): Tausende Menschen wurden bei Protesten festgenommenBild: Rajib Dhar/AP/picture alliance

Bangladesch bleibt weiterhin unruhig. Nach landesweiten Protesten gegen das Quotensystem für Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ist die Zahl der Todesopfer noch nicht klar. Die Regierung gibt ihre Zahl mit 150 an. Den bangladeschischen Medien zufolge sollen mindestens 210 - meist junge - Menschen, ums Leben gekommen sein. Tausende weitere wurden verletzt.

Als die Proteste im ganzen Land eskalierten, wurden Internet und Mobilfunknetze abgeschaltet, um die Kommunikation zwischen den Demonstranten zu verhindern. Die Regierung setzte Polizei, Militär und paramilitärische Grenzschützer ein, um die Unruhen niederzuschlagen. Darüber hinaus berichteten einige Demonstranten von Angriffen durch Mitglieder der Chhatra League, dem Studentenflügel der Regierungspartei Awami League.

Einige Beschränkungen wurden inzwischen gelockert, aber Social-Media-Plattformen und Bildungseinrichtungen bleiben weiterhin gesperrt.

Bangladesch Protest von Frauen in Dhaka gegen die umstrittene Quotenregel
Bangladesch: Protest von Frauen in Dhaka gegen die umstrittene Quotenregel Bild: Marzia Hassan Prova

Die meist spontanen Proteste wurden durch die Wiedereinführung eines umstrittenen Quotensystems für begehrte Stellen im öffentlichen Dienst ausgelöst. In der Folge hat die Regierung die Quotenregel nach einem Urteil des obersten Gerichts deutlich abgeschwächt. Inzwischen ist die Protestbewegung jedoch zu einem Ausdruck der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der Regierung unter Sheikh Hasina geworden - nur ein halbes Jahr nach den letzten nationalen Wahlen.

"Wachsendes Misstrauen gegenüber der Regierung"

Die Bangladesh Nationalist Party (BNP), die größte Oppositionspartei des Landes, zeigte sich "überrascht", dass sich eine derartige Protestbewegung entfalten konnte. Rechtsanwalt Ruhul Quddus Kazal, Mitglied des Zentralkomitees der Partei, glaubt, dass dieser Protest die tiefe Skepsis der Öffentlichkeit gegenüber der regierenden Awami League zutage gebracht hat, die das Land seit 16 Jahren regiert.

"Ich denke, die Regierung wird jetzt vieles neu überdenken. Sie muss sich von der Denkweise lösen, dass sie in den nächsten fünf Jahren tun und lassen kann, was sie will", sagte Kazal der DW.

Bangladesch Chattogram | Eröffnung von Chinesen erbauter Tunnel
Sheikh Hasina (Mitte) ist seit Januar 2009 Premierministerin von BangladeschBild: Salim/Xinhua/picture alliance

Die regierende Partei "Awami League" gewann die Wahlen 2008, die unter der vom Militär unterstützten Übergangsregierung durchgeführt wurden. Seitdem hat sie drei weitere Wahlen gewonnen: 2014, 2018 und zuletzt 2024. Diese drei nationalen Wahlen wurden jedoch durch Vorwürfe der Wahlfälschung und Boykotte durch die Opposition getrübt.

Wie steht die regierende Awami League zu den Protesten?

Die Regierungspartei hat schon früher Proteste überstanden und scheint sich von der jüngsten Studentenbewegung nicht einschüchtern zu lassen. Die Reaktion des Staates war hart - allein in der Hauptstadt Dhaka wurden über 200.000 Personen in mindestens 200 Fällen wegen ihrer angeblichen Beteiligung an der Gewalt angeklagt. Landesweit wurden Tausende festgenommen, darunter laut bangladeschischen Medien mindestens 253 Studenten innerhalb von 12 Tagen.

Premierministerin Sheikh Hasina und andere Führer der Awami League beharren auf ihrer Sichtweise, dass die Oppositionsparteien Bangladesh - Jamaat-e-Islami und BNP - die Bewegung den Studenten aus der Hand genommen hätten.

Awami League-Generalsekretär AFM Bahauddin Nasim behauptet, dass "böswillige" und "gegen den Befreiungskrieg gerichtete" Elemente an den gewalttätigen Ausbrüchen der Bewegung beteiligt waren und bezog sich mit dem Ausdruck "Befreiungskrieg" auf den Krieg im Jahr 1971, in dem Bangladesch die Unabhängigkeit von Pakistan errang.

"Dass sich so etwas abspielen konnte, überstieg unsere kühnsten Vorstellungen", sagte er der DW. Er räumte jedoch auch die Versäumnisse der Regierung ein. "Wir sehen einen Mangel an Koordination untereinander und wir verstehen, dass es auch ein Lücken in der Führung gab", sagte Nasim.

"Wir haben eine Menge Arbeit vor uns", fügte er hinzu und betonte gleichzeitig, dass alle zukünftigen Maßnahmen durch Beratungen innerhalb der Regierungspartei bestimmt würden.

Keine "Fassade der Demokratie" mehr

Die Rückkehr zum normalen Geschäftsbetrieb dürfte allerdings nicht einfach sein. Es gibt Vorwürfe, dass mehrere Koordinatoren der Antidiskriminierungsbewegung für Studenten gefoltert und zur Kriminalpolizei gebracht wurden. Dort sollen sie zu der Aussage gezwungen worden sein, dass sie die Bewegung  beenden würden.

Berichten bangladeschischer Medien zufolge wurden einige von ihnen in ihren Wohnungen festgenommen, während andere aus Krankenhäusern, in denen sie behandelt wurden, abgeführt wurden. In einer Videobotschaft, die am Sonntag, dem 28. Juli, im Büro der Kriminalpolizei aufgezeichnet wurde, erklärten sechs Koordinatoren das Ende der Bewegung.

Später in der Nacht zeigte sich in den Medien jedoch ein weiterer Koordinator und verkündete, dass die Bewegung weitergehe.

Ali Riaz, Bangladesch-Experte und Professor an der Illinois State University in den USA, glaubt, dass die Auswirkungen der Proteste auf die Regierungspartei bereits deutlich sichtbar sind.

"Die Regierung hat versucht, durch einige sogenannte Wahlen eine Fassade der Demokratie aufrechtzuerhalten. Diese Ära ist vorbei. Dieser Regierung, der es in der Vergangenheit an moralischer Rechtfertigung mangelte, bleibt nun keine andere Wahl, als Gewalt anzuwenden", sagte er der DW.

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Bahn frei für eine neue Politikergeneration?

Die Bewegung, so die Politikwissenschaftlerin Tasneem Siddiqui, habe eine "beispiellose" Fähigkeit gezeigt, im ganzen Land Proteste zu organisieren - ohne dass es eine zentrale Führung gebe.

Sie glaubt auch, dass diese Bewegung die Entstehung einer neuen Führungsgeneration fördert. "Da dieselbe Partei 16 Jahre in Folge an der Macht war, hat sie sich langsam zu einem personalistischen Regime entwickelt. Jeder wendet sich an die Premierministerin, um Lösungen für jedes Problem zu finden", sagte Siddiqui der DW.

Die Bewegung habe diese politische Kultur in Frage gestellt, so Siddiqui. Auch die Rivalität zwischen der regierenden Awami League und der Oppositionspartei BNP habe der jüngeren Generation keinen Nutzen gebracht und die politische Landschaft nicht verbessert, so die Wissenschaftlerin. Sie stellt fest, dass "die Jugend des Landes diese Politik nicht mehr mag. Wenn diese beiden Parteien sie nicht verstehen, werden sie nicht mehr die führenden politischen Kräfte sein."

Siddiqui glaubt auch, dass aus dieser Bewegung eine starke dritte politische Partei entstehen könnte, wenn die alten Parteien sich nicht selbst ändern.

Ali Riaz, Professor an der Illinois State University in den USA, ist ebenfalls der Ansicht, dass die Regierung durch die "Politik der Unterdrückung alle Grenzen überschritten" habe. "So, wie ich die Reaktionen der Menschen verstehe, ist mit dieser Bewegung auch die moralische Legitimität der Regierung zu Ende gegangen", sagte er.

"Obwohl [die Regierung] einigermaßen erfolgreich darin war, die Bewegung mit Gewalt zu unterdrücken", glaubt Riaz, "wird die Bewegung nicht vorbei sein."

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein